StadtgeschichteAls in Köln Missstände noch mittels Plakaten angeprangert wurden

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Die Ausstellung zeigt Plakate, die in den  70ern und 80ern in Köln den Diskurs bestimmten.

Köln – „Eigentlich gehören Plakate an die frische Luft“, sagte Martin Stankowski bei der Eröffnung der Ausstellung „AnSchläge – 5 Jahrzehnte politische Plakate in Köln“ in den Kunsträumen Horbach. Stankowski weiß, wovon er redet. Anfang 1972 gründeten er und sein Bruder Jochen zusammen mit Ivo Rode einen selbstverwalteten Druckbetrieb in Niehl mit dem Namen „Betrieb am Niehl“. Dort wurde über mehrere Jahrzehnte Material von Kölner Initiativen getextet, gestaltet und gedruckt: Flugblätter, Plakate, Schüler- und Betriebszeitungen, Broschüren – kurz: Alles, was im Offset-Druck hergestellt werden konnte. Zahlreiche Beispiele dieser Arbeit sind jetzt in der Ausstellung zu sehen.

50 Jahre Stadtgeschichte fernab der offiziellen Lesart erwarten den Betrachter. Köln war gerade in den 70er und 80er ein Hotspot für politische Statements im öffentlichen Raum. Und so begegnet man natürlich der Geschichte des Stollwerck-Geländes mit der Besetzung von Fabrikgebäuden und dem schlussendlichen Verkauf. Und natürlich spielt auch das Kölner VolksBlatt eine tragende Rolle in der Ausstellung.

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Martin Stankowski betrieb früher eine Druckerei mit dem Namen „Betrieb am Niehl“. 

25 Exemplare der Zeitung sind vollständig erhalten. „Das VolksBlatt hatte den Nachteil, dass es verkauft werden musste“, erinnerte sich Stankowski. Nicht zuletzt deshalb nutzte man Wandzeitungen, um die Leute zu informieren. Die wurden in Auflagen von 500 Stück manchmal nachts geschrieben, gedruckt und schon am frühen Morgen an Bauzäune, Container, in Bahnunterführungen, an Abrisshäuser und öffentliche Gebäude geklebt. Häufig gab es Anzeigen wegen Sachbeschädigung. Skurril waren die Fälle, in denen es deswegen zur Anklage kam, das entsprechende Haus aber schon nicht mehr stand.

Plakate in Köln prangerten Missstände an

Vor allem gesellschaftliche Missstände wurden mit Plakaten angeprangert. „Schafft die Irrenhäuser ab“ lautete eine Forderung gerade an den Landschaftsverband Rheinland, in dessen Landeskrankenhäusern bis in die 80er Jahre unhaltbare Zustände herrschten. Medikamentenmissbrauch, Isolation und Zwang waren an der Tagesordnung. Der öffentliche Protest bewirkte, dass das Haus in Brauweiler geschlossen werden musste.

Auf einem Plakat sieht man, wie eine Abordnung der Sozialistischen Selbsthilfe Köln das damalige katholische Mädchenheim an der Clarenbachstraße „besucht“, und die Gitter vor den Fenstern durchsägt. „Einer von denen mit Säge war der heutige Bezirksbürgermeister Andreas Hupke“, erzählte Stankowski schmunzelnd. Natürlich ist auch die Hausbesetzer-Szene prominent vertreten. Die kommunizierten damals über Plakate wie das heute über die sozialen Medien geschieht. Und weiter geht die Reise durch die Geschichte aus subkultureller Perspektive. Die Frauenbewegung, Krieg und Frieden, Kirche und Religion sowie lokale Skandale sind weitere Themen. „Damals waren die Täter viel leichter zu benennen“, erinnerte sich Stankowski. Heute seien eher namen- und gesichtslose Großkonzerne in Tricksereien verwickelt.

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Natürlich war auch die geplante Stadtautobahn im Rechtsrheinischen Thema im Kölner VolksBlatt bei der Ausstellung in den Kunsträumen Horbach.

Dass damals viele Plakate auf farbigem Papier gedruckt wurden, hatte laut Stankowski einen einfachen Grund: „Farbiges Papier war billiger als farbig zu drucken.“

In einer Video-Botschaft zur Ausstellungseröffnung regte sich der Kabarettist Jürgen Becker über die heutige „Verschandelung“ des öffentlichen Raumes mit großformatigen Werbeplakaten auf. „Überall dieser Schrott. Jede Allee wird zur Schnäppchen-Chaussee. Bei RTL kann man immerhin umschalten.“ Es gebe sogar Plakatwände, die sich mit den Smartphones der Vorübergehenden vernetzten und die angezeigten Werbebotschaften personalisierten. „Früher gab es intelligente Plakate, die den politischen Diskurs anregten. Das ist lange vorbei.“ Das Museum für Angewandte Kunst hat angekündigt, die Plakate nach Ende der Ausstellung in seine Sammlung zu übernehmen.

„AnSchläge – 5 Jahrzehnte politische Plakate in Köln“ in den Kunsträumen Horbach, Wormser Straße 23. Geöffnet bis zum 24. November mittwochs und freitags von 17 bis 19 Uhr, samstags von 14 bis 17 Uhr und sonntags von 11 bis 14 Uhr.