„Wollte mich vom Haus meiner Eltern verabschieden“Bergdorf in der Schweiz wird evakuiert

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Herabgestürzte Steine und Felsteile (hinten links) liegen vor dem Dorf Brienz in der Schweiz. Die Bewohner wurden wegen der Gefahr weggebracht.

Herabgestürzte Steine und Felsteile (hinten links) liegen vor dem Dorf Brienz in der Schweiz. Die Bewohner wurden wegen der Gefahr weggebracht.

Das Dorf Brienz in den Schweizer Alpen wird durch Felsstürze oder das Abrutschen eines Hanges bedroht.

Ein Dorf in Graubünden in der Schweiz ist in akuter Gefahr durch riesige Felsmassen, die herabzustürzen drohen. Die Behörden schritten daher ein und forderten die Bewohner von Brienz, das auf etwa 1100 Metern Höhe und 30 Kilometer von Davos entfernt liegt, den Ort zu verlassen. Am Dienstag wurde die „Phase Orange“ ausgerufen, die für große Gefahr steht. Die rund 85 Bewohnerinnen und Bewohner müssen sich nun bis Freitag aus der Gefahrenzone bringen. 

Gemeindepräsident Daniel Albertin sagte laut „NZZ“ der Bevölkerung: „Uns ist bewusst, dass dieser Entscheid mit sehr vielen Emotionen verbunden ist“, so Albertin. Das Ziel sei nun, „einfach alle heil aus Brienz rauszubringen“.

„Ich wollte ein letztes Mal hochgehen und mich vom Haus meiner Eltern verabschieden. Wir wissen nicht, ob es unser Brienz in zwei Wochen noch geben wird“, sagte eine im Dorf aufgewachsene Frau der Schweizer Nachrichtenagentur Keystone-ATS.

Berghang oberhalb von Brienz ist ins Rutschen geraten

Hintergrund der Gefährdungslage ist ein Berghang oberhalb des Dorfes, der ins Rutschen zu geraten droht. Die Rede sei von bis zu zwei Millionen Kubikmeter Felsmaterial, das in Bewegung geraten sei, wie der Leiter des Frühwarndienstes, Stefan Schneider, sagt. Die Gesteinsmassen bewegen sich nach den Messungen mehr als doppelt so schnell wie noch vor wenigen Wochen.

Ein Video des SRF zeigt im Zeitraffer die Bewegung der riesigen Felsmassen. Es handelt sich laut „NZZ“ um eine der größten Bewegungen eines Berghanges, die zurzeit im Bereich der Alpen ablaufen.

Schweizer Dorf Brienz von mehreren Felsstürzen bedroht

Dass ein bestimmter Felsbereich namens „Insel“ oberhalb des Dorfes gefährlich ist, war seit Jahren bekannt. Die Einwohner wussten schon lange, dass eine Räumung droht. Dass die Entscheidung jetzt fiel, habe auch mit der Wetterprognose zu tun, sagte Simon Löw, emeritierter Professor für Ingenieurgeologie an der Universität ETH Zürich, im Schweizer Fernsehen. Bis Sonntag seien jeden Tag Niederschläge vorhergesagt, das könne die Rutschgeschwindigkeit noch erhöhen.

Laut SRF gibt es mehrere Szenarien: Am wahrscheinlichsten sind demnach mehrere Felsstürze von einigen Tausend bis mehreren Hunderttausend Kubikmetern. Weniger wahrscheinlich ist ein Abrutschen durch einen länger dauernden Schuttstrom. Ebenfalls nicht ganz auszuschließen sei aber auch ein großer, schneller Bergsturz mit mehr als 500.000 Kubikmetern, heißt es.

Bis auf Weiteres darf ab Freitag niemand mehr im Dorf Brienz übernachten, tagsüber dürfen die Bewohnerinnen und Bewohner jedoch zurückkehren. Im Fall einer notwendigen Sofort-Evakuierung sollen Sirenen die Bevölkerung warnen. 

Jörg Kachelmann äußert sich zum Fall Brienz

Ob im Fall von Brienz ein direkter Zusammenhang mit dem Klimawandel vorliegt, ist unklar. Klar ist aber, dass Felsstürze generell in manchen Gegenden häufiger werden. Permafrost taut dann auf, Schutt und Geröll verlieren Halt oder Wasser dringt in Felsspalten ein und der Druck sprengt Felsstücke ab.

Meteorologe Jörg Kachelmann kommentiert bei Twitter, Phänomene wie Felsstürze und das Abrutschen von Hängen würden in Zukunft durch den Klimawandel zunehmen. Die derzeitige Trockenheit in Europa hat seiner Meinung nach jedoch weniger mit dem Klimawandel zu tun. (cme, dpa, afp)