Kommentar zur schlechten ArbeitsgesundheitDas Leben ist zu kostbar, um es durch schlechte Arbeitsbedingungen zu gefährden

Ein Kommentar von
Lesezeit 3 Minuten
Eine Frau lehnt erschöpft an der Wand ihres Büros.

Fortdauernder Stress und Überforderung am Arbeitsplatz kann krank machen.

In Berufen mit Arbeitskräftemangel sind Arbeitnehmer in NRW besonders häufig krank. Höchste Zeit zu handeln!

Gesundheit am Arbeitsplatz bedeutet nicht nur ergonomische Schreibtische und ausreichend Schutzkleidung. Denn: Auch dauernde Überforderung und fortdauernder Stress kann Arbeitnehmer krank machen. Das ist medizinisch leicht erklärbar, führt doch eine auf Dauer erhöhte Cortisol-Ausschüttung zu einem drastisch erhöhten Risiko, sich Depressionen, Burnout, Erkrankungen des Immunsystems oder des Herzkreislaufsystems einzuhandeln.

Und auch die Zahlen untermauern diese These. So hat die DAK in ihrem diesjährigen Halbjahresreport nicht nur herausgefunden, dass der Krankenstand der Beschäftigten in NRW in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres um 71 Prozent höher ist als im Vergleichszeitraum des vergangenen Jahres. Die Krankenkasse schlüsselt auch auf, in welchen Sparten sich die Krankentage besonders häufen: In Berufen mit Personalmangel wie zum Beispiel nichtmedizinischen Gesundheitsberufen oder bei Fahrzeugführern liegen sie um 40 Prozent höher als im Durchschnitt. Einfach ausgedrückt: Dort, wo immer weniger Menschen ein Zuviel an Arbeit erledigen müssen, steigt die Krankheitsrate.

WHO bezeichnet Arbeitsbezogenheit von Erkrankungen als blinden Fleck

Die gesamtgesellschaftliche Krankheitslast ist schon heute in signifikantem Ausmaß arbeitsbezogen. Fünfzehn Prozent der Erwachsenen im erwerbsfähigen Alter leiden heute unter einer psychischen Erkrankung. Die Kosten für aufgrund psychischer Erkrankungen reduzierte Produktivität werden europaweit auf 136 Milliarden Euro geschätzt. Eine prognostizierte Verschärfung des Arbeitskräftemangels wird die Lage deshalb weiter verschlechtern. Umso dramatischer ist, dass die unternommenen Anstrengungen, Arbeitsplätze gesundheitsförderlich zu gestalten, seit Jahrzehnten eher gering sind. Selbst die WHO attestiert selbstkritisch, es scheine „im Gesundheitswesen einen blinden Fleck für die Arbeitsbezogenheit von Erkrankungen zu geben, der weltweit verbreitet ist und zu einer unzureichenden Versorgung der Arbeitnehmer führt und ihre Arbeitsfähigkeit gefährdet.“

Claudia Lehnen

Claudia Lehnen

Claudia Lehnen, geboren 1978, ist Chefreporterin Story/NRW. Nach der Geburt ihres ersten Kindes begann sie 2005 als Feste Freie beim Kölner Stadt-Anzeiger. Später war sie Online-Redakteurin und leitet...

mehr

Handeln ist deshalb überfällig. Weil wir uns einen derart hohen Krankenstand finanziell nicht leisten können. Aber auch - was noch wichtiger ist - weil das Leben eines jeden Einzelnen zu kostbar ist, um es durch schlechte Arbeitsbedingungen zu gefährden. Firmen tun gut daran, mehr Geld in ihr Betriebliches Gesundheitsmanagement zu stecken, aber auch die Arbeitsbedingungen für den Einzelnen gesundheitsförderlich zu gestalten. Handlungsspielräume und Flexibilität erhöhen, vertrauensvoll führen, Teamspirit stärken – all das kann neben konsequentem Arbeitsschutz und Sportangeboten da Experten zu Folge schon viel bringen.

Aber auch die Politik steht in der Pflicht, den Arbeitsschutz stärker in den Mittelpunkt zu rücken und Anforderungen an Arbeitgeber strategisch kompetent zu untermauern. Bislang ist nach den Regeln des Sozialgesetzbuchs im Bermudadreieck zwischen Krankenkassen, Renten- und Unfallversicherung viel Spielraum für Verwirrung, Kompetenzgerangel und schlussendlich Vernachlässigung. Da schlecht bezahlte Arbeit häufiger krank macht als gut bezahlte, tun neben konsequenten Arbeitsschutzmaßnahmen außerdem Initiativen zur Bezahlungsgerechtigkeit, zu Bildungs- und Qualifikationsangeboten und Steigerung der sozialen Durchlässigkeit Not.