Claus Richter in KölnVerschwende deine Zeit, nicht deine Jugend

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Der geöffnete Karton eines Brettspiels liegt auf einem weißen Boden.

Ein Brettspiel der Ausstellung beschließt Claus Richters „A deliberate waste of precious time“ in der Kölner Galerie Marietta Clages.

Der Kölner Künstler Claus Richter bastelt in der Galerie Marietta Clages an einer Welt, in der die gnadenlos ablaufende Zeit stillsteht.

„Alles, was ich heute mache“, sagt Claus Richter, „ist das Gleiche, was ich als Neunjähriger getan habe – nur mit einem anderen Kopf.“ In diesem stecken gerade unteren anderem der Rokokomaler Fragonard, wissenschaftliche Betrachtungen zum Zeitempfinden unter Schwerelosigkeit oder die Idee, dass man die eigene Ausstellung als Brettspiel nachbauen kann. Von all dem ahnte der kleine Richter wohl so wenig wie von der Zwiespältigkeit des Erwachsenenseins. Das hat sich allerdings grundlegend geändert. Heute dreht sich die Welt des Kölner Künstlers um die Frage, wie man seinem kindlichen Ich und seinem erwachsenen Selbst gleichzeitig treu bleiben kann.

Um diesen Zwiespalt herum baut Richter seine lebensgroßen Puppenstuben und Theaterbühnen, auf denen einem, wie jetzt in der Kölner Galerie Marietta Clages, ein Klassiker der Kunstgeschichte schon mal als Laubsäge- und Bastelarbeit wiederbegegnen kann. Auf Jean-Honoré Fragonards Gemälde „Die Schaukel“ (1767-68) verliert eine neckische Dame in luftiger Höhe einen Schuh; bei Richter ist es ein hölzerner Harlekin, der im Galerieschaufenster zwischen kantigen Singvögeln, künstlichen Blumengirlanden und zwei Gartengittern mit herzförmigen Ornamenten um sein Leben zu schaukeln scheint. An der Rückwand spielt dazu ein hölzernes Orchesterrelief auf. Nur eine gnadenlos die verstreichende Zeit zählende Digitaluhr stört die im Selbst-ist-der-Mann-Manier nachgebaute Rokokoseligkeit.

Richter versucht, seinem kindlichen Ich und seinem erwachsenen Selbst gleichzeitig treu zu sein

Claus Richter nennt seine über fünf Räume und zwei Stockwerke verteilte Schau „A deliberate waste of precious time“, was man unbedingt als Einladung verstehen soll, seine kostbare Zeit freimütig in etwas derart Nutzlosen wie einer Kunstausstellung zu verschwenden. Auch seine mechanische Schaukel wird im Grunde von einer philosophischen Frage angetrieben: Dehnt sich die Zeit, wenn wir sie mit sinnlosen Vergnügungen vertun, oder ballt sie sich zusammen? Und ist alles, was uns vom Diktat der Zeit befreit, nicht das Gegenteil von sinnlos?

Das zeitentrückte Glück findet Claus Richter offenbar am Umkehrpunkt beim Schaukeln oder im handgemachten Nachbau nostalgischer Erinnerungen. Bei Clages führt uns ein Erklärcomputer, wie man ihn so ähnlich in den 1980er Jahren in vielen Museen fand, mit leicht quäkender Stimme in die Themen der Ausstellung ein (ohne allerdings wirklich etwas zu erklären), und etwas später treffen wir einen Laserblitze schleudernden Disco-Pierrot, der, wie einst Richter, die Nacht zum ewig glitzernden Tag zerdehnt. Mit naiven Landschaften im modernisierten Grant-Wood-Stil spielt der handwerklich umfassend halbbegabte Künstler wiederum auf die kontemplative Naturerfahrung an.

Das Zeitempfinden ist so subjektiv wie die Erinnerung, weshalb Claus Richter seine kostbare Zeitverschwendung mit einem Brettspiel seiner Ausstellung enden lässt. In diesem sind wir alle Spielfiguren seiner persönlichen Obsession, und zugleich reisen wir mit ihm in die eigene Vergangenheit zurück. Richter mag mehr Brettspiele gesammelt haben als alle Besucher seiner Ausstellung zusammen. Aber an das kindliche Spiel erinnern wir uns alle gern. In der Welt der Erwachsenen kommt man ihm am nächsten, wenn das Spielerische zur Kunstform wird.


„Claus Richter. A deliberate waste of precious time“, Galerie Marietta Clages, Brüsseler Str. 5, Köln, Di.-Fr. 13-18 Uhr, Sa. 13-17 Uhr, 24. Mai bis 6. Juli. Eröffnung: Do., 23. Mai, 18 Uhr

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