Stadtarchiv-EinsturzOberirdischer Gedenkort am Waidmarkt konkretisiert sich

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Die Einsturzstelle des Stadtarchivs am Waidmarkt.

Die Einsturzstelle des Stadtarchivs am Waidmarkt.

15 Jahre nach dem Stadtarchiv-Einsturz gibt es endlich Planungen, wie an die Katastrophe erinnert werden soll. Dafür stehen knapp 5 Millionen Euro bereit.

Mehr als 15 Jahre nach dem Einsturz des Stadtarchivs soll auf dem Waidmarkt eine erste geplante Kunstaktion stattfinden, um an die Katastrophe zu erinnern. Die Künstlergruppe „Observatorium“ aus Rotterdam soll im Sommer mit einer „künstlerischen Intervention“ beauftragt werden, die noch im Herbst 2024 stattfinden soll. Die Kunstaktion soll unter dem Motto „Die Zukunft des Stadtgedächtnisses“ stehen. Das geht aus dem Ergebnisbericht der Projektwerkstatt hervor, die an Konzepten für einen Erinnerungsort am Waidmarkt gearbeitet hat.

Neben der Stadt, Stadtplanern und Architektinnen waren daran auch die Bürgerinitiativen „Köln kann auch anders“ und „Archivkomplex“ beteiligt, die sich in Folge des Stadtarchiveinsturzes gegründet hatten. Am 3. März 2009 stürzte bei den Bauarbeiten an der Nord-Süd-Stadtbahn das Stadtarchiv an der Severinstraße ein. Zwei Menschen starben, weil auch angrenzende Häuser einstürzten. Unzählige Dokumente wurden verschüttet.

4,8 Millionen Euro stehen für Gedenkort zur Verfügung

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2020 wurde außergerichtlich ein Vergleich zwischen der Stadt, der KVB und der bauverantwortlichen Arge Nord-Süd geschlossen. Für einen Erinnerungsort an den Archiveinsturz muss die Arge der Stadt 4,8 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Diese wurden lange für die Idee eines unterirdischen Gedenkortes namens „K3“ (steht für Kunst, Kultur und Kommunikation), der „Halle mit dem Knick“ vorgesehen. 2020 hatte der Stadtrat den Kulturraum beschlossen. 2023 wurde die Entscheidung allerdings zurückgenommen. Laut der Stadtverwaltung wären zu viele Risiken damit verbunden, vor allem beim Brandschutz und den Fluchtwegen. Wegen der Lärmkulisse wäre eine kulturelle Nutzung zudem nicht möglich. Daher nun die oberirdischen Planungen.

Visualisierung der Planung für die Halle mit dem Knick (K3).

Visualisierung der Planung für die Halle mit dem Knick (K3).

„Die Atmosphäre, die bei K3 entstanden wäre, ist sicherlich schwer zu toppen“, sagt Thomas Luczak, Architekt und engagiert bei „Archivkomplex“, die K3 mit vorangetrieben hatten. „Aber nun konzentrieren wir uns darauf, wie das Unterirdische auch oberirdisch sichtbar gemacht werden kann.“ Denkbar wäre beispielsweise eine Glasplatte, durch die in die Tiefe geschaut werden kann.

Nord-Süd-Bahn wird erst Anfang der 2030er-Jahre fertig

Die Wiederherstellung der U-Bahn-Baustelle und der Bau der Gleise der Linie 17 unter dem Waidmarkt wird noch bis in die 2030er-Jahre hinein dauern. Eine Haltestelle entsteht am Waidmarkt nicht, hier wird ein Gleiswechselwerk gebaut, über das die Bahnen zwischen den Haltestellen Heumarkt und Severinstraße fahren. Ein oberirdischer Gedenkort kann daher auch erst dann final entstehen, wenn die Bauarbeiten abgeschlossen und die Baustelle oberirdisch final wieder abgedeckt ist. Bis dahin sollen in den kommenden Jahren trotzdem schon erste künstlerische Impulse zu sehen sein.

2025 soll das „Jahr der Ideenschmiede“ werden, in dem Freiraumvisionen realisiert werden sollen. 2026, im „Jahr des Schwurs“, soll dann der Ratsentscheid zu den in Werkstätten erarbeiteten Konzepten für den oberirdischen Gedenkraum gefällt werden, bevor es 2027 dann in das „Jahr des Entwurfs“ geht. Künstlerische Impulse sollen dabei jeweils konkrete Planungsschritte und politische Entscheidungen flankieren.

Kunstaktionen am oberirdischen Gedenkort am Waidmarkt

„Die Frage ist, wie wir als Stadtgesellschaft mit der Erfahrung dieser Katastrophe umgehen“, sagt Luczak. „Von den Angehörigen des NSU-Anschlags auf der Keupstraße habe ich mir einen guten Satz gemerkt: Wir müssen ein kritischer Stachel sein.“ Der oberirdische Erinnerungsort am Waidmarkt müsse mehr sein als ein Gedenkort. Es brauche eine stadtgesellschaftliche Nutzung. „Der Platz war schon vor der Katastrophe weitestgehend ungesehen, abgehängt von den anderen Stadträumen. Obwohl er so zentral liegt“, so Luczak. Die Projektwerkstatt hat nun Perspektiven dafür erarbeitet, dass aus dem Waidmarkt ein Ort des Engagements und des Austausches werden soll. Unter der Frage: „Gedenken, aber wie?“ hält die Projektwerkstatt drei Erkenntnisse fest:

Erstens: In direktem Zusammenhang mit der Einsturzstelle soll es ein angemessenes Zeichen für die zwei Verstorbenen geben. Auch dem kulturellen Verlust soll gedacht werden, dazu soll das „in Teilen der Stadtgesellschaft empfundene ‚institutionelle Versagen‘ Ausdruck finden“. Zweitens sollte die Reaktion auf den Einsturz nicht nur rückwärtsgewandt, sondern zukunftsorientiert sein und sich auf die lokale Demokratie und die kommunalpolitische Beteiligung der Zivilgesellschaft beziehen. Dazu soll auch mit den benachbarten Schulen zusammengearbeitet werden. Und drittens soll sich die Aufarbeitung des Einsturzes nicht nur auf den Waidmarkt konzentrieren, sondern zu einem Gesamtkonzept der Stadtentwicklung führen.

Der Waidmarkt selbst soll Freiflächen für Gemeinwohl, Kultur und Bildung haben. Hier soll es laut Luczak sowohl „Experimentierorte für Ernährung und Klima, als auch Denk- und Kreativräume“ geben. Für 2024 besteht der Projektwerkstatt zufolge die Chance, das Jahr zu einem „Game Changer“ für das öffentliche Bewusstsein zu machen: „als Übergang von der Vergangenheit in die Zukunft und als ideeller Öffner des heute hermetisch abgeschlossen Orts der Baustelle“.