Neuer Roman von Husch JostenEinspruch gegen Sterblichkeit

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Eine dunkle Gewitterwolke zieht über dem Dom in Köln auf.

Die Hauptfigur in Husch Jostens neuem Roman führt in dritter Generation ein Traditionsgasthaus, rechtsrheinisch, mit Blick auf den Dom

Schonungs- und schnörkellos erzählt die Kölner Schriftstellerin in ihrem neuen Roman über Abschiede und die Würde des Lebens angesichts des Endes.

Was ist der Tod? Eine grandiose Zumutung? Eine nicht zu ändernde Tatsache? Eine Schwelle zu etwas, von dem wir nichts wissen, an das wir allenfalls glauben können? Fest steht nur: Für Philosophie und Psychologie, Theologie und Hirnforschung bleibt der Tod ein Rätsel. Erst recht für die Literatur. Aber sie ist es, die womöglich am besten davon erzählen kann, mit Trost und Trauer, aber auch mit dem Mut zum Dennoch und zum Weiterleben.

Husch Jostens neuer Roman wählt den Weg des Einspruchs gegen Sterblichkeit und Endlichkeit. Todesfälle bei Attentaten und in Altenheimen, Friedhofsbesuche, Gespräche übers Sterben, Verlustschmerz und Abschiedstraumata kommen vor, kaum etwas wird ausgelassen, was über den Tod gesagt werden kann und allzu oft nicht gesagt wird, aus Scham oder Angst nicht zuletzt angesichts der eigenen Endlichkeit.

Die Handlung spielt in Köln. Ihr Erzähler ist Johannes Tobelmann, der mit einer kleinen Reverenz ans nahe Frankreich und wohl auch die „Buddenbrooks“ Jean genannt wird. Er führt in dritter Generation ein Traditionsgasthaus, rechtsrheinisch, mit Blick auf den Dom. Seine Küche ist beliebt, es gibt feine Hausmannskost, von Kartoffelsuppe über Krustenbraten, Lammrücken bis zu Pilzragouts und Orangenrisotto. Das Gespräch mit den Gästen und die Tischgemeinschaft mit seiner Freundin Tessa, einer Fotografin, zeugen von rheinischer Kultur, die Husch Josten mit Liebe zum Detail beschreibt.

Husch Josten steht an einem Rednerpult, sie trägt ein dunkelblaues, ärmelloses Kleid.

Husch Josten bedankt sich nach der Verleihung des mit 20 000 Euro dotierten Literaturpreises der Konrad-Adenauer-Stiftung an sie.

Und mit einem Gast bereichert, der von außen kommt und die Handlung mit einer exzentrischen Haltung zum Tod befeuert. Besessen, aber mit Humor und Lebensfreude hat sich Sourie, der das Lächeln im Namen trägt, der Erforschung des Todes verschrieben. Dabei ist er noch nicht mal dreißig. Tessa hat er als Geliebte gewonnen, den Erzähler als Zuhörer.

Seine Überlegungen kreuzen sich mit den Trennungs- und Todeserfahrungen seiner Freunde. Tessa hat innerhalb kürzester Zeit ihre Eltern verloren, ihre Ehe ist am Ende, der Erzähler ist von seiner Frau verlassen worden. Souries ungewöhnlich positive Einstellung zum Ende des Lebens provoziert, ermutigt aber auch. Tessa geht ein Projekt gegen Einsamkeit bei alten Menschen an. In dem Pflegeheim, in dem Sourie als Pförtner arbeitet, porträtiert sie die Heimbewohner und fängt jene seltenen feinen Momente ein, in denen die mehr oder minder stark Eingeschränkten mit sich selber übereinstimmen.

Ihre Figuren sind Botschafter gegen die Einsamkeit jeder Altersstufe

Überhaupt gehören die Szenen im Pflegeheim zu den eindrücklichsten Beschreibungen von Todesnähe. Husch Josten geht es offenbar nicht um eine Soziologie des Leidens wie dem französischen Schriftsteller Didier Eribon. Aber sie teilt mit ihm das gewissenhafte Interesse an dem Milieu, in dem alte und kranke Menschen mit Pflegepersonal und Angehörigen zusammenkommen. Ihre Figuren sind Botschafter gegen die Einsamkeit jeder Altersstufe, Emissäre fürs Erzählen, und ihr Roman ist demgemäß eine lebensfreundliche Depesche aus der Agentur der praktischen Vernunft.

Dass der Tod, auch wenn er einem zulächelt, seinen Stachel behält, kommt nach und nach zur Sprache. Und wie das geschieht, ist große Erzählkunst. Schonungs- und schnörkellos, mit geradliniger Spannung steuert Husch Jostens Roman auf einen Mittelpunkt hin, der eine tiefere Wahrheit von Souries Todesnähe zum Vorschein bringt. Es ist ein Ergebnis von Geburts- und Lebenstrauma. Sourie wurde mit einem schweren Herzfehler geboren, der, weil symptomlos, lange Zeit unbehandelt blieb. Am 13. November 2015 war er beim Konzert im Bataclan und verlor bei der Terrorattacke seinen besten und einzigen Freund, weil er ihn „wie einen Schutzschild vor sich hergezogen“ hat.

Diese Unglücksfälle mögen Souries Exzentrik erklären. Aber darum scheint es Husch Josten weniger zu gehen. Viel wichtiger ist es, wie von Unglück erzählt wird und vom Kairos, einem unberechenbaren Moment des Glücks. Der antike Glücksgott hatte ja eine Stirnlocke; man muss dem Glück also ins Gesicht sehen, um es beim Schopfe zu ergreifen. Das gilt offenbar auch für das Unglück. Im Erzählen von Angesicht zu Angesicht wird klar, dass Sourie seine Einsamkeit nicht gewählt, sondern sich auferlegt hat. Sein Todesthema ist ein Thema des Weiterlebens. Für diese Gleichzeitigkeit der Dinge liefert der Roman treffende Bilder: den Orangenbaum als Bild ewiger Jugend an den Gräbern, das Handyfoto von Überlebenden des Attentats in Paris, das lebenspraktische Händelesen einer Heimbewohnerin und die erotomanischen Vorstellungen eines ehemaligen Zoodirektors im Augustinum.

Ein fabelhaftes Buch über Abschiedlichkeit, über die Würde des Lebens angesichts des Endes, das kommt, wie es kommt – und somit auch eine Hommage an den Kölner Kairos.


Husch Josten: „Die Gleichzeitigkeit der Dinge“, Berlin Verlag, 224 Seiten, 22 Euro.