EuropawahlWer will was? Die Wahlprogramme der Parteien im Schnellcheck

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Eine Fahne der EU weht im Wind. Die Wahl zum Europäischen Parlament findet vom 6. bis 9. Juni 2024 in den EU-Mitgliedstaaten statt. In Deutschland ist der 9. Juni der Wahltag.

Eine Fahne der EU weht im Wind. Die Wahl zum Europäischen Parlament findet vom 6. bis 9. Juni 2024 in den EU-Mitgliedstaaten statt.

Klimakrise, Migration, Sicherheit, Subventionen oder Bürokratie: Die Themen in der EU sind vielfältig. Ein Überblick über die Schwerpunkte der Parteien in ihren Wahlprogrammen – und ihre Hürden.

Die Europawahl 2024 ist die erste nach dem Brexit, nach der Corona-Pandemie und seit Russlands Krieg gegen die Ukraine. Die Europäische Union steht angesichts geopolitischer Spannungen vor zahlreichen Herausforderungen, muss beispielsweise ihre Sicherheits- und Verteidigungspolitik langfristig aufstellen und Maßnahmen zur Eindämmung der Klimakrise ergreifen. Ein Überblick über die Schwerpunkte der Parteien in ihren Wahlprogrammen – und ihre Hürden.

CDU/CSU: Mehr Sicherheit und weniger Flüchtlinge

Die CDU/CSU rückt die Themen Sicherheit und Verteidigung an oberste Stelle. Sie will die gemeinsame Entwicklung und Beschaffung von Waffen in der EU massiv vorantreiben, setzt sich für einen EU-Raketenabwehrschirm ein und will, dass die EU mehr Verantwortung bei den großen Krisen auf der Welt übernimmt. Die EU-Kommission mit ihren 26 Kommissaren, einer aus jedem Mitgliedsland, ist ihr zu groß. Allerdings will sie beim Zuschnitt der Zuständigkeiten künftig einen Kommissar für Verteidigung haben.

„Wir brauchen eine bessere Überwachung der EU-Außengrenzen und – wo immer es nötig ist – auch baulichen Grenzschutz“, heißt es im Wahlprogramm. Konkret will die Union die EU-Grenzagentur Frontex auf 30.000 Grenzschützer aufstocken. Wer in Europa Asyl beantragen will, soll in Drittstaaten gebracht werden und dort das Asylverfahren durchlaufen (Ruanda-Modell). Außerdem will die CDU/CSU das Verbot von neuen Fahrzeugen mit Verbrennermotor 2035 wieder abschaffen.

Realitätscheck: Für eine Stärkung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik werden die Konservativen im Parlament leicht eine Mehrheit finden. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bereits ihre Rolle als Krisenmanagerin gefunden, reist in die Ukraine, nach Israel und in andere Krisengebiete. Allerdings liegt die Hoheit über den Einsatz von Soldaten und den Kauf und Einsatz von Waffen bei den Mitgliedstaaten. Es wird ein schweres Ringen, Kompetenzen auf die EU-Ebene zu verlagern. Das Ruanda-Modell ist politisch hochumstritten und Fachleute verweisen darauf, dass es Großbritannien bisher nur viel Geld gekostet aber keinen Nutzen gebracht habe. Zudem dürfte es vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte keinen Bestand haben. Umstritten ist auch die Rücknahme des Verbrennerverbots, selbst in der eigenen Fraktion. Am Ende könnte das Verbot aufgeweicht werden, indem weiterhin Verbrenner für den Betrieb mit E-Fuels verkauft werden dürfen. Bisher gibt es diesen Kraftstoff allerdings noch nirgendwo zu kaufen.

SPD: Gegen Rechts und Europas Autokraten

Die SPD hat den Kampf gegen Rechtsextreme, Rechtspopulismus und Autokraten zu einem ihrer Schwerpunkte erklärt. Sie will sich für schärfere finanzielle Sanktionsmöglichkeiten einsetzen, wenn ein Staat wie Ungarn gegen europäische Werte verstößt. Außerdem soll der Staat sein Stimmrecht im Europäische Rat verlieren. Mehr Geld wollen die Sozialdemokraten in die europäischen Verteidigungsfonds investieren, in den Klimaschutz und den Ausbau Erneuerbarer Energien.

Um Europa unabhängiger zu machen, will die SPD staatliche Subventionen in Schlüsselindustrien ausweiten.

Die Sozialdemokraten wollen ein europäisches Nachtzugnetz aufbauen, Bahnfahren günstiger und attraktiver als Fliegen machen und ein Europaticket für den ÖPNV entwickeln. Sie setzen sich für eine humanitäre Flüchtlingspolitik und ein faires Asylverfahren mit hohen rechtsstaatlichen Standards ein.

Realitätscheck: Eine schärfere Gangart gegen Autokraten wie dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban scheiterte bisher an der Einstimmigkeit im Europäischen Rat, in dem Ungarn selbst vertreten ist. Da auch andere davor zurückschrecken, einen Präzedenzfall zu schaffen, gelten die Chancen als gering. Aussichtsreicher ist dagegen, die notwendige Einstimmigkeit im Rat in vielen Fragen im Zuge einer EU-Erweiterung abzuschaffen. Dann können einzelne Staaten auch keine Beschlüsse mehr blockieren.

Die Grünen: Klimaneutralität und Wettbewerbsfähigkeit

Europa soll klimaneutral und wettbewerbsfähig werden, heißt es im Wahlprogramm der Grünen. Dies beinhaltet Investitionen in Wasserstoffnetze, Glasfaserleitungen, Stromtrassen, Schienen sowie Solar- und Windparks. Selbst von der Energiewende zu profitieren, soll noch einfacher werden: Als Mitglied eines Bürgerwindparks, mit dem Strom der eigenen Photovoltaikanlage oder dem E-Auto als Pufferspeicher sollen Bürgerinnen und Bürger Geld verdienen können. Zudem soll ein höherer Mindestlohn kommen (14 Euro in Deutschland), Homeoffice in anderen EU-Ländern einfacher möglich sein und Jugendarbeitslosigkeit abgebaut werden.

In der Außenpolitik setzen die Grünen auf Kooperationen zwischen den EU-Staaten, etwa bei der Beschaffung und Entwicklung von Waffen, und wollen den hohen Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik zu einem EU-Außenminister machen. Die Asylpolitik der EU soll wieder im Einklang mit den Menschenrechten stehen, fordern sie. Ihnen geht es um eine faire Verteilung von Schutzsuchenden und Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten. Abschottung und Grenzzäune lehnen sie ab.

Realitätscheck: Für ein europäisches Investitionsprogramm gibt es zwar eine Mehrheit, doch in der konkreten Ausgestaltung unterscheiden sich die Parteien. Allein klima- und umweltfreundliche Geschäftsmodelle zu stärken, dürfe wohl kaum gelingen. Zu groß ist in anderen Parteien die Sorge, andere Wirtschaftszweige dadurch abzuwürgen. Mit ihren Vorstellungen in der Asylpolitik haben die Grünen derzeit kaum Chancen. Fast geschlossen stimmten sie gegen die jüngsten Verschärfungen im Umgang mit Flüchtlingen, doch ohne Erfolg. Und konservative und rechte Parteien haben bereits Pläne für eine noch schärfere Migrationspolitik vorgelegt.

FDP: Weniger Bürokratie und mehr Geld für Atomkraft

Die Liberalen wollen 50 Prozent weniger Bürokratie für die Wirtschaft und für jede neue Regulierung zwei andere streichen. Ein Mittelstandskommissar soll sich darum kümmern. Europa müsse unabhängiger von China werden und insbesondere kritische Infrastruktur vor dem Einfluss von Autokraten schützen. Ein weiteres Mal wollen sie versuchen, sich mit den USA auf ein Freihandelsabkommen zu einigen.

Die FDP will modulare Atomkraftwerke fördern und den Einsatz von E-Fuels für klimaneutrale Mobilität ermöglichen. In der Migrationspolitik unterstützen die Liberalen die Pläne, Asylanträge in Drittstaaten zu bearbeiten (Ruanda-Modell), damit Flüchtlinge erst gar nicht in die EU gelangen.

Realitätscheck: Weniger Bürokratie fordern alle Parteien, doch die gesetzgeberische Arbeit des Parlaments impliziert häufig neue Regelungen für die Wirtschaft. Dass es tatsächlich einen Mittelstandskommissar geben wird, ist fraglich angesichts einer Vielzahl anderer Herausforderungen. Eine Ausweitung der Förderung modularer Atomkraftwerke hat mehr Chancen. Denn schon in den letzten Jahren investierte die Kommission große Summen in diesen Forschungszweig. Kritiker warnen aber davor, dass diese Forschung viel Geld verschlingt, aber noch viele Jahre bis zur Praxistauglichkeit benötigt – wenn es dazu überhaupt kommt.

Linke: Höhere Löhne und 4-Tage-Woche

Mehr Löhne, mehr Freizeit, mehr Absicherung – so könnte sich das Programm der Linken zusammenfassen. Sie wollen 14 Euro Mindestlohn in Deutschland (60 Prozent des nationalen Median) und eine 4-Tage-Woche bei vollem Lohn. Gegen Stress und körperliche Überlastung müsse es eine EU-Arbeitsrichtlinie geben. Mit einem europäischen Mindesteinkommen und einer Mindestrente will die Linke gegen Armut vorgehen und Superreiche zur Kasse bitten. Spekulationsgewinne sollen besteuert und Steueroasen trockengelegt werden.

Im Krieg Russlands gegen die Ukraine geben die Linken der Nato eine Mitschuld und wollen diplomatischen Druck, um Verhandlungen mit Russland zu erreichen. Die Partei fürchtet eine Militarisierung der EU und lehnt Waffenexporte in Kriegsgebiete ab. Die EU-Sanktionen gegen Russland unterstützt die Linke aber und fordert, auch die russische Atombranche zu sanktionieren.

Realitätscheck: Während auch andere Parteien schon länger Sympathien für einen europäischen Mindestlohn haben, sehen die EU-Staaten dies als Eingriff in ihre Souveränität. Ebenso ist man angesichts einer kriselnden Wirtschaft in vielen Mitgliedstaaten weit davon entfernt, die 4-Tage-Woche (30 Wochenstunden) als neuen Standard zu etablieren.

AfD: EU-Parlament abschaffen und D-Mark einführen

Die EU sei undemokratisch, unreformierbar und insgesamt gescheitert. So steht es im Programm der AfD. Die rechtsextreme Partei hatte schon einmal den Austritt Deutschlands aus der EU ins Spiel gebracht, ruderte jedoch schnell zurück. Bei den nun anstehenden Wahlen zum EU-Parlament fordert die AfD die Abschaffung eben dessen. Jedes Land sollte eigene Regeln aufstellen, statt gemeinsame Regelungen auf europäischer Ebene zu finden. Dies fordert die AfD unter anderem für die Landwirtschaft, die Bau- und Wohnungspolitik sowie die Energieversorgung. Den menschengemachten Klimawandel leugnet die AfD in ihrem Wahlprogramm. Sie behauptet auch, es gebe keine Zunahme an Extremwetterereignissen oder einen immer schneller ansteigenden Meeresspiegel.

UN-Verträge zur Aufnahme von Geflüchteten lehnt die AfD ab. Europa soll zu einer „Festung“ werden, was physische Barrieren, eine technische Überwachung und den Einsatz von Grenzschutzkräften umfasse. Die AfD will wieder die Deutsche Mark einführen und die „Wiederherstellung des ungestörten Handels mit Russland“. Die Sanktionen gegen Russland sollen aufgehoben und wieder Gas aus Russland über die Nord-Stream-Leitungen gekauft werden.

Realitätscheck: Die AfD steht mit ihren radikalen Forderungen isoliert am rechten Rand des Parlaments. Selbst der französischen Rechtspopulistin Marine Le Pen ist die AfD zu rechts. In den vergangenen Jahren beteiligten sich AfD-Abgeordnete nicht an der parlamentarischen Arbeit, heißt in Brüssel. Da die AfD auch keine nennenswerten Allianzen gebildet, sondern sich zusehends mit anderen Parteien verkracht hat, wird sie voraussichtlich keine ihrer Forderungen umsetzen können.

BSW: Zurück zu Russland und keine ausländischen Fachkräfte mehr

Das Bündnis Sahra Wagenknecht fordert einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen in der Ukraine sowie den Einkauf von Öl und Gas aus Russland. Es will Hochgeschwindigkeitsstrecken zwischen europäischen Hauptstädten ausbauen und das Verbot von Neuwagen mit Verbrennermotor ab 2035 kippen. In der Migrationspolitik steht das BSW Asylverfahren in Drittstaaten (Ruanda-Modell) offen gegenüber. Allerdings soll nur nach Europa dürfen, wer wirklich Schutz braucht. Gut ausgebildete Fachkräfte sollen nicht in die EU kommen, sondern in ihren Heimatländern arbeiten.

Realitätscheck: Die neue Partei von Sahra Wagenknecht hat einen deutlich pro-russischeren Kurs als die Linkspartei, orientiert sich aber in der Asylpolitik stärker an den Konservativen und Rechtspopulisten. Damit wird es schwer, in der Linksfraktion aufgenommen und eigene Themen einbringen zu können. Weder ihre Russland-Politik ist mehrheitsfähig noch ihre Ablehnung von hochqualifizierten Fachkräften aus dem Ausland. Dabei fehlen allein in Deutschland bis 2040, mehr als drei Millionen Fachkräfte.