Komponist starb vor 100 JahrenMax Bruch – Der rheinische Romantiker

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Max Bruch

Jüngere Versuche einer Revitalisierung des Gesamtwerkes blieben mehr oder weniger erfolglos, Max Bruch ist bis heute der Meister eines einzigen Werkes geblieben: seines ersten Violinkonzerts g-Moll Opus 26, mit dem er sich – an der Seite von Mendelssohn, Brahms, Tschaikowsky und Dvorak – in die Gipfellinie des romantischen Violinkonzerts einschrieb. Sicher, die „Schottische Fantasie“ ist zuweilen zu hören, und fast-berühmt ist sein „Kol Nidrei“ für Cello und Orchester – eine instrumentale Imagination des jüdischen Abendgebets.

Aber folgenlos blieben zum Beispiel die Bemühungen ausgerechnet zweier Gürzenich-Kapellmeister – James Conlon und Markus Stenz –, die die drei Sinfonien und die drei (!) Violinkonzerte auf CD bannten. Was sie wohl auch getan hätten, wenn ihnen Bruchs eigenes Urteil über ihr Orchester bekannt gewesen wäre: „Was schließlich Cöln betrifft“, schrieb der am 1. März 1869 anlässlich einer dortigen Aufführung seiner ersten Sinfonie, „so gelang es mir unter großen Anstrengungen endlich, die Vereinigung von Schlafmützen, welche das Gürzenich-Orchester bilden, ein bisschen in's Feuer zu treiben“.

Conlon und Stenz waren so oder so gut beraten, sich Bruch zuzuwenden – nicht nur aus musikalischen Gründen: Sie verbeugten sich vor dem Genius Loci, denn Max Bruch, der am Dienstag vor hundert Jahren 82-jährig in Berlin starb (das Todesdatum ist nicht ganz geklärt, oft wird auch der 2. Oktober genannt), war in Köln zur Welt gekommen – in der Richmodstraße als Sohn eines königlichen Polizeirats.

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In Köln als Wunderkind aufgefallen

Nicht nur das: Bruch ist im Zuge seiner Karriere relativ weit herumgekommen. In Köln als Wunderkind aufgefallen, studierte er am Ort bei Ferdinand Hiller und Karl Reinecke Komposition und Klavier. 1858 ging er nach Leipzig, wo er Ignaz Moscheles, Ferdinand David und Moritz Hauptmann kennenlernte. Koblenz, Sondershausen, Berlin, Bonn, Liverpool, Breslau und, in den letzten 30 Lebensjahren, erneut Berlin – das sind die Stationen einer von Erfolgen wie Misserfolgen gespickten Laufbahn auf Musiklehrer-, Kapellmeister- und Musikdirektorenposten sowie, am Ende, als Kompositionsprofessor an der Berliner Akademie der Künste.

Die Bindung an seine rheinische Heimat aber gab Bruch nie auf: Deren Fixpunkt war dann allerdings nicht mehr so sehr Köln (wo er immerhin am Rathausturm verewigt ist) als vielmehr Bergisch Gladbach mit der Villa Zanders und dem Igeler Hof in Herrenstrunden. Bis 1909, da ihm seine schwindende Gesundheit weite Reisen nicht mehr gestattete, weilte er häufig hier, animiert durch seine Freundschaft mit der Eigentümerin Maria Zanders. Die Stadt hat es ihm gedankt – Bruch wurde erster Ehrenbürger, ihre Musikschule heißt Max-Bruch-Schule, und in der Fußgängerzone steht ein Bruch/Zanders-Denkmal.

Später Antisemitismus

Einigermaßen im Dunklen liegen immer noch Bruchs letzte Berliner Lebensjahre. Man weiß, dass das Gefühl, sich selbst überlebt zu haben und zu Lebzeiten vergessen zu sein, Verbitterung zeitigte. Zur Pathologie dieser Spätzeit gehört, dass Bruch offensichtlich – trotz der frühen Mendelssohn-Prägung, trotz der Freundschaft mit Joachim – ein massives antisemitisches Syndrom entwickelte.

Dietrich Kämper, Kölner Musikologe, entdeckte jüngst in der im musikwissenschaftlichen Institut der Uni aufbewahrten Sammlung von Bruch-Briefen an seinen Berliner Verleger Simrock ein „erschreckendes“ einschlägiges Dokument – „völlig unerwartet, denn Bruch hatte in Berlin engen Kontakt zu jüdischen Musikerkollegen und Musikinstitutionen“. (In Heft 4/2020 der Zeitschrift „Die Musikforschung“ berichtet Kämper über seinen Fund.)

Judenfeindschaft war damals im gehobenen Kulturbürgertum – und gerade in Berlin – freilich weit verbreitet. Eingeordnet werden muss der Fund letztlich in das Syndrom integraler Antimodernität, dem man eben auch sonst bei Bruch begegnet. Bedrückend bleibt die Erkenntnis, dass die musikhistorischen Antipoden Wagner und Bruch ausgerechnet im Antisemitismus einen gemeinsamen (un-) geistigen Nenner fanden. (MaS)

Zeitgenossen berichten, dass der Rheinländer Bruch in der Reichshauptstadt wie ein Fremdkörper gewirkt habe – wiewohl er Anpassungsleistungen erbrachte: Von Haus aus Protestant, verehrte er Bismarck und las die „Nationalzeitung“. Die Reichsgründung hatte ihn zuvor schon in einen nationalen Rausch versetzt, der später auch produktiv wurde: Das Oratorium „Moses“ – eines von Bruchs großen Vokalwerken, die wie seine Opern heutzutage „noch verschollener“ als die Instrumentalwerke sind – parallelisiert kaum verschlüsselt die Titelgestalt und Bismarck.

Als Künstler wurzelte Bruch nicht in jener „neudeutschen“ Richtung, die üblicherweise als musikgeschichtliches Pendant der grassierenden Germanophilie in der zweiten Jahrhunderthälfte gilt. Der Lehrer Hiller, das Eintauchen in die Leipziger Sphäre, Joseph Joachim als Uraufführungssolist des berühmten Opus 26, Brahms als Widmungsträger der ersten Sinfonie – all das zeigte die eigene „Lagerzugehörigkeit“ an.

Musiksprachlich kam Bruch aus der älteren Romantik vor allem Mendelssohns, dessen Einfluss er nie loswurde. Das Solide-Gearbeitete seiner Werke, die motivisch-kontrapunktische Durchdringung der Durchführungen gemahnt an Brahms, dessen Erbe beim späten Bruch freilich zu einem akademischen Traditionalismus zu erstarren drohte. Naheliegend bedachte er Wagner mit einer tiefen, teils mit Bewunderung durchmischten Ablehnung, und der Aufbruch in die Moderne um und nach 1900 war ihm ein Gräuel.

Wird Bruch darüber zu einem zweitklassigen Komponisten, gar zu einem Kleinmeister? Die Antwort auf diese Frage muss differenziert ausfallen: mit einem Teil seines Œuvre sicherlich, mit dem anderen nicht.

Für dieses mag auch hier das zwischen 1866 und 1868 in Koblenz entstandene g-Moll-Violinkonzert stehen. Zwar ist auch darin besagter Mendelssohn-Ton unüberhörbar; dennoch kann von einer „Kopie“ von dessen Violinkonzert keine Rede sein. Seine Formdramaturgie weicht vom Vorbild deutlich ab: Stark ist bei Bruch die Tendenz zum Rhapsodischen, der auch die Sonatenform des Eröffnungssatzes hart an den Rand der Auflösung bringt. Durchführung und Reprise schmelzen zusammen, Solokadenzen verbinden die Formteile, und ehe man es so richtig merkt, befindet man sich im zweiten Satz.

Der dunklen Glut von dessen weitgespannt-melancholischer Melodik, die ohne den Vorbehalt eines doppelten Bodens irgendwie von einem verlorenen Paradies der Musik zu künden scheint, kann man sich auch heute kaum entziehen, hier stößt man auf den Kern der Beliebtheit dieses Werkes. Spontan wirkende doppelgriffgespickte Virtuosität, eine unmittelbar zu Herzen gehende musikantische Emotion und der quasireligiöse Aufschwung finden hier zu denkbar glücklicher Synthese.

Aber auch ein Werk wie die erste Sinfonie gering zu schätzen gibt es keinen Grund: Die mehrfach wiederkehrende emphatische Hornmelodie des ersten Satzes etwa mit dem Dezimenaufschwung zur Terz über dem Grundton stiftet ein atmosphärisches Fluidum, das in dieser Gestalt besonders ist, Bruch ganz allein zugehört.