„Es wird alles kaputt machen“Putins Regierungsbeamte packen nach Kreml-Beben anonym aus

Lesezeit 5 Minuten
Russlands Präsident Wladimir Putin im Kreml. Nach Putins jüngsten Personalentscheidungen haben einige seiner Mitarbeiter gegenüber der Presse ausgepackt. (Archivbild)

Russlands Präsident Wladimir Putin im Kreml. Nach Putins jüngsten Personalentscheidungen haben einige seiner Mitarbeiter gegenüber der Presse ausgepackt. (Archivbild)

Mehrere Moskauer Beamte haben sich anonym zu Wladimir Putins jüngster Personalrochade geäußert. 

Es hatte durchaus Geraune gegeben, dennoch kam der Abschied von Verteidigungsminister Sergei Schoigu in Russland zu Wochenbeginn durchaus überraschend. Nun sickern in Moskau die ersten Reaktionen aus dem Kreml und dem Ministerium durch – und die fallen bei weitem nicht nur positiv für Wladimir Putins jüngsten Schachzug aus.

Von einem „Schock“ hätten mehrere aktuelle und ehemalige Beamte aus dem Kreml und dem Verteidigungsministerium gesprochen, berichtet nun die kremlkritische Exil-Zeitung „Moscow Times“. Unter der Zusicherung der Anonymität haben demnach gleich mehrere Mitarbeiter aus dem Machtzirkel von Kremlchef Wladimir Putin und dem abgelösten Kriegsminister Sergei Schoigu gegenüber der Zeitung ausgepackt.

Putins Kreml-Beben: Regierungsbeamte sind „überrascht und verwirrt“

Die allermeisten seien von Putins Entscheidung „überrascht“ und „verwirrt“ gewesen, berichtet die Zeitung über die Hintergrundgespräche. Andere vermuteten, dass die Entscheidung, Schoigu nach den Wahlen abzusetzen, bereits nach der Meuterei der Wagner-Söldnergruppe im letzten Sommer festgestanden habe. „Das Militär mag Schoigu einfach nicht“, verriet einer der Beamten.

Während die Entscheidung gegen Schoigu für die Kreml-Informanten noch nachvollziehbar erscheint, sieht das bei der Wahl des Nachfolgers, Andrei Beloussow, bei den allermeisten deutlich anders aus. „Caligula hat sein Pferd zum Senator ernannt. In unserem Fall haben wir Putins Labrador zum Verteidigungsminister ernannt“, sagt eine der Quellen, die laut der „Moscow Times“ aktuell als Regierungsbeamter im Kreml tätig ist.

Scharfe Kritik an Putins Beloussow-Wahl: „Ernennung ergibt keinen logischen Sinn“

„Diese Ernennung ergibt keinen logischen Sinn“, ließ der Beamte kein gutes Haar am neuen russischen Verteidigungsminister. „Ich habe bereits 20 Versionen gehört, in denen erklärt wird, warum Beloussow ein guter Verteidigungsminister ist – aber das ist alles völliger Unsinn.“ Beloussow sei ein „reiner Theoretiker“ führte der Beamte weiter aus. Dass er nun eine effiziente „Mobilisierungsökonomie“ aufbauen solle, sei „schwachsinnig“.

Kremlchef Wladimir Putin bei einem Treffen mit dem neuen russischen Verteidigungsminister Andrej Beloussow im Kreml. (Archivbild)

Kremlchef Wladimir Putin bei einem Treffen mit dem neuen russischen Verteidigungsminister Andrej Beloussow im Kreml. (Archivbild)

Mit dieser Einschätzung ist die Quelle offenbar nicht allein:  Auch aus dem Verteidigungsministerium bekam die „Moscow Times“ entsprechende Informationen. Für die russischen Streitkräfte sei Beloussows Berufung eher eine „Verschlechterung“, erklärte die Quelle demnach. „Man kann nur davon ausgehen, dass der militärisch-industrielle Komplex der neue Punkt des Wirtschaftswachstums ist“, hieß es weiter.

Wladimir Putins Entscheidung deutet auf langfristige Kriegspläne hin

„Diejenigen, die sagen, dass die militärische Sonderoperation langfristig angelegt ist, haben recht“, führte die Quelle aus – und bestätigte damit die ersten Analysen westlicher Russland-Experten nach dem „Beben“ im Kreml und Schoigus Abgang als Kriegsminister. Die Berufung Beloussows sei eine eindeutige Entscheidung für eine langfristige „Kriegswirtschaft“, hatten viele der Experten zu Wochenbeginn unisono erklärt.  

Vor diesem Hintergrund gibt es auch Beamte im Kreml, die Putins Entscheidung für naheliegend halten. „Beloussows Aufgabe wird es sein, die Kriegsausgaben so zu optimieren, dass so viel Geld wie möglich in den Krieg und in die Tötung von Ukrainern und nicht in die Taschen von Beamten des Verteidigungsministeriums fließt“, sagte einer der Quellen demnach.

Enorme Korruption unter Kriegsminister Schoigu

Tatsächlich galt Vorgänger Schoigu als hochgradig korrupt. Bis zu 40 Prozent des Budgets seien in den Taschen krimineller Militärs gelandet, hatte der Historiker Matthäus Wehowski kürzlich erklärt. Die Korruption im Verteidigungsministerium in Russland habe dazu geführt, dass die russischen Streitkräfte im Krieg gegen die Ukraine oftmals mangelhaft ausgerüstet gewesen seien.

Mit seiner überraschenden Entscheidung will Kremlchef Putin das nun offenbar ändern – und Russlands Truppen für einen langwierigen Krieg in der Ukraine oder sogar darüber hinaus rüsten. Auch hinsichtlich einer möglichen Auseinandersetzung mit der Nato setzte Putin jetzt auf „Kriegswirtschaft“, erklärten die US-Analysten vom Institut für Kriegsstudien (ISW) am Montag.

„Das Geld verschwand auf mysteriöse Weise“

„In den meisten mit dem Verteidigungsministerium verbundenen Strukturen verschwand das Geld auf mysteriöse Weise“, bestätigte eine weitere Quelle die enorme Korruption unter Minister Schoigu. Daher sei seine Abberufung „erwartet und verständlich“ gewesen.

Mit Beloussow hole Putin sich nun einen „äußerst loyalen“ Gefährten ins Verteidigungsministerium, der „von Verwaltung besessen sei“. Beloussows Berufung sei ein Schritt hin zu einer „qualifizierten Aufsicht über die Wirtschaft der Armee“, stimmte ein weiterer Informant der Zeitung dieser Interpretation zu.  

Moskauer Hardliner schlagen Alarm: „Es wird alles kaputt machen“

Bei den Hardlinern in Moskau herrscht unterdessen laut der „Moscow Times“ ebenfalls Unruhe. Der Grund: Beloussow hat keine Militärgeschichte. Die Ernennung eines Wirtschaftsfachmannes könne die konkrete Situation der russischen Streitkräfte in der Ukraine verschlechtern, befürchtete eine Quelle, die von der russischen Zeitung als Regierungsbeamter mit „aggressiven Ansichten“ beschrieben wurde.

Der ehemalige russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu bei der Militärparade zum „Tag des Sieges“ in Moskau.

Der ehemalige russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu bei der Militärparade zum „Tag des Sieges“ in Moskau.

Die Reformen, von denen nun in Moskau die Rede sei, drohten für die Armee, die gerade „ein weiteres Dorf in der Ukraine einnimmt“ zum Nachteil zu werden, so der Hardliner. „Es wird nicht funktionieren. Es wird alles kaputt machen.“ Moskau hatte zuletzt die Eroberung mehrere Dörfer in der ukrainischen Region Charkiw gemeldet. Eine Großoffensive in dem Gebiet stellt die ukrainischen Verteidiger derzeit vor große Probleme. 

Wladimir Putin soll die Geduld mit seinem Minister verloren haben

Nicht nur bei der „Moscow Times“ sind unterdessen Informationen durchgesickert. Auch die Nachrichtenagentur berichtete über die Gründe hinter Putins Entscheidung gegen Schoigu unter Bezugnahme auf anonyme Quellen im Moskauer Machtapparat. Trotz seiner persönlich guten Beziehung zu Schoigu habe Putin schlussendlich die Geduld mit seinem Kriegsminister verloren, der die „endemische Korruption“ in seinem Ministerium nicht eingedämmt habe. 

Mit seiner Entscheidung habe Putin auch Schoigus Nachfolger Beloussow überrascht. Der treue Gefährte des Kremlchefs habe jedoch dennoch „sofort“ zugestimmt, da er Putin „nicht nur als Präsidenten, sondern als eine globale Figur wahrnimmt, die den Lauf der Weltgeschichte verändern wird“, berichtete eine Quelle der Agentur. Ein weiterer Informant nannte gegenüber „Bloomberg“ derweil einen weiteren Grund für die Entscheidung des Kremlchefs für Beloussow und gegen Schoigu: Der Krieg müsse „mit kühlem Kopf geführt werden“.