Nach schwerer KrankheitDoris Dietzold tritt erstmals wieder bei Stunksitzung auf

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Doris Dietzold, Gründungsmitglied der Stunksitzung, hatte eine Gehirnblutung – jetzt tritt sie wieder auf.

  • Doris Dietzold ist Gründungsmitglied der Stunksitzung. Aufgrund eines geplatzten Blutgerinnsels im Gehirn hat sie Probleme mit der Aussprache.
  • Dennoch tritt sie auf – in der aktuellen Stunksitzung hat Dietzold einen Solo-Auftritt.
  • So möchte sie die Geschichte ihrer Krankheit erzählen, denn „ich fürchte mich vor gar nichts mehr“.

Köln – Ein Stehtisch, ein Barhocker, ein Glas Kölsch. Mehr Requisiten braucht die zierliche Frau mit den langen, glatten Haaren nicht für ihren Auftritt im aktuellen Programm der Stunksitzung. Doris Dietzold sitzt auf dem Hocker, nippt an dem Bier und beginnt zu reden. Was sie sagt, klingt ungewohnt. Ihre Worte sind zu verstehen, aber nur mit Mühe.

Ihre Sprache ist undeutlich, etwas verwaschen. Denen, die im Geiste rasch einen Zusammenhang mit dem Kölsch herstellen, dreht Doris Dietzold gleich den Zapfhahn zu. „Ich bin nicht besoffen. Ich hatte vor zwei Jahren eine Gehirnblutung, hervorgerufen durch ein geplatztes Aneurysma im Bereich des Kleinhirns. Deshalb spreche ich jetzt so.“

Während der ersten Sätze wird eine Großleinwand von der Decke herabgelassen. Das Gesagte erscheint nun zusätzlich als gedruckte Textpassage. Die Künstlerin erzählt die Geschichte ihrer Krankheit völlig unaufgeregt. Ihr Vortrag ist stellenweise sehr witzig. „Das Ganze ist in Döbeln passiert.“ Kunstpause. „Das liegt in Sachsen, und da lag ich plötzlich auch. Da war ich sprachlos.“ Es ist keine Betroffenheitsstory, schon gar keine Mitleidsnummer. Es ist eine Geschichte aus dem Leben. Oder, wie Stunksitzungs-Präsidentin Biggi Wanninger in ihrer Anmoderation sagte: „Alles wirkt aufgeräumt. Und dann passiert was.“

Erste Sprechrolle für Doris Dietzold nach Krankheit

Etwa vier Minuten dauert der Solo-Auftritt. Es ist die erste Sprechrolle, mit der Dietzold nach dem „Ding in Döbeln“ wieder bei der Stunksitzung auftritt. „Ich musste nach dem Zusammenbruch ein Jahr aussetzen. In der vorigen Produktion hatte ich nur stumme Rollen. Jetzt auch wieder Text“, sagt die 62-Jährige im Gespräch. Ans Aufhören nach der schweren Krankheit habe sie nie gedacht. Für sie und die Kollegen sei klar gewesen, dass sie selbstverständlich wieder ein aktives Mitglied des Stunksitzung-Ensembles sein würde, sobald das gesundheitlich möglich wäre. „Ich bin seit 1984 dabei, bin also Gründungsmitglied. Die Stunksitzung ist doch mein Baby. Da gibt man wegen eines kleinen Sprachproblems nicht gleich auf.“

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Doris Dietzold hat sich auf Vorschlag eines Freundes dafür entschieden, die Geschichte ihrer Krankheit auf der Stunksitzung zu erzählen.

Die Idee, mit der persönlichen Geschichte vor einem großen Publikum aufzutreten, stammte von ihrem Freund Moritz Netenjakob, Kabarettist und Autor. „Wir trafen uns im Sommer zum Waffelessen, da rückte er beiläufig mit der Frage raus, ob ich mir ein Solo bei der nächsten Stunksitzung zutrauen würde. Er würde mir gern das entsprechende Stück schreiben.“ Doris konnte. „Ich wollte nur nichts Sentimentales oder Rührseliges. Und ich habe gesagt, wenn es peinlich wird, mache ich es nicht.“

Physiotherapie und logopädischen Sitzungen

Die Frage war spätestens nach der Generalprobe vom Tisch. „Die Leute waren und sind begeistert. Wenn es anders gewesen wäre oder ich mich nicht wohl gefühlt hätte, wäre gleich Ende gewesen. Das war von Beginn an die Verabredung zwischen mir und den Kollegen: Ich mache nur Dinge, die für mich gehen.“

Vieles geht mithilfe von Physiotherapie und logopädischen Sitzungen wieder. Manches noch nicht. Auf die Frage ihrer Schwester Bettina Gärtner, ob sie ihr altes Leben zurückhaben möchte, antwortete Doris Dietzold vor einiger Zeit: „Auf keinen Fall. Mein jetziges Leben ist bunter und befreiter, weniger anstrengend und kraftraubend als früher.“ Sie weiß auch genau, was sich verändert hat. Der Tag, an dem das Aneurysma in ihrem Kopf platzte, war auch der Tag, an dem die Angst wegging. „Mich haben früher viele Dinge geängstigt. Aufzüge, Tunnel, Flugzeuge, Menschenmassen – alles sehr schwierig. Und nun: alles weg.“

Doris Dietzold habe dem Tod ins Auge geblickt

Aber hat die Entscheidung, ausgerechnet mit der Geschichte der eigenen Krankheit auf die Bühne zu gehen, nicht dennoch sehr viel Überwindung gekostet? „Überhaupt nicht. Das ist ja das Drollige. Ich fürchte mich tatsächlich vor gar nichts mehr. Ich habe dem Tod ins Auge geblickt – hallo?“, sagt Dietzold. Und fügt hinzu: „Obwohl ich in Wirklichkeit gar nichts gesehen habe, ich war ja ohnmächtig. Ich erinnere mich nur noch daran, dass es mir schlecht und sehr heiß geworden ist und ich mich kurz hinlegen musste. Als ich wieder wach wurde, lag ich im Krankenhaus.“

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So weiß sie das, was sie dem Stunksitzungspublikum erzählt, überwiegend aus zweiter Hand. Wie sie für das Präventionstheaterprojekt „Henrietta“ der AOK in den Osten der Republik gereist ist. Wie sie am 15. Juni 2017 auf der Bühne im Theatersaal in Döbeln zu Boden ging, während im Zuschauerraum 600 Mädchen und Jungen aufgeregt auf den Auftritt von „Henrietta“ (Doris) warteten. Wie sie mit dem Hubschrauber ins Universitätsklinikum Leipzig geflogen wurde. Wie sie wegen einer Gehirnblutung operiert wurde.

Woran sie sich gut erinnert, sind die beiden Aufenthalte in der Elbland-Rehabilitationsklinik Großenhain bei Berlin und im neurologischen Rehabilitationszentrum Godeshöhe in Bonn-Bad Godesberg. Vor allem an den letzten. „Da habe ich mich kräftemäßig überschätzt und bin hingefallen. Jetzt habe ich auch noch ein künstliches Hüftgelenk.“