„Alle 14 Tage gab es Fleisch“Kölner aus drei Generationen diskutieren über Armut

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Die drei stehen vor dem Eingang der Karl-Rahner-Akademie.

Drei Generationen im Gespräch (v.l).: Ludwig Sebus, Maja Iwer, Caritasdirektor Frank Hensel

Drei Generationen diskutierten über lange Schlangen an Tafeln, Grundsicherung und darüber, was man am Sozialsystem verbessern kann.

„Wir werden ärmer werden“, prophezeite Wirtschaftsminister Robert Habeck, als er im April 2022 angesichts des Ukraine-Kriegs die Wachstumsprognose nach unten korrigierte. Wer sind „wir“? Während die Wohlhabenden Einbußen kaum spüren, macht die Krise den ohnehin Bedürftigen stark zu schaffen. Dies zeigt sich etwa darin, dass die Warteschlangen vor den Lebensmittelausgaben der „Tafeln“ länger werden und sich mehr Menschen an eine Schuldnerberatung wenden.

Im Rahmen der Reihe „Drei Generationen im Gespräch“ sprachen drei Menschen in der Karl-Rahner-Akademie über ihre Erfahrungen und Begegnungen mit Armut. Ältester in der Runde war Krätzchensänger Ludwig Sebus. Der 97-Jährige hat am eigenen Leib erlebt, was Armut heißt. Aus bescheidenen Verhältnissen („Alle 14 Tage gab es Fleisch“) stammend, verbrachte er als Soldat fünf Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft. Hunger und Durst hätten ihn wiederholt in einen Zustand gebracht, „der kaum das Denken erlaubt“, sagt er; hinzu kam der Gedanke, die Heimat nie mehr wiederzusehen. Fazit: „Das Schlimmste im Leben habe ich in meiner Jugend erlebt.“

Köln: Drei Generationen diskutieren über Armut in der Karl-Rahner-Akademie

Eine andere Generation vertrat Frank Hensel, Jahrgang 1963 und Diözesan-Caritasdirektor für das Erzbistum Köln. Als Kind ostpreußischer Flüchtlinge sei er zwar nicht in Wohlstand aufgewachsen, habe aber nie das Gefühl gehabt, ausgegrenzt zu werden: „Ich konnte teilhaben.“ Später absolvierte er ein Studium – als Erster in seiner Familie. 1999 geboren ist Maja Iwer vom Bundesverband der Sozialistischen Jugend „Die Falken“. Sie ist im Norden Essens groß geworden, der stark gegen den reicheren Süden abfällt.

Die vier sitzen auf der Bühne der Akademie.

Karl-Rahner-Akademie – Drei Generationen im Gespräch v. l.: Moderator Norbert Bauer, Ludwig Sebus, Caritasdirektor Dr. Frank Hensel und Maja Iwer

Neben persönlichen Erfahrungen ging es um gesellschaftliche Entwicklungen. Eine professionelle Sicht darauf hat Hensel nicht nur als Caritas-Chef, sondern auch als Vorsitzender des Arbeitsausschusses Armut und Sozialberichterstattung der Freien Wohlfahrtspflege NRW; zudem war er Sprecher der Nationalen Armutskonferenz. Die Ungleichverteilung habe sich verfestigt und sei „recht stabil“, auch wenn die „Spreizung“ zwischen Arm und Reich zunehme, sagt er. Zwar werde für ein „Existenzminimum“ der Armen gesorgt, aber nur gerade so, dass sie „ruhig bleiben“ und „es keine Aufstände gibt“.

Kinder oft schon in der Grundschule „abgehängt“

Oft hindere „Beschämung“ bedürftige Menschen daran, die ihnen zustehende Unterstützung in Anspruch nehmen. Früh trete die Ungleichheit der Chancen zutage. 20 Prozent der Kinder würden schon in der Grundschule „abgehängt“. Ebenso ändere sich nichts daran, dass über fünf Prozent der Schüler und Schülerinnen keinen Abschluss schaffen. Hensel forderte eine Kindergrundsicherung mit Sach- und Geldleistungen, etwa mit kostenlosem Mittagessen in der Schule und Lernmittelfreiheit.

Dafür trat auch Maja Iwer ein. Sie hob stärker auf die Unterschiede zwischen den Parteien ab. So kritisierte sie die FDP dafür, dass sie die Einführung der Vermögenssteuer und eben der Kindergrundsicherung blockiere. Prioritäten zu setzen, sei Sache politischer Entscheidungen. Investiere man eher in Krankenhäuser und Schulen oder aber in die Bundeswehr und den Schutz großer Konzerne vor der Insolvenz? Wo Hensel von „Beschämung“ sprach, sagte sie, der Gang zur Arbeitsagentur sei für viele eine „Schikane“. Es gelte, diejenigen, die sich Hilfe holen, zu „entstigmatisieren“, statt ihnen anzuhängen, sie würden „als Sozialschmarotzer das System ausnutzen“.

Armut durch Krankheit oder Arbeitslosigkeit

Er kenne viele Menschen, die in Armut geraten seien, ob durch Krankheit oder Verlust des Arbeitsplatzes, sagt Sebus. Wichtig sei, dass sie ihre Selbstachtung nicht verlören, und zugleich, ihnen Respekt und Anerkennung entgegenzubringen. Auf die Frage von Akademie-Leiter Norbert Bauer, was die Podiumsgäste sich wünschten, antwortete Sebus: „Dass die Menschen miteinander offener und ehrlicher umgehen.“