Epizentrum im Atlasgebirge ungewöhnlichErdbeben in Marokko ein „Jahrhundertereignis“ – mehr als 2000 Todesopfer

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Ein Mann steht vor einem durch das Erdbeben in Marokko zerstörte Hotel in der Nähe von Marrakesch. Durch das Beben der Stärke 6,8 sind bereits mehr als 2000 Menschen ums Leben gekommen.

Das Erdbeben in Marokko hat sein Epizentrum im Atlasgebirge in der Nähe der Großstadt Marrakesch. Erdbeben im Süden Marokkos sind sehr selten, das Beben vom Freitag ist mit einer Stärke von 6,8 das stärkste seit Beginn der Aufzeichnungen.

Die Zahl der Toten nach dem Erdbeben in Marokko steigt weiter. Erdbeben-Experten sind verblüfft über die Lage des Epizentrums und die Auswirkungen.

Nach dem schweren Erdbeben in Marokko ist die Zahl der Todesopfer am Sonntagabend auf 2122 gestiegen. Weitere 2421 Menschen seien verletzt worden, teilten die marokkanischen Behörden weiter mit. Während erste Modelle Hunderte weitere Todesopfer befürchten lassen, rätseln Erdbeben-Forscher über das ungewöhnliche Epizentrum im Atlasgebirge.

Das Epizentrum des schwersten Erdbebens in der Geschichte Marokkos lag etwa 70 Kilometer südlich der Großstadt Marrakesch mit mehr als 900.000 Einwohnern. Es liegt am Ende der Kollisionszone der afrikanischen und europäischen Platte, allerdings sind Erdbeben dort enorm selten. Mehrere Forscher sprechen von einem „Jahrhundertereignis“.

Erdbeben in Marokko: Experten sprechen von „Jahrhunderereignis“ – Erinnerung an Agadir-Beben mit 1200 Toten

Historische Aufzeichnungen von Erdbeben zeigen eine Häufung im Norden des Landes, wo Erdbeben in Mittelmeernähe wahrscheinlicher sind. Dass es Erdbeben auch in der Region um Marrakesch geben kann, zeigt unter anderem das Erdbeben von Agadir im Jahr 1959 – das bisher schwerste Erdbeben in der Region. Es forderte etwa 12.000 Todesopfer.

Die Schäden in Marrakesch und den umliegenden Orten und Dörfern sind auch deswegen so katastrophal, weil die Region nicht auf Erdbeben dieser Größenordnung vorbereitet ist. Vor dem Erdbeben der Stärke 6,8 auf der Richter-Skala war das Agadir-Beben das stärkste gemessene Beben in Marokko. Es erreichte allerdings „nur“ einen Wert von 5,9.

Erdbeben bei Marrakesch: Schäden im Atlasgebirge katastrophal – Forscher überrascht von Stärke des Bebens

Das deutsche Branchenportal „Erdbebennews“, das sich mit Erschütterungen weltweit befasst, vergleich das Erdbebenrisiko im Atlasgebirge mit der Gefahr im Süden Deutschlands. „Die Erdbebengefährdung in der Atlas-Region ist basierend auf historischen Aufzeichnungen wohl vergleichbar mit der im Oberrheingraben“, schreibt das Portal auf der Plattform X, vormals Twitter.

Das Erdbeben würde jegliche historische Annahmen sprengen. Zwar ist bekannt, dass es im Atlasgebirge eine Erdbebenquelle gibt, die bisherigen Beben erreichten aber selten eine höhere Intensität als Stärke 4. Forscher hatten in bisherigen Prognosen ein Beben dieser Stärke nicht berücksichtigt. Angaben des marokkanischen Innenministeriums zufolge werden noch immer Hunderte Menschen vermisst, Helfer entdecken immer noch Menschen unter den Trümmern eingestürzter Gebäude.

Atlasgebirge: Marokko fordert keine internationale Hilfe an – Kölner Paar berichtet von schwerem Erdbeben in Marrakesch

Am Sonntag gefährdeten Nachbeben die Rettungsarbeiten, in Marrakesch traf ein Team an Helfern aus Spanien ein. Weitere internationale Hilfe, darunter auch vom Technischen Hilfswerk, hat Marokko bisher nicht angefordert. „Im Moment sind wir in Bereitschaft und bereit, je nach den von der (marokkanischen) Regierung gewünschten Modalitäten zu helfen“, erklärt ein Sprecher der UN dem amerikanischen Nachrichtensender CNN.

Das marokkanische Innenministerium bestätigte bisher den Tod von vier französischen Staatsbürgern, Berichte über deutsche Todesopfer gibt es bisher nicht. Zum Zeitpunkt des Erdbebens waren zahlreiche Touristen in Marrakesch unterwegs, darunter auch Touristen aus Köln. In der viertgrößten Stadt Marokkos wurden zahlreiche historische Gebäude beschädigt.

Erdbeben in Marokko: Bergdörfer im Atlasgebirge berichten über verheerende Schäden

Der marokkanische König Mohammed VI. hatte eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen und die Bevölkerung zu Gebeten aufgefordert. Warum Marokko bisher weitestgehend auf internationale Hilfe verzichtet, ist unklar. Neben den Schäden in und um Marrakesch zeigen erste Bilder, dass viele Bergdörfer nahezu komplett in Trümmern liegen.

„„Es fühlte sich an, als würden wir bombardiert“, erklärte ein Einwohner von Moulay Brahim im Atlasgebirge der britischen Zeitung „The Guardian“. In zahlreichen Bergdörfern sei durch das Erdbeben der Strom ausgefallen, einige Menschen flüchteten sich bei Nachbeben auf die Straße, um nicht von Trümmern verschüttet zu werden.

Marokko: Deutscher Thinkthank prognostiziert deutlich mehr Todesopfer

Der deutsche Thinktank „Risklayer“, der mögliche Todeszahlen in Katastrophenlagen modelliert, geht davon aus, dass die Zahl der Toten noch deutlich steigt. „Unter Verwendung aktualisierter Daten liegen wir jetzt bei 7020 Todesfällen im Median, bei einer Spanne von 2950 bis 18410 Todesopfern.“ Zuvor war „Risklayer“ von weniger Todesopfern ausgegangen, die gestiegene Zahl an Toten in der Nähe des Epizentrums lässt aber deutlich mehr Opfer vermuten.

Kurz nach dem Erdbeben in Marokko hatte es auch in Hessen ein vergleichsweise schweres Erdbeben für die Region gegeben. Das Beben mit der Stärke 3,1 ereignete sich nur drei Stunden nach dem Beben in Marokko. Zwar können große Erdbeben auch in weiter entfernten Gebieten neue Beben auslösen, in diesem Fall sehen Experten aber einen Zusammenhang als unwahrscheinlich an. (shh)