Ein Tag beim Kölner Polizeinotruf„Kommen Sie schnell! Meine Eltern schlagen sich!“

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Videobeobachtung Polizei Köln

Der Videobeochachtungsraum der Kölner Polizei-Leitstelle. Von hier aus werden mehrere große Plätze in der Innenstadt videoüberwacht.

  • Mehrere Tausend Notrufe kommen täglich in der Leitstelle der Kölner Polizei an. Traurige, tragische, skurrile, dringende, weniger dringende. Nicht immer geht es um Leben oder Tod. Wer ruft hier an? Ein Nachmittag bei der 110.

Köln – „Polizeinotruf“ - „Bitte kommen Sie schnell“, flüstert die junge Frau am anderen Ende der Leitung in gebrochenem Deutsch. - „Wo sind Sie? Was ist passiert?“ - „Rochusstraße in Ossendorf. Meine Eltern haben Streit, sie sind laut, sie schlagen sich.“ – „Sind Sie noch in der Wohnung bei Ihren Eltern?“ - „Ja“ - „Wir schicken sofort jemanden. Dauert nicht lang.“

Bei häuslicher Gewalt ist Eile geboten. Leitstellen-Mitarbeiterin Melanie Hesseler funkt alle Streifenwagen der Polizeiinspektion West an. Ein Team ist in der Nähe, schaltet Blaulicht an und fährt zum Einsatzort. „Das war schon merkwürdig“, sagt Hesseler. „Wenn sich die Eltern streiten würden, hätten wir im Hintergrund etwas hören müssen. Schreie zum Beispiel. Aber es war total ruhig.“ Die Polizisten vor Ort aber bestätigen die Anruferin. Es ist nicht der erste Fall häuslicher Gewalt bei dem Paar. Der Vater muss für zehn Tage die Schlüssel abgeben.

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Es ist 19.06 Uhr, in der Leitstelle des Polizeipräsidiums in Köln-Kalk sitzt die Spätschicht und nimmt Notrufe aller Art aus Köln und Leverkusen entgegen. Es sind tragische, traurige, skurrile. Dringende, weniger dringende. Meist mehrere Tausend Menschen wählen die 110 pro Tag, rund um die Uhr. Die Behörde legt größten Wert auf Vertraulichkeit. Als erstes Presseteam war der „Kölner Stadt-Anzeiger“ aber einen Nachmittag lang bei etwa 50 Notrufen live dabei. Die Anrufer verbindet meist nichts, außer dass sie dringend Hilfe brauchen – oder zumindest vorgeben sie zu brauchen.

15.10 Uhr. „Polizeinotruf“ - „Ja, meine Handtasche wurde gestohlen. Da war alles drin. Pässe, Karten, Geld. Alles!“, sagt die Frau hörbar aufgebracht. - „Wo sind Sie?“ - „Barbarastraße, Ecke Hauptstraße“ - „In Rodenkirchen?“ - „Ja.“ - „Sie können auf der Wache Anzeige erstatten“ - „Wo ist denn die Wache?“ - „Nibelungenweg 2a“ - „Danke. Dann fahre ich da hin. Schönen Tag noch.“

„Die Menschen sind gemütlicher geworden“, sagt Hesseler. Adresse und Telefonnummer von der Polizeiwache stehen im Internet. „Dafür braucht man nicht die 110“, sagt sie. „Manchmal rufen uns Leute an, weil der Strom ausgefallen ist oder weil sie ‚mal eine Frage haben‘. Solche Telefonate beenden wir meistens schnell. Manche machen sich auch einen Spaß daraus, bei uns eine Pizza zu bestellen.“

Hesseler spricht unaufgeregt, in der Stimme dezent, in Ton und Inhalt klar. Manche mögen das kühl und distanziert finden, andere zweckdienlich, denn bei jedem nächsten Anruf könnte es um Leben oder Tod gehen. Viele haben heute Nachmittag jedenfalls keinen Notfall, aber irgendein Mitteilungsbedürfnis. „Die Leitungen müssen immer für Notrufe frei sein. Deshalb halten wir uns in allen anderen Fällen so kurz wie möglich“, sagt sie. Dienstgruppenleiter Dirk Weber ergänzt: „Wir nehmen uns nicht mal Zeit für Begrüßungsformeln wie ‚Guten Abend‘ oder ‚Wie kann ich weiterhelfen?‘. Bei uns geht es um jede Sekunde, um die wichtigsten Fragen zu klären: Was ist passiert und wo ist der Anrufer? Dann können wir schon mal die Kollegen schicken.“

Leitstelle Polizei Köln

Mehrere Tausend Notrufe pro Tag: Die Leitstelle der Kölner Polizei

16.14 Uhr. „Polizeinotruf“ – „Ja, der Sicherheitsdienst vom Ebertplatz. Hier randaliert einer an den öffentlichen Toiletten. Da wo es zur U-Bahn geht.“ – „Wir schicken jemanden.“

Auf den Leinwänden im Videobeobachtungsraum ist kurze Zeit später zu sehen, wie ein Streifenwagen mit Blaulicht auf den Platz fährt. Die Bilder, die die Kameras von insgesamt fünf Kölner Plätzen aufnehmen, sind gestochen scharf. Die Frau am Monitor sucht den gesamten Platz ab, zoomt in die Passagen-Eingänge heran. An einigen Stellen blockieren Wahlplakate an den Laternen die Sicht. Auch die Streifen vor Ort finden niemand Verdächtigen. Der Einsatz wird beendet.

Etwa 100 Mitarbeiter hat die Leitstelle, darunter die Videobeobachter und drei Leitstellentische, die nur die Einsätze auf den gut 570 Autobahnkilometern im Regierungsbezirk Köln koordiniert. Bis zu elf Notruf-Plätze sind besetzt. Etwa 1000 Einsätze kommen im Schnitt täglich zusammen, die Zahl der Anrufe wird nicht erfasst, liegt aber um ein Vielfaches darüber.

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16.57 Uhr. „Polizeinotruf“ – „Ich wurde gerade ausgeraubt. Der Mann hat mir die Handtasche abgenommen und ist abgehauen!“, sagt eine ältere Frau, hörbar außer Atem. – „Wo ist das passiert?“ – „Liszt-Straße 3“ – „Franz-Liszt-Straße?“ – „Ja“ – „In Ehrenfeld?“ – „Ja“ – „In welche Richtung ist der Täter geflohen?“ – „Das weiß ich nicht.“ - „Sie sind aber sicher in Ehrenfeld“– „Ja“ - „Wir schicken sofort Streifenwagen.“

Alle verfügbaren Streifenwagen beordert Hesseler zur Fahndung in die Gegend. Die Chance, den Täter jetzt in der Nähe des Tatorts zu finden ist weitaus höher als in den nächsten Tagen. Im Funk ist zu hören, wie die Straßen und Plätze im Ehrenfelder Westen durchkämmt werden. Der Täter bleibt unentdeckt, auch die Franz-Liszt-Straße 3 suchen die Polizisten vergeblich.

Rückruf. „Die Polizei-Leitstelle hier. Wo sind Sie jetzt?“ – „Immer noch Friedrich-Liszt-Straße“ – „Friedrich-Liszt-Straße?“ – „Ja.“ – „Die ist in Opladen.“ – „Genau.“

Wichtige Minuten sind vergangen, die Suche wird nach Leverkusen verlagert und irgendwann eingestellt. „Wir haben mehrmals gefragt, ob sie in Ehrenfeld ist“, sagt Hesseler. „Naja, kann passieren.“ Ob sie sich ärgert? Nein, sagt sie. Für Gefühle bleibt hier ohnehin kaum Zeit. Im Minuten-, manchmal Sekundentakt kommen die Anrufe an. Außerdem muss man funktionieren, sagt Hesseler, sonst macht einen der Job fertig. Viele wechseln nach einiger Zeit, Hesseler ist geblieben, seit zehn Jahren, trotz allem. Spätdienste an Heiligabend, Nachtschichten an Silvester. Alles hat sie erlebt. Während einer Nachtschicht im April 2018, sagt sie, habe eine Frau aus Dünnwald panisch angerufen, als ihr Sohn gerade dabei war, seinem Stiefvater mit einer Axt den Schädel zu spalten. Als er fertig war, übernahm der junge Mann selbst den Hörer und sagte „es tut mir leid, ich habe gerade jemanden umgebracht. Ich habe mit meinem Vater gekämpft und ihm eine Axt in den Schädel gerammt.“ Hinterher, berichtet Hesseler, habe man ihr psychologische Hilfe angeboten, die sie aber nicht brauchte. „Immerhin konnte ich den Mann dazu bewegen, die Axt nach der Tat abzulegen und mit erhobenen Händen an die Tür zu kommen“, sagt sie.

DGL Dirk Weber

Dienstgruppenleiter Dirk Weber

17.44 Uhr. „Polizeinotruf“ – „Hier liegt ein Lkw-Reifen auf der Autobahn, samt Karkasse“ – „Wo sind Sie?“ – „Auf der A4“ – „Welche Richtung und welche Höhe?“ – „Richtung Aachen, Kreuz Köln-Süd“ – „Wo genau liegt der Reifen?“ – „Im Einfädelungsstreifen“ – „Danke, wir kümmern uns.“

Die Radio-Stationen werden jetzt informiert, die für eine Warnmeldung ihr Programm unterbrechen müssen, auch jedes Navigationsgerät bekommt den Hinweis. „Gerade auf der Autobahn ist es extrem wichtig, exakt zu wissen, wo der Anrufer ist. ‚A4 Richtung Köln‘ reicht nicht“, sagt Hesseler. „Viele Leute glauben, dass wir sie ja eh orten können. Aber die Realität ist anders als im Film.“

Immer häufiger, erzählt Hesseler, werden die Menschen aggressiv, unflätig, beleidigend. Zum Beispiel, wenn die Anrufer mal warten müssen. „Wir kategorisieren die Anrufe von 1 bis 5. Häusliche Gewalt und Gefahrenmeldung auf Autobahnen haben eine hohe Priorität. Da muss die Ruhestörung mal warten, wenn alle Streifen im Einsatz sind“, sagt Weber.

18.27 Uhr. „Falschfahrer!!“, ruft ein Polizist durch den Raum. „A553, Brühl Nord!“. Es wird still.

Ein Anrufer will einen schwarzen BMW gesehen haben, der sich gedreht haben und auf der falschen Seite Richtung Eifel weitergefahren sein soll. Die Stimmung spitzt sich zu, man wartet auf weitere Meldungen. Alle verfügbaren Polizisten in der Gegend fahren nun die Autobahn ab, beruhigen den Verkehr, sperren die Zufahrten. In der Leitstelle hält einer den Kontakt zum Anrufer, ein anderer koordiniert per Funk die Streifen. „Wir müssen immer vom schlimmsten Fall ausgehen“, sagt Weber. „Und wir arbeiten das jetzt professionell ab. Aber sind wir ehrlich: Werktags um 18.30 Uhr müssten wir eigentlich schon mehr Meldungen haben.“ Am Ende stellt sich der Anruf als Falschmeldung heraus. Wahrscheinlich hatte sich der Wagen auf Regennasser Fahrbahn gedreht und ist kurzzeitig in die falsche Richtung gefahren.

19.30 Uhr. Für Melanie Hesseler geht die Schicht noch ein paar Stunden. Was der Abend noch bringt, weiß sie nicht. Alles kann kommen. Oder nichts. „Darüber darf man sich keine Gedanken machen“, sagt sie. Was sie aber weiß ist, dass sie nach Feierabend nicht mehr ans Handy gehen wird. „Privat habe ich keine Lust mehr zu telefonieren“, sagt sie. Nicht nach mehr als 100 Telefonaten jeden Tag.

*Einige Namen, Straßen und Uhrzeiten wurden zum Zweck des Identitätsschutzes von der Redaktion geändert.