Felix-Festival in KölnIm schönsten Überschwang des Barock

Lesezeit 5 Minuten
FEL!X 2024 Coline Dutilleul - B'Rock Orchestra

Die Mezzosopranistin Coline Dutilleul im Stiftersaal des Wallraf-Richartz-Museums

Von Sakralmusik bis zu den Anfängen der Oper – so war das Wochenende auf dem Felix-Festival für Originalklang.

„Brabant 1653“ – da fällt einem spontan nicht so viel ein. Der 80-jährige Krieg zwischen Spanien und den Niederlanden war fünf Jahre vorbei. Und sonst? Dem niederländischen Instrumentalensemble Holland Baroque zufolge, das (unter seinen Gründerinnen, dem Zwillingspaar Judith und Tineke Steenbrink) im Rahmen des Kölner „Felix“-Festivals mit fünf Sängerinnen (Hannah Morrison, Camille Allerat, Lucretia Starke, Laura Lopes, Anthea Pichanik) in der Kölner Philharmonie Musik dieser Zeit und dieser Region unter ebendiesem Titel aufführte, waren es Jahre einer musikalischen Hochblüte. Die stellten sie anhand eines Streifzugs durch die (übrigens katholische) Sakralmusik dar. Die Komponisten heißen Cornelis Verdonck, Benedictus a Sancto Josepho, Carl Rosier, Jan Baptist Verrijt und Herman Holanders – no names in deutschen Ohren. Halt, bis auf Carl Rosier, der war immerhin um 1700 Kölner Domkapellmeister.

Die Agenda ist musikhistorisch allemal interessant genug, und die Abfolge der vielfältigen Klänge von der Gregorianik bis zu neuen volkstümlichen Strophenliedern sorgte für knapp anderthalb Stunden abwechslungsreichen Genuss. Freilich: Diese Musik an der Schwelle zum Hochbarock zeigte auch, dass die große musikalische Zeit der Niederländer damals vorbei war: Viel Kurzatmig-Abschnittsbetontes, immer wieder Refrains und chaconneartige Variationsformen, melodisch und harmonisch arg Schlichtes – nein, da war unter dem Qualitätsaspekt wohl unstrittig Luft nach oben. Das gilt aber nicht für die Aufführung: Vokal- und Instrumentalensemble ließen einen seraphischen Wohlklang, einen schieren Engelssound verströmen, dessen Suggestivität man sich so schnell nicht entziehen konnte.

Bei der Zugabe von Mezzosopranistin Coline Dutilleul blieb kein Auge trocken

Alles zum Thema Kölner Philharmonie

Dem Spätbarock mit Schätzen aus dem Archiv der deutsch-belgischen Adelsfamilie Arenberg – gleichsam der (bei „Felix“ 2024 leicht vernachlässigten) Kernperiode der „Alten Musik“ nach früheren Begriffen – hatten sich zuvor im Stiftersaal des Wallraf-Richartz-Museums die belgische Mezzosopranistin Coline Dutilleul und das Genter B'Rock Orchestra unter dem Konzertmeister Evgeny Sviridov gewidmet. Da gab es dann zum Teil sehr Bekanntes von Hasse, Rameau, Gluck, Vivaldi, Händel und anderen zu hören – großartig vital und klangschön in der Performance, mit exzellenten Sololeistungen etwa der Flötistin Tami Krausz und einem temperamentvoll-stilgerechten Continuo.

Dutilleul, keine typische Barockstimme, glänzte mit dramatisch-opernnahem Appeal und beachtlich unterschiedlichen Registerfarben zwischen Höhe und Altlage. Dass da auch ein paar arg angestochene Spitzen unterliefen – nicht weiter erheblich. Und Händels „Lascia ch'io pianga“ als Zugabe war so innig durchgestaltet, dass da so leicht kein Auge hätte trocken bleiben müssen.

Flandern und Italien als sich wechselseitig befruchtende Musiklandschaften – das ist ein Leitthema des diesjährigen Kölner „Felix“-Festivals. Tatsächlich reisten vor allem im 16. Jahrhundert nicht nur viele franco-flämischen Musiker in den Süden, sondern der „Süden“ kam auch in den „Norden“. So zum Beispiel Claudio Monteverdi, der sich 1599 im Gefolge seines Mantuaner Dienstherrn ins heutige Belgien begab, die ursprüngliche Heimat vieler Musiker, die er bewunderte und in seinen Werken zitierte.

Das Genter B'Rock Orchestra glänzte in der Philharmonie mit Messesätzen und Madrigalen Monteverdis

„Monteverdi in Flandern“ war dann auch eine so sinnvolle wie sinnfällige Programmüberschrift zum ersten Konzert von B'Rock – diesmal des Vocal Consort samt Instrumentalensemble. Beide glänzten in der Philharmonie mit Messesätzen und Madrigalen Monteverdis und eben seiner älteren flämischen Kollegen – wie Nicolas Gombert, Adrian Willaert, Giaches de Wert und Cipriano de Rore. Der deutsche Ensembleleiter Andreas Küppers, an Cembalo und Orgelpositiv tätig, lieferte zugleich seinen Debütauftritt im Kölner Konzerthaus ab. Nicht immer wurde er freilich als Continuo-Spieler benötigt, zuweilen konnte er auch einfach der grandiosen achtköpfigen Sängerinnen- und Sängerschar zuhören.

So oder so brachten die Gäste die Ausdrucksqualitäten des beginnenden Barock mit glühender Intensität herüber. Wenn bei „cruda Amarilli“ (Wert und Monteverdi auf den nämlichen Text) das „c“ knallt und damit die harte Bösartigkeit der Angebeteten so richtig herauskommt, fühlt sich der Zuhörer auch hier auf die Opernbühne versetzt. Nicht von ungefähr: Das Genre entstand damals. Und Monteverdis sinkende Chromatik geriet zum eindringlichen Klangbild einer schon szenisch realisierten Trauer – genauso, wie virtuos exekutierte Koloraturen aufs schönste freudigen Überschwang signalisierten.

Vorangegangen war diesem farbenstarken und erfrischenden Donnerstagskonzert in der Himmelfahrtskirche ein ebenfalls sehr nachdrücklicher Auftritt der illustren Cappella Amsterdam unter Daniel Reuss – mit vom 14-köpfigen Kammerchor gesungenen Bußpsalmvertonungen aus der Feder von Orlando di Lasso. Auch der war ein franco-flämischer Italienimport, freilich noch aus der Vor-Monteverdi-Generation und also ein Vertreter der „klassischen“ Vokalpolyphonie. Weil es da – im Unterschied zum monodischen Komponieren, also zur von Monteverdi so genannten „seconda prattica“ – auf die Präsenz des einzelnen Wortes nicht so ankommt, konnte die Performance auch die nicht ganz unproblematische Akustik des Raumes ganz gut verkraften.

Jedenfalls war es immer wieder faszinierend zu hören, wie die Profi-Sängerinnen und Sänger bei den imitierenden Abschnitt-Einsätzen die Akkorde sukzessiv aufbauten und die (klangliche wie tonartliche) Architektur der Musik erst mit dem letzten Einsatz definitiv „stand“. Da gab es auch kaum Intonationsfehler. Reuss schlug dabei die Sache gestalterisch nicht über einen Leisten: Mal entfaltete sich die Musik schwebend in weitgespannten Bögen, dann wieder, unter leichter Schlag-Forcierung, in kraftvollem Angang. Und schön anzuhören war immer wieder das synkopische Swingen der gegeneinander versetzten Stimmen.

Freilich: Vier solcher ausgedehnten David-Psalmen am Stück – das ist harter Tobak und so richtig wohl nur etwas für die Freaks. Es wiederholt sich aller künstlerischen Fantasie zum Trotz stilistisch dann doch auf die Länge, und den gemeinen Hörer verlangt es tendenziell nach Abwechslung.