Kindesmissbrauch in LügdeVerlängerten Polizei-Pannen das Leid der Opfer?

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Auf dem Campingplatz Eichwald in Lügde hing 2019 vor dem versiegelten Campingwagen eine Banderole mit der Aufschrift „Polizeiabsperrung“.

Auf dem Campingplatz Eichwald in Lügde hing 2019 vor dem versiegelten Campingwagen eine Banderole mit der Aufschrift „Polizeiabsperrung“.

Mögliche Polizei-Pannen im Lüdge-Komplex werden im Untersuchungssauschuss aufgearbeitet. Kam den Tätern die Lage des Tatorts in Lügde an der Grenze zwischen zwei Bundesländern zugute?

Wolfgang Niewald, Leiter der Direktion Kriminalität bei der Polizei Bielefeld, scheint sich seiner Sache sicher zu sein. Als er am Freitag im Untersuchungsausschuss „Kindesmissbrauch“ im Düsseldorfer Landtag vernommen wird, der sich mit möglichen Pannen bei der Aufklärung des Lügde-Komplexes befasst, wirkt er unaufgeregt. Nein, er sehe nicht, dass ein Kind wegen des „Nichthandelns“ der Polizei in Bielefeld „länger missbraucht“ wurde, sagt der 60-Jährige. Das Verhalten der Kollegen sei „nicht vorwerfbar“.

Vernehmung blieb folgenlos

Eine Einschätzung, die nicht von allen Mitgliedern des Ausschusses geteilt wird. Nach Auswertung der Akten steht der Verdacht im Raum, dass durch die Untätigkeit der Polizei das Mädchen, das in den Ermittlungen als Almut bezeichnet wird, mehr als vier Monate ihrem Peiniger Frederick K. ausgesetzt war, weil Beamte einem Hinweis nicht nachgegangen sein sollen. Eine schwerwiegende Panne? Oder lief alles korrekt? Darüber scheiden sich die Geister.

Alles zum Thema Herbert Reul

Es geht um eine Vernehmung am 15. Oktober 2019 in Justizvollzugsanstalt Hagen. Zwei Beamte sprechen im Gefängnis mit dem Haupttäter Andreas V.. Dabei gibt V. Hinweise auf seinen Bekannten Fredrik K.. Der habe ihn gefragt, ober sich auch mal eines der Opfer „ausleihen könnte“. K. habe gesagt, er würde auch seine eigene Tochter missbraucht.

Diese Aussage halten Beamten aber für zu vage. Einer der Polizist erstellt lediglich einen Vermerk, V. habe schließlich „keine konkreten Angaben über die Missbrauchsfälle“ machen können.  Es handele sich „ausschließlich um Vermutungen.“ Auf eine förmliche Vernehmung wurde verzichtet. K. wohnt im niedersächsischen Northeim. Eine Information an die dortige Polizei erfolgt nicht.

Auch in Bielfeld ergreift die Ermittler nach Lage der Akten keine weiteren polizeilichen Maßnahmen. Am 26. Februar 2020 wird V. erneut vernommen, der nun in der JVA Bochum einsitzt. Dabei geht es erneut um Frederik K.. Der habe ihm detailliert darüber berichtet, wie er Almut missbraucht habe. Erst jetzt nehmen die Ermittlungen gegen K. Fahrt auf.

Razzia führt zu 160 neuen Verfahen

Letztlich wird erst am 27. Februar 2020 ein Durchsuchungsbeschluss gegen K. in Northeim erwirkt. Die Razzia löst eine Lawine aus: Es findet sich kinderpornografisches Material, das zu Ermittlungen gegen 160 weitere Tatverdächtige führt, bei denen auch bislang unbekannte Opfer in den Blick geraten. Wurde auch ihr Martyrium unnötig verlängert?

Die Polizei in Niedersachsen erhebt schwere Vorwürfe gegen die Polizei in NRW. Im niedersächsischen Innenausschuss sagt Landespolizeidirektor Dirk Pejril, der „Faktor Zeit“ spiele „bei der Unterbindung von Missbrauchshandlugen eine außerordentlich wichtige Rolle“. In dem Fall hätte sich „aus fachlicher Sicht“ die „mangelnde Kommunikation“ zwischen der Polizei in NRW und in Northeim als „Kernproblem“ erwiesen. „Nach unseren Befunden blieben Sachstände, Bewertungen und letztlich Zuständigkeitsabgrenzungen auf operativer Ebene unklar.“

Nach bisherigen Erkenntnissen wurden auf dem Campingplatz Eichwald im ostwestfälischen Lügde zwischen 2008 und 2018 mindestens 41 Kinder im Alter zwischen vier und 13 Jahren in einem Wohnwagen vergewaltigt. Der schwere Missbrauch wurde teilweise gefilmt und weiterverbreitet. Schon während der Gerichtsverhandlungen waren zum Teil schwerwiegende Panne von Polizei und Jugendämtern ans Licht gekommen.

Andreas Bialas ist der Obmann der SPD im Untersuchungsausschuss Missbrauch. Er forderte NRW-Innenminister Herbert Reul auf, seine Fachaufsicht wahrzunehmen und sich persönlich um die Aufarbeitung der Abläufe zu kümmern. „Zu einer glaubwürdigen Fehlerkultur gehört es, gegebenenfalls auch Pannen und Fehleischätzungen zuzugeben“, so Bialas. „Wenn Zeugen jetzt den Eindruck erwecken, alles sei korrekt abgelaufen, ist das ein Schlag ins Gesicht der Opfer.“