Kölner Politologe„Man kann die AfD nicht mit ihren eigenen Themen schlagen“

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Björn Höcke (AfD, M), Partei- und Fraktionsvorsitzender der AfD in Thüringen und Spitzenkandidat, verlässt die Wahlparty der AfD.

Björn Höcke, Partei- und Fraktionsvorsitzender der AfD in Thüringen und Spitzenkandidat, verlässt die Wahlparty der AfD. Journalisten waren nicht zugelassen.

Marcel Lewandowksy erklärt im Interview, warum die Protestwahl als Argument ausgedient hat und welche Strategien gegen Populisten helfen.

In Thüringen ist die AfD seit dem 1. September stärkste politische Kraft, in Sachsen zweitstärkste. Die Wahlbeteiligung war in beiden Ländern historisch hoch. Normalerweise ist das ein Grund zur Freude – auch bei diesen Wahlen?

Marcel Lewandowsky: Ja. Hohe Wahlbeteiligungen stärken die Legitimität des Ergebnisses. Aber wir sehen eben, dass die rechtsextremen Parteien stark mobilisieren. Und das Problem ist, dass Menschen, die diese Parteien wählen, zu großen Teilen mit deren Inhalten übereinstimmen. Das ist keine reine Protestwahl. Man wählt die AfD genau für das Programm, das sie vertritt.

Der AfD werden in Umfragen von ihren Wählern hohe Kompetenzwerte zugeschrieben. Ist das nicht kurios bei einer Partei, die bislang nichts umsetzen musste?

Mich überrascht das nicht. Wir wissen, dass die Wählerinnen und Wähler der AfD nicht nur deren Positionen teilen, sondern auch sehr negative Einstellungen gegenüber allen anderen Parteien haben. Das spielt in die Kompetenzzuschreibungen hinein. Die sind Ausdruck davon, dass man erwartet, dass die AfD es nicht so schlecht machen wird wie alle anderen.

Die FDP ist pulverisiert worden, die Grünen haben es in Thüringen nicht in den Landtag geschafft. Die SPD ist in beiden Bundesländern gerade so drin. Was wäre Ihre dringende Empfehlung an die Ampel in Berlin?

Die Ampel steht als Koalition sehr schlecht da. Sie hat es seit der Energiekrise oder besser, der Angst vor einer Energiekrise, im Jahr 2022 nicht geschafft, aus ihrem Loch rauszukommen. Hinzu kommt ein Bundeskanzler, der sehr ungeschickt kommuniziert, teilweise nicht sichtbar ist. Was die Außenwirkung angeht, gibt es momentan kein Pfund auf Seiten der Ampel. Problem ist auch, dass die Regierung kaum umsteuern kann. Die Parteien sind aufeinander angewiesen, weil jede fürchten müsste, bei Neuwahlen aus der Regierung zu fliegen, die FDP sogar aus dem Bundestag. Die sind in ihrer Tragik zusammengeschweißt. Sie brauchen zur nächsten Bundestagswahl sowohl zugkräftige Themen als auch Spitzenpersonal, das begeistern und mobilisieren kann.

Björn Höcke gilt selbst in seiner eigenen Partei als sehr umstritten. Hat er seine Stellung mit dem starken Wahlergebnis in Thüringen jetzt gefestigt?

Höcke ist einer der wichtigsten und einflussreichsten Köpfe innerhalb der AfD. Die sogenannten Moderaten in der AfD sind schon lange marginalisiert. Höcke wird natürlich einen Führungsanspruch vermelden. Ob der sich jetzt darauf bezieht, dass er selbst einen Posten auf Landes- oder Bundesebene bekleiden will, wird sich zeigen. Aber er wird mit Sicherheit Einfluss nehmen auf die Personalien und die Strategie der Partei bei der Bundestagswahl. Denn Thüringen kann, genauso wie der sächsische, ebenfalls extreme Landesverband sagen: Unsere Strategie hat funktioniert.

Könnten sich AfD und BSW in Thüringen nun zusammentun? Das BSW ist ja eigentlich angetreten, um eine starke AFD zu verhindern.

Das BSW hat wechselnde Signale gesendet, was Koalitionen oder Zusammenarbeit betrifft. In Thüringen ist die Lage besonders schwierig. Da hängt es auch an der Frage, ob die CDU mit der Linken zusammengeht. Denn das wäre die einzige Koalition ohne die AfD, die eine Mehrheit hätte. Die Union hat aber einen Unvereinbarkeitsbeschluss sowohl mit der Linken als auch mit der AfD. Was das BSW angeht, wird es eventuell auch darauf ankommen, ob die AFD auf Björn Höcke als Ministerpräsidenten pocht. Das BSW ist eine sehr junge Partei ohne abgeschlossene Strategie. Es ist schwer einzuschätzen, was kommt.

Marcel Lewandowsky

Marcel Lewandowsky ist Politologe und Demokratieforscher.

Wenn die CDU in Thüringen mit den Linken und der BSW regieren würde, um die AfD zu verhindern, steht viel Zank zu befürchten. Die AfD könnte bei der nächsten Wahl noch stärker werden. Wie kommt man da raus?

Gar nicht. Die CDU hat in Thüringen einen Linken-Landesverband vor sich, bei dem sie gut hätte rechtfertigen können, dass man da im Zweifel zusammengehen kann: Bodo Ramelow ist kein Extremist. Das hat man aber versäumt. Jetzt steht die CDU vor einem unlösbaren Dilemma. Egal wie Mario Vogt sich entscheidet, er wird auf jeden Fall einen Konflikt innerhalb der Union provozieren – entweder, weil er mit der AfD zusammengeht oder mit der Linken. Dieser Konflikt ist vorprogrammiert.

Der größere Tabubruch wäre aber eindeutig die AfD.

Für Außenstehende ja, aber ich bin mir nicht sicher, ob das für jeden CDU-Verband in Thüringen gilt. Da gibt es sicher einige, die ein größeres Problem mit der Linken hätten.

Wäre die AfD an der Macht, hätte sie alle Möglichkeiten, den öffentlichen Rundfunk in Thüringen zu beschneiden oder gleich abzuschaffen.
Marcel Lewandowsky

Die Thüringer AfD hat Journalisten bei ihrer Wahlparty nicht zugelassen. Ist das nur ein Vorgeschmack auf das, was der freien Presse blüht, wenn die AfD regieren sollte?

Die AfD macht sehr klar, dass sie die Presse praktisch für Staatsmedien hält. Sie hält das Narrativ hoch, dass die Journalisten mit den etablierten Parteien zusammenarbeiten, insbesondere die Öffentlich-Rechtlichen. Das wird sich auch nicht ändern. Wäre die AfD an der Macht, hätte sie alle Möglichkeiten, den öffentlichen Rundfunk in Thüringen zu beschneiden oder gleich abzuschaffen. Ich halte das für nicht ausgeschlossen, dass sie genau das schnell täte.

In Sachsen ist die CDU nach wie vor stärkste Kraft. Warum hat Sachsen besser abgeschnitten als Thüringen, was die Populisten angeht?

Sachsen ist strukturell ebenfalls ein konservatives Bundesland, und da gab es noch den Amtsbonus des Amtsinhabers. Michael Kretschmer ist relativ beliebt, hat sich auch mit Blick auf den russischen Krieg und die Hilfen für die Ukraine anders als die Bundes-CDU positioniert. Das dürfte der Union Stimmen eingebracht haben. Hinzu kommen die Leihstimmen, also diejenigen, die die Union unterstützen, damit es nicht die AfD wird. Einen kleinen Amtsbonus hat Bodo Ramelow ja auch genossen. Die Linke hat in Thüringen sehr viel stärker abgeschnitten als in Sachsen. Trotzdem hat es für die Linke nicht gereicht.

Die AfD erhebt in Sachsen den Anspruch, in eine Koalition mit der CDU zu gehen. Kretschmer schließt eine Koalition mit dem BSW nicht aus. Womit rechnen Sie in Sachsen?

Wenn man nicht in eine Koalition mit den Rechtspopulisten muss, dann machen die Parteien das in der Regel auch nicht. Darum sehe ich keine Koalition der CDU mit der AfD. Ich halte ein Zusammengehen mit dem BSW für wahrscheinlicher.

Wenn die Parteien eine härtere, restriktivere Migrationspolitik fordern, gewinnen die Rechtspopulisten sogar noch.
Marcel Lewandowsky

Eine gute Nachricht vom Montag: Zumindest in Sachsen hat die AFD keine Sperrminorität. Warum ist das wichtig?

Sperrminorität bedeutet, dass eine Partei mehr als ein Drittel der Stimmen im Parlament hat. Bei manchen wichtigen politischen Fragen braucht es Zwei-Drittel-Mehrheiten. Die AfD hat mit Sperrminorität in einer sehr wesentlichen Institution wie dem Landesverfassungsgericht den Fuß in der Tür.  Wenn in Thüringen Landesverfassungsrichter in Pension gehen und neu gewählt werden, muss das Parlament neue Richter mit Zwei-Drittel-Mehrheit bestimmen. Dort hat die AfD Sperrminorität, kann also Entscheidungen blockieren, ihre eigenen Kandidaten aufstellen. Höcke würde sein politisches Mandat als Willen des Volkes inszenieren. Wenn die anderen Parteien nicht mitmachen, stehen sie als diejenigen da, die diesen Volkswillen ignorieren. Egal, wie es ausgeht: Die Sperrminorität zahlt sich immer für die AfD aus.

Was sind die größten Fehler, die die politischen Gegner der AfD im Umgang mit ihr machen?

Der größte Fehler ist zu glauben, man könnte die AfD mit ihren eigenen Themen schlagen. Die Asyl- und Migrationspolitik ist nicht dazu geeignet, Wähler der Rechtspopulisten zurückzugewinnen. Wir wissen auch aus der internationalen Forschung, dass das nicht funktioniert. Wenn die Parteien eine härtere, restriktivere Migrationspolitik fordern, gewinnen die Rechtspopulisten sogar noch. Diesen Fehler wiederholen die Parteien immer wieder und ich habe nicht den Eindruck, dass das nach diesen Wahlergebnissen anders würde.

Die CDU hat bei der Wahl besser abgeschnitten als die anderen Parteien. Ist es für die CDU nicht doch nützlich gewesen, dass sie sich in Sachen Flüchtlingspolitik auch hart an die AfD heran bewegt hat?

Nein. Denn die Rechtspopulisten haben noch stärker gewonnen. In Sachsen sind sie bis fast an die Union herangerückt, in Thüringen sind sie weit vorne. Durch die Annäherung an die Themen der AfD bereitet man denen das Spielfeld, und auf diesem Spielfeld gewinnen sie.

Wenn die AFD in beiden Bundesländern in die Opposition geht, kann sie so weitermachen wie bisher: Gift säen. Mit welcher Strategie ließe sich eine starke AfD in der Opposition am ehesten entzaubern?

Die anderen Parteien müssten einen beliebten Ministerpräsidenten haben, landespolitische Erfolge vorweisen, auf Bundesebene sichtbar sein. Und die Parteien müssten sich fragen: Welche Themen besetzen wir selbst stark? Wie schaffen wir es, medial wegzugehen von Themen, die vor allem der AfD nützen?

Die AfD ist gut darin, mit Tabubrüchen große mediale Aufmerksamkeit zu bekommen. Wie können Journalisten vermeiden, die AfD unfreiwillig zu stärken?

Das ist ein Problem, aus dem die Medien schlecht rauskommen. Wann immer Rechtspopulisten im Fernsehen auftauchen, auch wenn sie dabei negativ dargestellt werden, steigen ihre Popularitätswerte, weil sie eine Bühne haben, weil sie sichtbar sind. Aber gerade öffentlich-rechtliche Medien können nicht sagen: Wir zeigen die gar nicht. Am besten sind Berichte, die AfD-Aussagen einordnen, die Partei-Strategie erklären und was aus einer demokratischen Sicht daran problematisch ist. Schwierig finde ich es, Anführer der AfD zu Interviews einzuladen und dann gemütlich über deren Kindheit zu sprechen. Damit rückt der rechtspopulistische bis rechtsextreme Inhalt dieser Partei in den Hintergrund, die AfD wird weiter normalisiert und legitimiert.