Die Macht der InfluencerVolks-Verblöder oder neue Helden?

Lesezeit 5 Minuten
Neuer Inhalt

Beauty-Influencerin Kandee Johnson

Vor zehn Jahren noch wusste kaum jemand, was Influencer sind – heute betreiben sie  schon in großem Stil  Volksverblödung. Das zumindest behaupten Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt  in ihrem Buch „Influencer – Die Ideologie der Werbekörper“.  Doch sind die einflussreichen Social-Media-Profis wirklich so schlecht wie ihr Ruf? Wir haben uns drei Behauptungen aus dem Buch näher angeschaut.

Influencerinnen sind antifeministisch

Ist Instagram frauenfeindlich? Eigentlich muss man sich ja schon  anstrengen, auf der Plattform eine Influencerin zu finden, die NICHT von sich selbst behauptet, Feministin zu sein. Tatsächlich hat Instagram ganz neue, sehr steile und meist weibliche Karrieren ermöglicht: Influencerinnen entscheiden selbst, für welche Produkte sie werben (und für welche nicht) und zu welchen Konditionen. Sie entscheiden genauso, welche Themen sie setzen, welche Kampagnen sie unterstützen. Sie schreiben Bücher, produzieren Podcasts, gründen Firmen oder kaufen welche.

Man könnte also sogar entgegen der These des Buchs auf die Idee kommen, Instagram sei ein Feminismus-Turbo. Wären da nicht diese Unmengen an Profilen, die uralte Frauenrollen zitieren und zementieren: Kochen, backen, Beauty, Kinder bespaßen, Mode, das Haus dekorieren. Und wären da nicht diese perfekt inszenierten, trainierten und bisweilen auch operierten Körper vieler  Influencerinnen – die fraglos völlig unrealistische Maßstäbe setzen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Insofern ist es  plausibel, wenn die Autoren schreiben, das Handeln der Influencerinnen sei „antifeministisch, festigt bestehende Ungleichheiten und spottet jedem emanzipatorischem Anspruch.“ Weniger plausibel ist es allerdings, dass sie Influencerinnen als homogene Gruppe betrachten, die alle das Gleiche (völlig Rückschrittliche) denken und posten.

Viele Influencerinnen reflektieren ihre Rolle durchaus kritisch, zeigen ungefilterte Fotos, Fettrollen, Cellulite. Diesen Kampf für ein positives oder im besten Fall sogar neutrales Körpergefühl kaufen ihnen die Autoren aber nicht als authentisch ab.

Sie gehen  sogar noch einen Schritt weiter: Zwar gestehen sie erfolgreichen Influencerinnen  zu, dass sie die (ursprünglich frauenfeindliche) Bildsprache der perfekten Körper inzwischen für ihre eigenen Zwecke besetzt haben. Doch diese Zwecke seien niedrig: Followerinnen würden bewusst unmündig gehalten, damit sie weiter einem unrealistischen Schönheitsideal nacheifern: „Nur dadurch können sie aus ihnen Profit schlagen, ihnen Kosmetikprodukte und Booty-Workouts verkaufen.“

So dämonisieren sie nicht nur sämtliche Influencerinnen als skrupellose Ausbeuterinnen – ihre (meist weibliche) Followerschaft wird gleichzeitig zur hilflosen Masse degradiert.

Follower und Followerinnen sind naive Opfer

Die Follower sind bei Wolfgang M. Schmitt und Ole Nymoen also hohle Konsum-Schafe, die gefügig den Influencern hinterhertrotten. Völlig verblendet bildeten sie sich dabei sogar noch ein, eigenständig zu handeln und zu denken.

Größtmöglicher Stillstand und Gleichförmigkeit sei dabei die Devise: „Die Influencer-Filmchen (…) hämmern ihren Followern im Schnittgewitter die Alternativlosigkeit des Status quo ein, den sie als großen Spaß verkaufen.“

Ein Staat, schlussfolgern die Autoren, sei mit solchen willenlosen Konsum-Abhängigen nicht zu machen. Demokratie funktioniere nur mit mündigen Bürgern. Als quasi professionelle Verblöder „müssen die Influencer als jene begriffen werden, die zur Vereitelung dieses aufklärerischen Projekts das Ihre tun“.

Neuer Inhalt

Wolfgang M. Schmitt, geboren 1987, ist  Filmkritiker, Youtuber („Die Filmanalyse“), Podcast-Moderator („Wohlstand für alle“ mit Ole Nymoen) und Autor.

Ole Nymoen, 23,  ist freier Journalist und Student der Soziologie und Wirtschaftswissenschaften.

Ole Nymoen/Wolfgang M. Schmitt: „Influencer – Die Ideologie der Werbekörper“, Suhrkamp,  192 Seiten,  15 Euro. E-Book: 13,99 Euro.

#bigimage

Es stimmt ja: Die freundschaftliche Augenhöhe, die Influencer  simulieren, existiert  nicht. Und gerade unter den sehr jungen Followern könnten das einige missverstehen – genau wie die Hochglanz-gefilterten und inszenierten Scheinwelten, die Spontanität und Alltag vortäuschen.

Viele Freunde werden sich die Autoren mit ihrem bedingungslosen Kulturpessimismus trotzdem nicht machen: Schließlich folgen wir  im Jahr 2021 fast alle irgendwem irgendwo.

Und die Argumentationslinie „Die naive Masse hat die Wirklichkeit nicht erkannt (wir aber schon)“ ist nicht nur  unsympathisch. Sie erinnert in ihrer Arroganz auch an gängige Beiträge in den Kommentaren der sozialen Medien.

Apropos Kommentarspalten: Wären die Follower tatsächlich so unkritisch – wie erklären sich dann eigentlich die vielen kritischen, oder sogar hasserfüllten, Nachfragen und Bemerkungen in diesen Kommentarspalten?

Politik ist nur Pose

Influencer und Influencerinnen thematisieren auch zunehmend politische Themen – das gestehen selbst Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt ihnen zu. Folgt man ihrer Argumentation, hat das aber nichts mit „echter“ Politik zu tun, sondern ist – einmal mehr – reine Pose: „Heute #blacklivesmatter, morgen #womensupportwomen – für jeden Tag des Jahres findet sich ein empowerndes Motto, das wenig Mühe kostet und viel Gratisapplaus bringt.“

Es stimmt: Trend-Themen wie Rassismus, Feminismus oder Nachhaltigkeit sind in den sozialen Medien omnipräsent und bleiben oft  an der Oberfläche. Es stimmt auch, dass gesellschaftliches Engagement immer auch Teil der Eigenmarke von Influencern ist. Der Eigenmarke, über die am Ende Produkte verkauft werden.

Wo verläuft die Grenze?

Doch wo verläuft die Grenze zwischen politischem Posen und echtem Engagement? Darf jemand, der für Lippenstifte wirbt, sich nicht für die  Rettung des Regenwaldes stark machen?

In Nymoens und Schmitts Logik können Influencer eigentlich nur alles falsch machen. Selbst ihr Engagement für nachhaltige Produkte wird bei ihnen zum „Distinktionsmerkmal der oberen Mittelschicht“.

Zwar treten Influencer als Menschenfreunde auf, schreiben die Autoren – aber nur aus reinem Eigennutz: „Sie können es sich leisten, jeden Tag auf der richtigen Seite zu stehen“. Schlimmer noch, sie würden gesellschaftlich relevante Themen vereinnahmen und damit den  „wirklichen Experten die große Bühne“ stehlen.

Das ist ein Schlag ins Gesicht aller, die sich in den sozialen Medien für wichtige Themen stark machen. Und damit, zumindest auf  Umwegen, Geld verdienen – das ist richtig. Die aber gleichzeitig außer „Gratisapplaus“ täglich Hass und Hetze über sich ergehen lassen müssen – bis hin zu Morddrohungen. Ein ziemlich hoher Preis, wollte man mit dem Gutmenschen-Bonus bloß möglichst viel Schminke und Fitness-Drinks verkaufen.