US-WahlWelche Chancen hat Kamala Harris?

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Die mutmaßliche demokratische US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris

US-Vizepräsidentin Kamala Harris

Zwei große Stolpersteine liegen auf dem Weg der mutmaßlichen demokratischen US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris, erklärt  Professor Klaus Larres von der University of North Carolina, Chapel Hill.

Sind die Vereinigten Staaten vielleicht doch immer noch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten? Vor wenigen Jahren hätte noch kaum jemand ernsthaft damit gerechnet, dass eine schwarze Frau, Tochter von Einwandern aus Jamaika und Indien, durchaus Chancen hat, zur ersten Präsidentin der USA gewählt zu werden. Durch den plötzlichen Rücktritt Joe Bidens als Präsidentschaftskandidat der Demokraten öffneten sich unverhofft die Türen für die derzeitige Vizepräsidentin Kamala Harris.

Großer Rückhalt aus der eigenen Partei für Harris

Harris ist in der Demokratischen Partei zwar umstritten, doch zu diesem späten Zeitpunkt können sich die Demokraten keine große Debatte mehr leisten, die das eigene Lager zu spalten droht. Schon in vier Wochen findet der offizielle Parteitag in Chicago statt, auf dem die Präsidentschaftskandidatin formal gekürt werden soll. Daher haben sich fast alle prominenten Politiker, die in der Partei das Sagen haben, hinter Harris gestellt. Auch alle potenziellen Konkurrenten, wie die Gouverneure Gavin Newson aus Kalifornien, Gretchen Whitmer aus Michigan und Joe Shapiro in Pennsylvania, unterstützen Harris. Nur Barack Obama, der erste schwarze US-Präsident, hat sich noch nicht öffentlich für sie ausgesprochen.

Klaus Larres, Politikwissenschaftler und „Stadt-Anzeiger“-Kolumnist

Klaus Larres, Politikwissenschaftler und „Kölner Stadt-Anzeiger“-Kolumnist

Rückhalt kommt hingegen auch von den finanziell wichtigen Political Action Committees (PACs) der Demokraten, den einflussreichen Gewerkschaften und vor allem auch von den vielen großen und kleinen Interessengruppen, die Wähler mit asiatischer, schwarzer und südamerikanischer Herkunft vertreten. Als Bidens Vize hat Harris als einzige der möglichen Ersatzleute vollen Zugriff auf das Geld, das Bidens Wahlkampfteam für die Kampagne eingeworben hat. Derzeit haben die Demokraten um die 100 Millionen Dollar in ihrer Wahlkampfkasse, doch sammeln sie täglich unbeirrt weiter, um den Wahlkampf so intensiv und breitgefächert wie möglich führen zu können.

Vorsprung von Donald Trump in Umfragen schmilzt

In den wenigen Tagen seit Bidens Rücktritt als Kandidat ist Donald Trumps Vorsprung in den Meinungsumfragen zusammengeschmolzen. Dennoch liegt er fast überall weiter vorne. Andererseits ist die Fehlermarge bei all diesen Umfragen hoch. Es stimmt daher keinesfalls, dass Trump die Wahl schon so gut wie in der Tasche hat, wie Carrie Filipetti von der konservativen Vandenberg-Koalition das kürzlich ausdrückte.

Wahr ist, dass Joe Biden seiner Vize wenig Chancen eingeräumt hat, zu glänzen.
Professor Klaus Larres

Bis zum Wahltag bleiben immerhin noch 100 Tage. In dieser Zeit muss Harris versuchen, die große Skepsis vieler Wähler ihr gegenüber zu überwinden. Zwei Hauptgründe sind es, die ihr am Ende eine Niederlage bescheren könnten.

Zum ersten wird Harris immer wieder politisches Unvermögen vorgeworfen. Wahr ist, dass Biden ihr wenig Chancen eingeräumt hat, auf nationaler oder gar internationaler Ebene zu glänzen. Wie die allermeisten Präsidenten in der Geschichte der USA hat auch Biden sich nicht sonderlich um die Karrierechancen seiner Vize bemüht. Stattdessen übertrug er ihr schier unlösbare Aufgaben: Sie sollte die Migrationsprobleme an der Südgrenze zu Mexiko beilegen und sich um die kontroverse Abtreibungsfrage kümmern. Mit beidem war für Harris kein Blumentopf zu gewinnen.

Verbale Patzer und ein etwas ungelenkes Auftreten haben Kamala Harris im Volk nicht sonderlich beliebt gemacht.
Professor Klaus Larres

Daneben wird Harris immer wieder ihr chaotischer Wahlkampf und schnelles Scheitern vorgehalten, als sie sich 2020 für kurze Zeit schon einmal um die Präsidentschaftskandidatur beworben hatte. Verbale Patzer als Vizepräsidentin und ihre – gerade von Republikanern immer wieder aufgespießte – etwas ungelenke Art, des Auftretens in der Öffentlichkeit bis hin zu ihrem Lachen haben sie beim Volk nicht sonderlich beliebt gemacht. Harris muss sich jetzt ganz schnell darum kümmern, ein viel positiveres Image aufzubauen. Wuchern kann sie damit, dass sie als Vizepräsidentin keine Verantwortung für manche von Bidens Fehlgriffen hatte, etwa den chaotischen Rückzug aus Afghanistan.

Harris darf sich keine lange Anlaufzeit erlauben

Mit 59 Jahren hat Harris mehr Energie und Jugendlichkeit zu bieten als der beträchtlich in die Jahre gekommene Trump. Nicht nur Biden, auch der Herausforderer mit seinen 78 glänzt bisweilen durch konfuse und sich widersprechende Redepassagen. Als Staatsanwältin in Kalifornien wurde Harris einst durch ihren scharfzüngigen Schlagabtausch mit den Anwälten der Verteidigung bekannt. Das dürfte auch Trump in der nächsten Fernsehdebatte im September zu spüren bekommen.

Auch viele Angehörige der weißen Mittel- und Oberschicht oder der religiösen Rechten haben unterschwellige Vorbehalte gegen ihre schwarzen Mitbürger.
Professor Klaus Larres

Das zweite große Problem für Harris sind ihr Geschlecht und ihre Hautfarbe: Als schwarze Frau ist sie für einen Teil der Wählerschaft inakzeptabel. Schon Hillary Clinton scheiterte als Präsidentschaftskandidatin 2016 unter anderem daran, dass die wahlentscheidende Klientel in den „Swing States“ keine Frau im Weißen Haus. Das gilt auch für Harris. Als ein zweites „No go“-Kriterium – gerade für männliche Wähler aus ländlichen Gebieten und den unteren sozialen Schichten – kommt Harris' asiatisch-karibische Abstimmung hinzu. Auch viele Angehörige der weißen Mittel- und Oberschicht oder der religiösen Rechten haben durchaus große unterschwellige Vorbehalte gegen ihre schwarzen Mitbürger. Was in Meinungsumfragen nur selten offen zugegeben wird, dokumentiert sich an der Wahlurne.

Zu allem Überfluss fragen sich aber auch viele schwarze, asiatische und karibische Wähler, ob Harris wirklich eine von ihnen ist. Sie hat einen weißen Ehemann und ging zwar auf die historisch von Schwarzen bevorzugte Howard University, wurde dann aber durch ihre Ausbildung an der juristischen Fakultät der Universität von Kalifornien in San Francisco schnell Teil der vornehmlich weißen Elite. Als Staatsanwältin traf sie einige umstrittene Entscheidungen, die zulasten ärmerer, schwarzer Bürger gingen.

Doch zur großen Erleichterung der Demokraten haben sich jetzt auf landesweit organisierten Zoom-Versammlungen zahlreiche unabhängige Wählergruppen schwarzer Frauen und Männer für Harris ausgesprochen. Dabei hilft es ihr sehr, dass das liberale Lager – egal, ob schwarz oder weiß – geeint ist im Bestreben, einen zweiten Sieg Trumps unbedingt zu verhindern. Harris hat daher durchaus Chancen, als erste Frau und erste Schwarze Präsidentin der Vereinigten Staaten zu werden. Der Weg bis dahin bleibt aber ungeheuer steinig.