Oper BonnPeinliche Verbeugung vor Kriegstreibern und Preußens Gloria

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Michael Krinner (Grenadier-Unteroffizier), Chor und Extra-Chor

Bonn – Nein es hilft nichts: Diese Oper ist nicht lebens- und schon gar nicht kanonfähig. Die – wohl durch Corona bedingte – viermalige Aussetzung und Verschiebung der Premiere von Giacomo Meyerbeers „Feldlager in Schlesien“ am Bonner Haus wirkt da im Nachhinein wie ein böses Zeichen: als habe sich der Betrieb gegen eine dann doch hinzunehmende Zumutung gesperrt.

An der Produktion selbst liegt es nicht. Die Bonner Oper, die in jüngerer Zeit ein ausgeprägtes Faible für Repertoire-Nischen entwickelt hat, lässt, man merkt es auf Schritt und Tritt, diesem Wiederbelebungsversuch (auf der Basis einer kritischen Neuedition) viel Sorgfalt und größten Aufwand angedeihen. Alles für die Katz? Vielleicht nicht ganz: Der Premierenabend ermöglichte allemal intensives Nachdenken darüber, warum sich bestimmte Stücke so hartnäckig wie erfolgreich gegen ihr Revival wehren.

Meyerbeer wollte offenbar besonders preußisch sein

„Ein Feldlager in Schlesien“, 1844 als preußisch-patriotische Festoper im nach einem Brand neuerrichteten Berliner Opernhaus uraufgeführt, heißt im Untertitel „Singspiel in drei Akten in Lebensbildern aus der Zeit Friedrichs des Großen“ – wobei sich die Genrebezeichnung „Singspiel“ darauf bezieht, dass sich zwischen die Musiknummern Sprechdialoge schieben. So oder so wirkt das Sujet im Oeuvre-Kontext Meyerbeers, dieses Meisters der italienischen und französischen Grand Opéra, wie ein Fremdkörper, ein wenig deutsch-bieder und provinziell. Der in Berlin gebürtige Jude, vom König mit der Komposition beauftragt, wollte in diesem Werk offenkundig preußischer sein als jeder nicht-jüdische Preuße – wohl ein klassischer Fall von Überanpassung auch angesichts eines neuerlich grassierenden Antisemitismus.

Friedrich der Große tritt nicht persönlich auf, ist aber trotzdem das Zentrum der Oper. In deren drei Akten geht es um seine Errettung vor der Gefangennahme durch ungarische Panduren im siebenjährigen Krieg mittels eines Kleidertauschs und um die Wohltaten, die der König darob der Familie seines Beschützers erweist, des pensionierten Hauptmanns Saldorf. Sie führen am Schluss sogar zu einer Doppelheirat.

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Der Text – er stammt von dem Journalisten und Lyriker Ludwig Rellstab, der die Vorlage des französischen Libretto-Papstes Eugène Scribe übersetzte und bearbeitete – ist schlicht ungenießbar. Ein Vers wie „Wie sich der Stern am Himmel schnäuzt“ spricht in diesem Sinne für sich selbst. Vor allem aber: Die Handlungskonstruktion ist völlig undramatisch, es gibt auch nicht den minimalen Ansatz für irgendeinen, geschweige denn tragischen Konflikt. Das Ganze gerät zur Aneinanderreihung von Tableaus, ja zur Revue, zum Anlass, eine opulente Musikmaschine mit Koloraturenfeuerwerk, Massenszenen und aparten Klangeffekten (Flötenduett mit Sopran und Background-Chor etwa) in Gang zu setzen. Dass Meyerbeer mit ein paar schönen Melodien und interessanten chromatisch-enharmonischen Bildungen aufwartet – geschenkt.

Zumal in diesen Tagen bricht der Oper indes die plärrende Verkündigung von Preußens Gloria, der Kotau vor Thron und Altar, das haarsträubend affirmative Amalgam von Religion und Krieg den Hals. Nun wissen der Regisseur Jakob Peters-Messer und der Bühnenbildner Sebastian Hannak ganz genau, dass man das heute nicht kommentarlos durchgehen lassen kann. Sie setzen also Signale der Distanzierung und der Illusionsdurchbrechung: Da wird ein „Chronist“ (Michael Ihnow) eingeführt, der einen Hauch von Epischem Theater verbreitet und mit Mikrofon und Scheinwerfer für eine Quasi-Werkstattatmosphäre sorgt.

An den Wänden erscheint ein Zitat des ukrainischen Präsidenten

Nahezu experimentell geht es zumal im eindrücklichen zweiten Akt zu, der an die Aufführungsmodi der Ruhrtriennale erinnert (und umfangreiche Umbaumaßnahmen erfordert): Ein Teil der Zuschauer wird auf die Rückseite der Bühne verfrachtet, auf dass sich in der Mitte des Hauses der Bretterboden einer zweiten Bühne etabliert. Dort begibt sich dann das Feldlager im schäbigen Glanz der blau-roten Uniformen (mit den einschlägigen Szenen auch im ersten Akt samt tanzender Zigeunerin nimmt Meyerbeer übrigens Verdis „Macht des Schicksals“ und Bizets „Carmen“ vorweg), feiert die Preußen-Ideologie ihren ärgsten Triumph.

An den Wänden erscheint indes ein Zitat des Ukraine-Präsidenten Selenskyj, der den Krieg als „Überfluss von Schmerz, Schmutz, Blut und Tod“ geißelt, und der Chronist liest den ungeschminkt-haarsträubenden Briefbericht eines Teilnehmers der Schlacht von Lobositz anno 1756 (es ist diesmal nicht Ulrich Bräker) vor. Friedrich der Große wird darüber tendenziell zum Putin des 18. Jahrhunderts (übrigens eine fadenscheinige Parallelisierung, die Zeit kannte noch nicht den „diskriminierenden Kriegsbegriff“). Das ist das Mindeste, möchte man sagen – und es nutzt nichts: Die Oper wird dadurch nicht pazifistisch verwandelt, Versuche, gegen ihren „Geist“ anzuinszenieren, perlen an ihr ab wie Fett und Wasser an der Teflon-Pfanne. Diese Einsicht lässt nur eine Konsequenz zu: Das Werk sollte nicht mehr aufgeführt werden.

An der musikalischen Aufführung unter Dirk Kaftan liegt es nicht

Gegen die Qualität der musikalischen Interpretation unter Dirk Kaftan ist wenig zu sagen: Sicher, da fehlte es bei der Premiere im Orchester noch an Feinschliff und Gruppenbalance, und im zweiten Akt brüllt der Chor so rustikal, das es dem eh rundum beschallten Zuschauer in den Ohren gellt. Aber irgendwie passt das sogar, und die stark geforderte Solistenriege mausert sich im Lauf des langen Abends zu einem ausgezeichneten Ensemble mit hochpotenten Einzelleistungen. Sie seien hier summarisch gelobt: Tobias Schabel als Hauptmann Saldorf, Elena Gorshunova als seine Zigeuner-Pflegetochter Vielka, Barbara Senator als Nichte Therese, Jussi Myllys als Pflegesohn Conrad und Martin Tzonev als Anführer der ungarischen Reiter. Zu hoffen ist nur, dass der herzliche Beifall ausschließlich der aufopfernden Leistung des Hauses galt. Das Stück hat ihn nicht verdient.

Nächste Aufführung: 8. Mai