Zahl der Asylbewerber gestiegenWo in NRW die meisten Geflüchteten unterkommen

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Auf einem Stockbett liegen eingeschweißte Bettbezüge.

Betten für Flüchtlinge stehen im Zelt einer Flüchtlingsunterkunft im Stadtteil Chorweiler in Köln bereit. (Archivbild)

Die Zahl der Asylbewerber in Nordrhein-Westfalen steigt stark an. Daten zeigen, in welchen Städten und Gemeinden die meisten Menschen Schutz finden.

Immer mehr Menschen beantragen in Deutschland Asyl. Allein in Nordrhein-Westfalen haben in der ersten Jahreshälfte 33.500 Menschen einen Asylantrag gestellt – fast doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum. Dieser Trend setzt sich vermutlich fort: Weltweit waren noch nie zuvor so viele Menschen auf der Flucht vor Krieg, Terror und Verfolgung. Einige Kommunen, die besonders viele Geflüchtete aufgenommen haben, blicken mit Sorge in die Zukunft. 

Mario Löhr ist der Frust deutlich anzuhören. „Seit 2015 hat man nichts dazu gelernt“, sagt er. „Man“, damit meint der SPD-Politiker mal die Landesregierung und mal die Bundesregierung, öfter aber erstere. Seit drei Jahren ist Löhr Landrat vom Kreis Unna. In zwei Städten seines Kreises, Unna und Selm, betreibt das Land Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge, mit Platz für je 824 und 700 Menschen. Sowohl Selm als auch die Stadt Unna gehören zu den fünf nordrhein-westfälischen Kommunen, in denen die meisten Asylbewerber leben. 

Es ist eine Strategie, die auf den ersten Blick den kommunalen Geldbeutel erleichtert: Durch die Zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen (ZUE) des Landes müssen die Kommunen selbst weniger Geflüchtete unterbringen und betreuen. Löhr zufolge kümmert sich das Land jedoch nicht ausreichend um die ihm anvertrauten Geflüchteten - und das wirkt sich auch auf das Leben in der Kommune aus. Ehrenamtliche, die gerne helfen würden, scheitern offenbar häufig an bürokratischen Zuständigkeiten. 

„Sowohl der Bund als auch das Land haben meiner Ansicht nach keine Strategie“, sagt der SPD-Politiker. „Es ist ein: Wir schaffen die Plätze, dann kommen alle da rein, wir haben das Problem gelöst und ihr seht mal, wie ihr klarkommt.“ Ende des vergangenen Jahres habe Löhr der Landesregierung ein Konzept für mehr interkommunale Zusammenarbeit vorgeschlagen und sogar dem Ministerpräsidenten geschrieben. „Aber das wurde wieder auf die fachliche Ebene heruntergestuft“, so der Landrat. 

Gefahr, „dass die grundsätzlich wohlwollende Stimmung kippt“

Löhr plädiert für ein klares Konzept von Bund und Land, für „deutliche Hinweise an die Bürger, wie es weitergeht.“ Denn natürlich birgt das Thema Flüchtlingsunterkünfte Konfliktpotenzial - vor allem, wenn die Personen nur für eine kurze Zeit bleiben und deshalb nicht richtig in die Gemeinschaft integriert werden. „In Selm sind 700 Menschen in einer Zeltstadt eingepfercht“, sagt Löhr. „Da wird es natürlich abends auch mal lauter. Wenn da ein Wohngebiet angrenzt, kommen die nächsten Probleme.“

Ein ähnliches Bild zeigt sich in Soest. Die dortige Zentrale Erstaufnahmeeinrichtung (ZUE) bietet Platz für bis zu 1500 Menschen. Deshalb hat Soest die NRW-weit höchste Aufnahmequote. Die Stadtwache im Ordnungsamt sei wegen einer steigenden Zahl an Tatverdächtigen aus der ZUE personell aufgestockt worden, schreibt die Stadt, das städtische Jugendamt kämpfe mit der zusätzlichen Belastung durch die Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, Inobhutnahmen, und Familienhilfefällen. Die Sorge sei groß, „dass die grundsätzlich wohlwollende Stimmung der Bevölkerung vor Ort kippt“, so ein Sprecher.  Bürgermeister Eckhard Ruthemeyer (CDU) fordert nun das Flüchtlingsministerium NRW auf, sich an zusätzlichen Kosten zu beteiligen.

In Oberhausen, 100 Kilometer von Soest entfernt, haben offenbar zahlreiche ukrainische Geflüchtete Schutz gefunden. „Die Aufnahmebereitschaft in Oberhausen ist hoch und die Akzeptanz und die ehrenamtliche Unterstützung groß“, schreibt die Stadt. Doch auch im westlichen Ruhrgebiet wünscht man sich mehr Planungssicherheit, mehr finanzielle Absicherung bei der Betreuung der Geflüchteten. Das Verständnis der Bevölkerung könne Grenzen haben, wenn „Kindergartengruppen und Schulklassen wachsen und Wohnraum knapper wird“, so die Stadt. „Hier ist Transparenz eine Daueraufgabe.“

Wie die Geflüchteten auf die Kommunen verteilt werden

Die Bezirksregierung Arnsberg koordiniert für Nordrhein-Westfalen die Zuweisung der Geflüchteten auf die 396 nordrhein-westfälischen Kommunen. Dabei nutzt sie einen Verteilungsschlüssel, der sich an Einwohnerzahl und Gesamtfläche der Stadt oder Kommune orientiert: So muss die Stadt Köln, in der mehr als eine Million Menschen leben und deren Gebiet sich auf mehr als 400 Quadratkilometer erstreckt, mehr Geflüchtete aufnehmen – insgesamt etwa 5,6 Prozent der in NRW Ankommenden – als kleinere Städte und Gemeinden. 

Jeden Monat melden die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen der Bezirksregierung Arnsberg die von ihnen aufgenommenen Flüchtlinge. Aus diesen Meldungen und dem Verteilungsschlüssel wird für jede Kommune berechnet, wie viele Menschen sie aktuell unterbringen muss. Gibt es in einer Stadt oder Gemeinde eine Unterbringungseinrichtung des Landes, werden die dort vorhandenen Plätze von der berechneten Aufnahmeverpflichtung abgezogen – die Unterkünfte fließen also als voll in die Statistik ein, ganz egal, ob sie gerade komplett belegt sind oder nicht.

Die Geflüchteten kann man in vier Gruppen unterteilen: Asylbewerber, ukrainische Geflüchtete - diese müssen keinen Asylantrag stellen und reisen visumfrei ein -, Personen, die Asyl bekommen haben und abgelehnte Asylbewerber. Die ersten beiden Gruppen, Asylbewerber und ukrainische Geflüchtete fließen in die erste Statistik der Bezirksregierung ein. Kommunen, die die Zahlen nicht fristgerecht gemeldet haben, sind in der Grafik oben beige unterlegt.

Prozentual hat somit die Stadt Soest derzeit die meisten Geflüchteten aufgenommen. Nach Angaben der Bezirksregierung Arnsberg leben dort derzeit 607 Geflüchtete. Das entspräche einer Aufnahmequote von 189 Prozent.

Die Personen, die Asyl bekommen haben, erfasst die Bezirksregierung in einer separaten Statistik. Die meisten von ihnen leben in Großstädten:

Die Zahlen sind jedoch nur eine Momentaufnahme und dadurch bedingt aussagekräftig. Eine Personengruppe, die abgelehnten Asylbewerber, fehlt zudem ganz. Weil die Bezirksregierung Arnsberg diese nicht mehr auf die Kommunen verteilt, erhebt sie deren Daten auch nicht. Die Frage, wie viele Geflüchtete wo leben, lässt sich also trotz der regelmäßig abgefragten Daten nicht in Gänze beantworten.

Forsa: Bevölkerung will „gemeinsame Lösungssuche“

Dabei bewegt das Thema Zuwanderung und Integration die Menschen in Deutschland sehr, wie eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa zeigt: Demzufolge empfinden 21 Prozent der Befragten das Thema als wichtiges Problem, womit es häufiger genannt wurde als das Thema Ökologie (18 Prozent).

Frühere Umfragen zeigen, „dass eine Mehrheit der Bundesbürger nicht pauschal gegen Zuwanderung eingestellt, sondern durchaus zu einer Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern bereit ist“, heißt es dazu von Forsa. Gleichzeitig erwarte eine Mehrheit der Bundesbürger, „dass die mit der hohen Zahl an Zuwanderern und Flüchtlingen vor Ort entstehenden Probleme nicht verschwiegen werden, sondern dass die politischen Akteure in Bund, Ländern und Gemeinden gemeinsam nach Lösungen suchen“.