„der die Dada“ im Arp-MuseumWie man dem Feminismus schöne Beine macht

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Marcel Duchamp posiert als Frau mit Federhut.

Man Rays „Porträt von Rrose Sélavy (Marcel Duchamp)“ aus dem Jahr 1921

Das Arp-Museum widmet sich den Frauen der Dada-Bewegung, die auch aus feministischer und queerer Perspektive immer noch aktuell ist.

„Das Weib entzückt durch seine Beine, ich bin ein Mann, ich habe keine.“ Kurt Schwitters schrieb dieses kleine Nonsens-Gedicht im Geiste des Dadaismus, aber für dessen Gralshüter war derlei schon wieder viel zu bürgerlich und leicht verkäuflich; Reime waren nur erlaubt, wenn die Sprache darin zu sinnloser Lautmalerei zerbröselte. Schwitters verzog sich in seine Heimatstadt Hannover und taufte sein persönliches Dada-Imperium „Merz“ - wie in Kommerz.

Mitunter ähnelte Dada, die 1916 als Antwort auf die Weltkriegsgräuel gegründete Sinnzerstörungsmaschine eher einem elitären Club als einer für alles und jede(n) offenen Antikunstbewegung. Auch die Frauen hatten es bei den Dadaisten nicht schon deswegen leichter, weil sie in ihre Manifeste schrieben, dass sich die Grenzen zwischen den Geschlechtern (wie die Grundfesten von Moral, Recht oder Kapitalismus) angeblich auflösten. Bei der nach 1945 einsetzenden Historisierung der Bewegung wurden die Dada-Frauen dann teilweise nachträglich aus dem Club geworfen – oder zum entzückenden Beiwerk degradiert.

Mittlerweile wird der weibliche Anteil am Dadaismus eingehender erforscht, nun auch im Arp-Museum

Mittlerweile wird der weibliche Anteil am Dadaismus eingehender erforscht, und so kann das Arp-Museum Bahnhof Rolandseck in seiner Ausstellung „der die Dada – Unordnung der Geschlechter“ zu beinahe jedem Mann eine Frau (oder etwas dazwischen) präsentieren. Diese Paarbildung liegt auch deswegen nahe, weil sich die Dadaisten vor allem aus (späteren) Eheleuten rekrutierten, angefangen bei Hans Arp und Sophie Taeuber, den Hausheiligen des Arp-Museums, über die Cabaret-Voltaire-Mitbegründer Emmy Hennings und Hugo Ball bis hin zu Pärchen, von denen heute nur noch der beinlose Teil die Kunstgeschichte ziert. Wer kennt schon Luise Straus-Ernst, Agnes Arntz oder Gabrielle Buffet-Picabia, wobei man gerade bei Straus-Ernst auch fragen kann, ob überhaupt etwas erhalten ist, was den Titel Werk verdient? Es liegt in der Natur einer Antikunstbewegung nicht viele Kunstwerke zu hinterlassen. Bei der ersten Ehefrau des Surrealisten Max Ernst ist es exakt eins.

Die Kuratorinnen nähern sich der dadaistischen Unordnung der Geschlechter über die Hauptstädte der Bewegung. Am Anfang steht Zürich mit den Bühnen- und Tanzeinlagen des Cabaret Voltaires, von denen allerdings kaum Dokumente existieren. Man sieht Hans Arp und Sophie Taeuber in eckigen Verkleidungen, dazu einige von Taeubers schönen Masken- und Kostümbildern sowie Aufnahmen von Emmy Hennings, die als professionelle Schauspielerin und Sängerin im Grunde überqualifiziert für Dada war. Die Geschlechterrollen lösen sich hier allerdings am ehesten auf den Bildern Rudolf von Labans auf, der am Lago Maggiore Ausdruckstänzer zur Ekstase führte. Labans Einfluss auf Dada ist verbürgt, auch wenn seine wallenden Gewänder nicht zu den steifen Kostümen der Arps zu passen scheinen.

In Paris, der Hauptstadt der damaligen Kunstwelt, wurden die Dadaisten zunächst mit großem Hallo begrüßt - und dann vom Surrealismus aufgefressen. Der Pariser Kunstszene war nicht entgangen, dass Dada eine Bewegung mit Selbstzerstörungsmechanismus war. Man nahm die Anregungen dankbar auf: die Wildheit, das Collage-Prinzip, die Ablehnung der Vernunft, um sie dann in neue Kunstformen einzubauen. Für die Surrealisten war Dada wie die Pubertät - absolut notwendig und unvermeidlich, aber irgendwann musste es dann auch vorüber sein.

Drei Masken aus geometrischen Formen mit Punkten als Augen und Halbkreisen als Haaren.

Sophie Taeuber-Arps „Motif abstrait (masques), Composition verticale-horizontale“ gehört zu den Glanzstücken der Ausstellung im Bahnhof Rolandseck

Gediegen wirkt der Paris-Abstecher im Arp-Museum. Wir sehen Kostümentwürfe von Sonia Delaunay, ein Tristan-Tzara-Porträt ihres Ehemannes Robert (der Oberdada trägt darauf wohl einen bunten Sonia-Schal), eine seltene Collage mit kopfstehendem Eiffelturm von Suzanne Duchamp (Marcels Schwester) und Plakate der Schauspielerin Musidora, die als Emma Peel der Stummfilmzeit eher dem Surrealismus (und der vampirhaften Weiblichkeit) zugerechnet wird. Deutlich ungeordneter sind die Geschlechter in René Clairs Kurzfilm „Entr’acte“: Wir sehen lange einer Tänzerin unter den Rock, bis sie sich als bärtiger Mann entpuppt.

Beinahe wie alle Ausstellungen zum Dadaismus krankt auch diese daran, dass sie fehlende oder verschollene Kunstwerke durch Materialien ersetzen muss. Von der legendären Kölner Dada-Episode sind vor allem Drucksachen geblieben, etwa ein kleines ABC-Bilderbuch von Angelika Hoerle oder Max Ernsts „Fiat Modes“, das pseudowissenschaftliche Schnittmuster für die Mode des modernen Maschinenmenschen. Anderes existiert nur noch als Legende, allen voran das brave Kommunionskind, das den „Dadafrühling“ im Brauhaus Winter mit ordinären Reimen begrüßt. Stattdessen sind in Rolandseck mehrere Künstlerporträts von August Sander zu sehen, und Werke der späteren Kölner Progressiven, die sich im Zuge der Dada-Begeisterung zur Stupid-Gruppe formierten.

Die Frage, wer das erste Ready-Made erfand, wird auch im Arp-Museum nicht geklärt

Bei den Kölner Progressiven zeigt sich ein anderes Problem der Dada-Schau. Sie kehrten ihren Dada-Anfängen den Rücken, um sich einer sozial engagierten, eher neusachlichen Kunst zu widmen. Bei ihnen wirken die Dada- wie die Flegeljahre, und bei einigen Exponaten braucht es viel Fantasie, um die Nachwehen der dadaistischen Zerstörungslust zu erkennen. Die Frage, wo Dada aufhört und sich in etwas Neues verwandelt, ist allerdings von Natur aus akademisch; die Dadaisten wurden nicht müde zu erklären, sie wüssten selbst nicht, was Dada ist.

Bei den Collagen Hannah Höchs und John Heartfields kann man sich hingegen sicher über die dadaistischen Ursprünge sein. Sie bilden einen Schwerpunkt im Berliner Ausstellungsteil, neben Schwitters Merz-Kunst und den grotesken Gesellschaftsporträts von George Grosz. Auf Grosz‘ gezeichneten Satiren sind die Geschlechterrollen allerdings noch mehr oder weniger in Ordnung: Die Männer sind Mörderschweine und die Frauen Huren. Verwirrender wird’s in New York, wo Marcel Duchamp und die Baroness von Freytag-Loringhoven mit dem Kleider- und Geschlechtertausch kokettierten. Die Frage, wer von beiden das erste Ready-Made, das Duchamp zugeschriebene Urinal erfand, wird, passend zu dieser Doppeltravestie, im Arp-Museum nicht geklärt.

Dafür zeigt die Ausstellung sehr schön, dass die Rolle der Dada-Frauen bedeutender war, als es lange behauptet wurde, und dass Dada bis heute aktuell geblieben ist. Der Dadaismus brachte der Kunst nicht weniger als die erste Universalsprache des Aufbegehrens gegen die als feindlich empfundene Welt. In allen Jugend- und Protestbewegungen finden sich daher Echos der Dada-Zeit, so wie die dadaistische Umwertung aller Werte selbst das künstlerische Echo einer radikalen Gesellschaftskritik gewesen ist. Das 1914 von Mina Loy verfasste „Feministische Manifest“ liest sich heute nicht weniger revolutionär als die Dada-Manifeste: „Kein bloßes Kratzen an der Oberfläche des vermüllten Haufens von Tradition wird eine Reform bringen. Der einzige Weg ist die absolute Zerstörung.“ Kurt Schwitters machte dieser Forderung dann schöne Beine.


„der die Dada - Unordnung der Geschlechter“, Arp-Museum Bahnhof Rolandseck, Remagen, Di.-So. 11-18 Uhr, 7. Juli 2024 bis 12. Januar 2025. Der Katalog zur Ausstellung kostet 38 Euro.