Kinderleichen und ExekutionenSaudi-Arabien soll Hunderte Menschen getötet haben

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Saudi-arabische Soldaten sichern einen Posten im Grenzgebiet. Human Rights Watch wirft dem Land die systematische Tötung von Migranten vor. (Archivbild)

Saudische Soldaten sichern einen Posten im Grenzgebiet. Human Rights Watch wirft dem Land die systematische Tötung von Migranten vor. (Archivbild)

Laut Human Rights Watch könnten „möglicherweise Tausende“ getötet worden sein. Augenzeugen schildern grausige Szenen. 

Saudische Grenzschutzbeamte haben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zufolge Hunderte äthiopische Migranten und Asylsuchende getötet, die versucht haben, die saudisch-jemenitische Grenze zu überqueren. Die Organisation spricht von „systematischem Missbrauch“ von Migranten. „Wenn diese Tötungen, die anscheinend weiterhin stattfinden, im Rahmen der Politik der saudischen Regierung begangen würden, wären sie ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, heißt es weiter bei HRW

Menschen sollen aus nächster Nähe erschossen worden sein, darunter auch Kinder, hieß es in dem am Montag veröffentlichten Bericht. Demnach wurden außerdem Sprengwaffen gegen Migranten eingesetzt. Auch gegenüber der britischen BBC berichteten Augenzeugen von Schüssen durch saudische Grenzschützer und Leichen im Grenzgebiet.

HRW wirft Saudi-Arabien Tötung von Migranten vor: „Sie schießen ununterbrochen“

In dem Bericht wurde der Zeitraum zwischen März 2022 und Juni 2023 untersucht. Aktuelle Untersuchungen von HRW deuteten aber darauf hin, dass die Tötungen weiterhin stattfinden. Augenzeugen berichteten den Menschenrechtlern von Leichenbergen entlang der Migrationsroute. „Wenn die saudischen Sicherheitsbeamten eine Gruppe sieht, schießen sie ununterbrochen“, sagte eine der Überlebenden den Helfern.

„Ich habe gesehen, wie Menschen auf eine Weise getötet wurden, die ich mir nie hätte vorstellen können“, sagte Hamdiya, ein 14-jähriges Mädchen, das im Februar in einer Gruppe von 60 Personen die Grenze überquerte, dem HRW-Bericht zufolge. „Ich habe vor Ort 30 getötete Menschen gesehen.“

Human Rights Watch zeigt sich entsetzt: „So etwas habe ich noch nie erlebt“

Auch Wissenschaftlerin Nadia Hardman, die die Untersuchung von Human Rights Watch leitete, zeigte sich erschüttert. „Ich berichte über Gewalt an Grenzen, aber so etwas habe ich noch nie erlebt, den Einsatz explosiver Waffen – auch gegen Frauen und Kinder“, erklärte die HRW-Mitarbeiterin.

Einschätzungen der Menschenrechtsorganisation zufolge hätten die saudischen Beamten Hunderte – „möglicherweise Tausende“ – Migranten in dem Grenzgebiet getötet. Asylsuchende und Migranten sagten, die Migrationsroute zwischen dem Jemen und Saudi-Arabien sei „voll von Missbrauch“ und unter der Kontrolle von Menschenhändlern.

Grenzregion in Saudi-Arabien: „Ich habe vor Ort 30 getötete Menschen gesehen“

Die Vorwürfe, die HRW gegenüber Saudi-Arabien erhebt, wiegen schwer – und sind nicht leicht verdaulich. So sollen saudische Grenzbeamte einen jungen Mann unter Androhung des Todes dazu gezwungen haben, einen anderen Geflüchteten zu vergewaltigen. Auch zu regelrechten Exekutionen soll es gekommen sein.

Augenzeugen berichteten der Menschenrechtsorganisation zufolge von „verstreuten Kinderleichen“ in der Grenzregion. „Manche Menschen kann man nicht identifizieren, weil ihre Körper überall hingeworfen werden. Manche Menschen wurden in zwei Hälften gerissen“, erklärte ein Augenzeuge.

HRW kritisiert „Sportswashing“ durch Saudi-Arabien

„Saudische Beamte töten Hunderte von Migranten und Asylsuchenden in diesem abgelegenen Grenzgebiet, das für den Rest der Welt nicht sichtbar ist“, führte Hardman aus. „Milliarden für den Kauf professioneller Golfplätze, Fußballclubs und großer Unterhaltungsveranstaltungen auszugeben, um das Image Saudi-Arabiens zu verbessern, sollte die Aufmerksamkeit nicht von diesen schrecklichen Verbrechen ablenken.“

Saudi-Arabien setzt seit Jahren auf das sogenannte „Sportswashing“. Die Wortzusammensetzung aus „Sport“ und „Whitewashing“ bezeichnet Bestrebungen eines Landes, das eigene Ansehen durch die Veranstaltung von Sport-Events und die daraus resultierende positive Reputation in internationalen Medien zu verbessern. Auch anderen Golfstaaten mit kritischen Menschenrechtslagen wird diese Methode vorgeworfen.

Ronaldo, Neymar, Benzema: Fußballstars wechseln nach Saudi-Arabien

Das Sport-Business schreckt jedoch auch nach der Aufdeckung eklatanter Menschenrechtsverstöße nicht vor weiteren Kooperationen zurück. Zuletzt schloss sich die amerikanische PGA Tour, die populärste Golf-Tour der Welt, mit LIV Golf zusammen, das vom saudi-arabischen Staatsfonds finanziert wird. Auch der englische Fußballclub Newcastle United ist in saudischem Besitz.

Im Sommer wechselten schließlich mehrere international bekannte Fußballstars wie Cristiano Ronaldo, Neymar oder Karim Benzema zu Vereinen in Saudi-Arabien – ungeachtet der Menschenrechtslage streichen die Fußballer dort enorme Gehälter ein.

Vereinte Nationen sehen humanitäre Katastrophe im Jemen

Das Töten in der Grenzregion geht derweil HRW zufolge weiter. Trotz des Bürgerkriegs kommen noch immer Migranten in den Jemen mit dem Ziel, ins benachbarte Saudi-Arabien zu gelangen. Schätzungen zufolge kommen weit mehr als 90 Prozent der Migranten auf der „gefährlichen Ostroute“ – vom Horn von Afrika über den Golf von Aden durch den Jemen nach Saudi-Arabien – aus Äthiopien.

Die Route wird HRW zufolge auch von Migranten aus Somalia, Eritrea und gelegentlich aus anderen ostafrikanischen Ländern genutzt. In den vergangenen Jahren ist der Anteil der Frauen und Mädchen, die auf der Ostroute migrieren, gestiegen.

Im Jemen herrscht seit Ende 2014 ein verheerender Konflikt zwischen der Regierung, den Huthi-Rebellen und deren Verbündeten. Saudi-Arabien kämpft im Jemen gegen die vom Iran unterstützten Huthis, die das Land 2014 überrannten und die weite Teile im Norden beherrschen. Die Vereinten Nationen betrachten den Konflikt im Jemen als eine humanitäre Katastrophe, die das Land an den Rand einer Hungersnot gebracht hat. (mit dpa)