AnalyseVon Normalisierung bis Revisionismus – Fünf Strategien der AfD

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Björn Höcke, AfD-Fraktionschef, wartet auf den Beginn einer Aktuellen Stunde im Thüringer Landtag.

Björn Höcke, AfD-Fraktionschef, wartet auf den Beginn einer Aktuellen Stunde im Thüringer Landtag.

Das Unruhestiften im Parlamentsbetrieb ist nur eine Strategie der AfD Wie funktioniert die Masche der Rechtspartei?

AfD-Chefin Alice Weidel feierte die Abstimmung im Thüringer Landtag auf dem sozialen Netzwerk X am Donnerstagabend mit den Worten: „Merz‘ Brandmauer ist Geschichte - und Thüringen erst der Anfang. Es wird Zeit, dem demokratischen Willen der Bürger überall in Deutschland zu entsprechen.“ Und Bundestags-Fraktionsvize Beatrix von Storch jubelte in Großbuchstaben: „DAS IST DER WEG! #Brandmauer Adé!“

Was war geschehen? Die AfD hatte der CDU zu einem Abstimmungserfolg bei der Grunderwerbsteuer verholfen und der rot-rot-grünen Minderheitsregierung von Ministerpräsident Bodo Ramelow eine empfindliche Niederlage beigebracht. Die Rechtsaußenpartei diente den Christdemokraten als Mehrheitsbeschaffer - und konnte so einen wichtigen strategischen Erfolg erzielen.

Fünf Strategien verfolgt die AfD vor dem für sie entscheidenden Wahljahr 2024, in dem erst das EU-Parlament und dann die drei Landtagen in Sachsen. Thüringen und Brandenburg gewählt werden. In allen drei Bundesländern liegen die Rechten zurzeit auf dem ersten Platz in den Umfragen.

Unruhestiften im Parlamentsbetrieb

Der Landtag in Erfurt war auch der Schauplatz des bisher größten strategischen Erfolgs der AfD. Durch ein geradezu perfides Manöver - die Landtagsfraktion um Björn Höcke verweigerte dem eigenen Kandidaten die Stimmen - wurde plötzlich Thomas Kemmerich mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD Thüringer Ministerpräsident. Der FDP-Politiker nahm die Wahl an. Ein Erdbeben, ein Tabubruch. Zwei Bilder gingen um die Welt: Kemmerichs Handschlag mit Höcke -und der Blumenstrauß, den ihm die Linken-Fraktionsvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow vor die Füße warf.

Kemmerich kündigte bereits am nächsten Tag seinen Rücktritt an - die Erfurter Regierungskrise riss auch die CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer mit sich. Der gesamte politische Betrieb in Thüringen agiert seitdem im Zustand höchster Nervosität - hauptverantwortlich dafür ist Höckes AfD.

Thüringen habe „die komplizierteste politische Lage, die es in ganz Deutschland gibt“, sagte CDU-Landeschef Mario Voigt nach der Abstimmung vom Donnerstag - ausgerechnet gegenüber dem rechtskonservativen Magazin „Tichys Einblick“. Mit der AfD sei „kein Staat zu machen“, meint Voigt, dennoch könne er nicht bei jeder Abstimmung darüber diskutieren, wie sich die AfD verhält - und ob sie womöglich zustimmt.

Derartige strategische Ratlosigkeit zahlt nur bei der AfD ein, die sich bereits auf Wahlergebnisse über 33 Prozent freut, da sie dann eine Sperrminorität für verfassungsändernde Gesetze hätte.

Normalisierung des Radikalen

In Thüringen und Sachsen hat die CDU inzwischen die Grünen zum Hauptgegner erklärt, auch um sich nicht ständig an der AfD abzuarbeiten. „Durch das Nachsingen irgendwelcher grüner Lieder werden wir nicht stärker werden“, sagte Mario Voigt im „Tichys Einblick“-Interview. „Im Gegenteil. Die Grünen haben sich vollkommen verabschiedet von der Lebensrealität in diesem Land.“ Und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat diese Woche verkündet, dass er die nächste Landesregierung am liebsten wieder ohne die Grünen bilden möchte. Man könne sagen, referierte Kretschmer auf einer Parteiveranstaltung mit Blick auf die Grünen: „Ich kann diese Leute vielleicht nicht sonderlich leiden – und ich mag ihre Lebensart nicht.“

Nicht zum ersten Mal kopieren Unionspolitiker ein Feindbild der AfD, um bei deren Klientel zu punkten. Friedrich Merz warnte Ende 2022 vor einer „Einwanderung in die Sozialsysteme“ und verwendete damit einen klassischen AfD-Topos. So sickern die Feindbilder und die radikalen Slogans der AfD in die bürgerlichen Parteien ein - und werden normalisiert.

Ausweitung des Sagbaren

Nicht nur Björn Höcke versucht in seinen Reden stets in Ton und Inhalt an natinalsozialistische Rhetorik anzuknüpfen. 2017 forderte er eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“, auf der Europawahlversammlung in Magdeburg sagte er: „Diese EU muss sterben, damit das wahre Europa leben kann“. Demnächst steht er in Merseburg vor Gericht, weil er den SA-Wahlspruch „Alles für Deutschland“ in eine Wahlkampfrede einbaute. Höcke gibt inzwischen den Ton für die breite Mehrzahl der AfD-Redner vor. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang sagt: „Solche Äußerungen bieten Anhaltspunkte dafür, dass hier die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes für bestimmte Bevölkerungsgruppen infrage gestellt wird.“ In den zehn Jahren ihres Bestehens hat die AfD die Zone des Sagbaren immer mehr ausgeweitet, auch mit Blick auf die deutsche Geschichte.

Geschichtsrevisionismus

AfD-Chefin Alice Weidel nennt den 8. Mai 1945 eine „Niederlage des eigenen Landes“. Europa-Spitzenkandidat Maximilian Krah sagt in einem Tiktok-Video: „Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher. Wir haben allen Grund, stolz auf unser Land zu sein“. Am Wochenende wird Krah und AfD-Chef Tino Chrupalla zu Gast beim wahlkämpfenden Nordhäuser Oberbürgermeisterkandidaten Jörg Prophet sein, der mit Blick auf die in Nordhausen gelegene KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora ein Ende des „Schuldkults“ fordert.

Zwar bezeichnet der Partei-Senior Alexander Gauland sein Wort vom „Vogelschiss“ für die NS-Zeit inzwischen als „Fehler“, aber der Geschichtsrevisionismus gehört stets zu den Strategien der Rechtspartei. „Die AfD steht geschichtspolitisch für eine profaschistische Geschichtsdeutung - passend zu ihren Politik- und Gesellschaftszielen“, sagte der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Social-Media-Meisterschaft

Es ist kein Zufall, dass Krah seine revisionistischen Thesen via TikTok verbreitet - hier versucht die AfD ein junges Publikum zu erreichen. Facebook, Twitter und Telegram sind Standard für die Social-Media-Arbeit, aber bei den Erstwählern haben die Rechten noch Nachholbedarf. Vorbild ist die rechtsextreme Partei Konfederacja in Polen, die mit aggressivem TikTok-Wahlkampf bei den ganz Jungen vorn liegt. Krahs Videos schauen regelmäßig mehrere Zehntausend Menschen an. Das Profil der AfD Sachsen hat 121.000 Fans und sammelte 1,8 Millionen Likes ein. Im Freistaat ist sonst nur noch die Linke mit fast vernachlässigbaren 1.600 Fans auf TikTok vertreten. CDU, SPD, Grüne, FDP - Fehlanzeige.