Zurück im Kölner Museum LudwigSind Gerhard Richters „48 Portraits“ ein Hauptwerk oder nur sexistisch?

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Eine Frau geht vor einer Wand mit 48 Bildern von Männern vorbei.

Gerhard Richter „48 Portraits“ waren zuletzt 2013 im Kölner Museum Ludwig zu sehen.

Nach elf Jahren sind Gerhard Richters „48 Portraits“ wieder in Köln zu sehen. Der Künstler war lange selbst nicht glücklich mit der Arbeit. 

Als seine „48 Portraits“ ihre Premiere im gerade eröffneten Kölner Museum Ludwig hatten, scheint Gerhard Richter nicht sonderlich erfreut gewesen zu sein. Jedenfalls ärgerte er sich zehn Jahre später immer noch darüber. Die Arbeit sei „grauenvoll gehängt“, so Richter, „wie eine Schokoladentafel“.

Man konnte ihn verstehen. Gemalt hatte Richter die 48 Bilder im Jahr 1972 für den deutschen Pavillon der Biennale von Venedig. Dort hingen sie in einer Reihe an der Wand, als rundum laufender Fries großer Männer, deren Porträts Richter aus verschiedenen Lexika kopiert hatte. Allerdings ging es ihm gerade nicht darum, eine feierliche Parade berühmter Komponisten, Dichter und Wissenschaftler über den Köpfen des Publikums abzuhalten. Die 48 Porträts gleichen sich in ihrer grauen Passfoto-Anmutung und sind nach rein formalen Kriterien ausgewählt und arrangiert: Bild für Bild drehen die Männer den Kopf ein Stück weiter zur Seite, als wären sie Teil einer Bewegungsstudie. 

Im Museum Ludwig ist die Arbeit grauenvoll gehängt, wie eine Schokoladentafel
Gerhard Richter 1996 über „48 Portraits“

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Mit der Idee zu den „48 Portraits“ war Richter schon lange schwanger gegangen. Aber er hatte niemals den passenden Raum für dieses Riesenformat (48 mal 70 x 55 Zentimeter) gefunden, das die klassische Vorstellung von der Autorität bedeutender Männer durch einen formalen Kunstgriff untergräbt. Ohne die Biennale hätte er die 48 in Kunststoffhauben gesperrte Köpfe vermutlich nie gemalt, so Richter. In Köln hingen sie dagegen in vier Reihen übereinander. Lediglich Kasper König wagte es zu seinem Amtsantritt, den venezianischen Fries zu rekonstruieren. Aber das war nur ein Zwischenzustand.

Jetzt ist die „Schokoladentafel“ wieder da, nach mehrjähriger Restaurierung, und dieses Mal, so das Museum Ludwig, mit dem Segen Gerhard Richters. Offenbar ist dem Kölner Maler mit den Jahren ein süßer Zahn gewachsen. Oder er hat sich mit dem scheinbar Unvermeidlichen arrangiert. Jedenfalls wirkte er an der neuen Präsentation selber mit: Die „48 Portraits“ hängen in drei Reihen zu jeweils 16 Bildern übereinander. Auf der linken Seite blicken die Männer nach rechts, auf der rechten Seine nach links; in der Mitte schaut uns ein Sextett frontal an.

Die ideale Lösung ist das nicht. Aber wollen wir deswegen päpstlicher sein als der Schöpfer der Porträts? Die mit Mitteln des Landes NRW und der Gerhard-Richter-Stiftung restaurierte Arbeit war zuletzt 2013 ausgestellt und vervollständigt nun ein Stelldichein der wichtigsten Kölner Richter-Werke. Im ersten Stock schauen die Herren auf die „Fünf Türen“ (1967) und die kleine „Betty“, hinzu kommen die weltberühmte „Ema“, der abstrakte „Krieg“ und „11 Scheiben“. Lediglich die Glasarbeit „Zwei Grau“ sowie Grafiken und Multiples sind im Ludwig-Depot geblieben. Man könnte darin eine schöne Ergänzung zur großen Gerhard-Richter-Schau sehen, die der Düsseldorfer Kunstpalast ab September zeigt.

Der angebliche Sexismus der Arbeit wurde mehr oder weniger vom ersten Tag an moniert

Vermutlich werden sich die meisten Besucher ohnehin weniger am Arrangement der „48 Portraits“ stören als an deren rein männlichen Zusammensetzung. Dieser angebliche Sexismus wurde mehr oder weniger vom ersten Tag an moniert, und Richter tat sich keinen Gefallen, als er 1992 in einem Interview bekannte, er hätte zunächst auch die Physikerin Marie Curie im Blick gehabt – als hätte es 1972 keine anderen lexikalisch verewigten und dadurch bildwürdigen Frauen gegeben.

An anderer Stelle begründete Richter seinen bewussten Verzicht auf Frauen schlüssiger. Es sei ihm um die Anonymität und Sprachlosigkeit der lexikalischen Bilder gegangen, darum, die Dargestellten als anonyme Masse zu zeigen, in der die Unterschiede zwischen den Personen verwischen und die jeweilige Lebensleistung unsichtbar bleibt. Mit „48 Portraits“ versuchte sich Richter also an einer grundsätzlichen Kritik der Fotografie, an ihrer angeblichen Unfähigkeit, so etwas wie die Wahrheit des Dargestellten zu erfassen. Ob diese Kritik an der fotografischen „Gleichmacherei“ (Richter) mit einer reinen Männerriege tatsächlich überzeugender ist als bei einer Serie mit weiblichen Einsprengseln, sei einmal dahingestellt. Aber die „48 Portraits“ sind deswegen noch lange kein frauenfeindliches Werk.

Allerdings muss man die „48 Portraits“ auch nicht unbedingt zu Gerhard Richters zentralen Werken zählen. Sie gehören sicherlich zu seinen ehrgeizigsten Arbeiten und markieren eine interessante Außenseiterposition. Schließlich versuchte Richter mit seiner Malerei, den Schock der Fotografie zu überwinden, also die schmerzliche Einsicht, dass sich die Welt durch bloßes Auslösen eines Mechanismus exakter und wahrhaftiger darstellen lässt, als es ein Maler unter Aufbietung seines gesammelten Talents, Wissens und Empfindens kann. Stets ging es Richter um die Frage, wie sich die Malerei als Wirklichkeitsmaschine gegen die Bilder des Fotoapparats behauptet. Bei den „48 Portraits“ gewinnt man den Eindruck, dass er einen etwas billigen Sieg erringen wollte, indem er uns die Überlegenheit eines künstlerischen Konzepts gegenüber dem schlichten So-Sein der Fotografie vorführt.