Findet der Kremlchef keine Antwort?„Enormer psychologischer Schlag“ – Putins mysteriöser Umgang mit Kursk

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Kremlchef Wladimir Putin (r.) bei seinem Besuch in Tschetschenien.

Kremlchef Wladimir Putin (r.) bei seinem Besuch in Tschetschenien.

Statt die Lage in Kursk zur Chefsache zu machen, reist Putin nach Grosny – und erklärt sich zum „Fußsoldaten“. Die Ukraine rückt weiter vor. 

In Kursk rückt die Ukraine unbeirrt weiter vor und verkündet nahezu tägliche neue Geländegewinne auf russischem Territorium. Kremlchef Wladimir Putin scheint sich jedoch weiterhin nicht allzu viel mit der Offensive im eigenen Land zu beschäftigen – und ist nun nach Tschetschenien gereist.

Bisher fallen die Äußerungen des russischen Präsidenten spärlich aus. Von einer „groß angelegten Provokation“ sprach Putin zunächst, seitdem folgten Treffen mit seinem Kabinett und dem russischen Sicherheitsrat. Zur Chefsache hat der Kremlchef die Invasion in Kursk jedoch bisher nicht erklärt. Trotz aufkommender Kritik an Moskaus Reaktion reiste der Kremlchef nun aber nach Grosny und nicht nach Kursk. Erstmals seit 13 Jahren ist Putin in Tschetschenien zu Gast. 

Wladimir Putin herzlich von Ramsan Kadyrow begrüßt

Von der Nachrichtenagentur RIA Nowosti veröffentlichte Aufnahmen zeigten Putin beim Handschlag mit dem tschetschenischen Machthaber Ramsan Kadyrow in Grosny. Im Anschluss legte der russische Präsident den Arm um Kadyrows Schulter und umarmte ihn, bevor beide zusammen in einer Limousine wegfuhren. Kadyrow ist auch unter seinem Spitznamen „Putins Bluthund“ bekannt und gilt als einer der treuesten Unterstützer des Kremlchefs. Seine Truppen kämpfen seit Kriegsbeginn in der Ukraine. 

Ramsan Kadyrow und Wladimir Putin bei einem Besuch in einer Militärakademie in Tschetschenien.

Ramsan Kadyrow und Wladimir Putin bei einem Besuch in einer Militärakademie in Tschetschenien.

In Tschetschenien besuchte Putin zusammen mit Kadyrow auch Soldaten, die in Russlands Krieg gegen die Ukraine als Spezialkräfte zum Einsatz kommen sollen. „Es ist eine Sache, hier auf einem Schießstand zu schießen, und eine andere, Ihr Leben und Ihre Gesundheit in Gefahr zu bringen“, zitierte die russische staatliche Nachrichtenagentur Tass den Kremlchef. „Aber Sie haben ein inneres Bedürfnis, das Vaterland zu verteidigen, und den Mut, eine solche Entscheidung zu treffen“, fügte Putin an und erklärte schließlich: „Solange wir Männer wie Sie haben, sind wir absolut unbesiegbar.“

Wladimir Putin erklärt sich zum „Fußsoldaten“

Einen weiteren denkwürdigen Satz lieferte Putin schließlich als Kadyrow erklärte, die Soldaten in der Militärakademie seien „vollständig ausgerüstet“. Das sei jedoch nicht sein Verdienst, fügte der tschetschenische Machthaber an und erklärte, er sei „nur ein Fußsoldat.“ „Wir sind alle Fußsoldaten, in diesem Sinne sind wir alle in der gleichen Lage“, entgegnete der Kremlchef laut Tass „sofort“ – und lobte noch einmal die Freiwilligen in Russlands Armee. „Sie und ich leben für das Vaterland“, sagte Putin. „Wir leben so, dass unsere Kinder, unsere Enkel, sich in ihrem eigenen Land sicher fühlen.“ Zur Lage in Kursk äußerte sich der Kremlchef nicht.

Gastgeber Kadyrow hatte kurz vor dem Besuch aus Moskau mit einem angeblich von Elon Musk gelieferten Tesla-Cybertruck derweil bereits für Wirbel gesorgt. Der tschetschenische Machthaber veröffentlichte in sozialen Netzwerken Aufnahmen, die ihn mit einem der markanten Gefährte zeigten. Auf dem Cybertruck war zudem ein Maschinengewehr installiert worden.

Ramzan Kadyrow prahlt vor Putin-Besuch mit Cybertruck

Tech-Milliardär Musk verwies die Angaben aus Grosny unterdessen zu Wochenbeginn ins Reich der Fabeln. „Sind Sie wirklich so zurückgeblieben, dass Sie glauben, ich hätte einem russischen General einen Cybertruck geschenkt?“, antwortete der Tesla-Chef auf einen Post des US-Autors Seth Abramson bei der Plattform X.

Auf diesem Standbild fährt Kadyrow einen mit einem Maschinengewehr ausgestatteten Tesla Cybertruck.

Auf diesem Standbild fährt Kadyrow einen mit einem Maschinengewehr ausgestatteten Tesla Cybertruck.

Dass Putin sich nun dem exzentrischen Machthaber in Grosny zuwendet, statt sich wahrnehmbar um die Lage im Grenzgebiet zu kümmern, stützt derweil die Analysen einiger Russland-Experten, die dem Kremlchef zuletzt attestiert hatten, bisher „keine Antwort“ auf den ukrainischen Schachzug gefunden zu haben.

Offensive in Kursk: „Psychologisch ist dieser Schlag für Putin enorm“

„Ich denke, psychologisch gesehen ist dieser Schlag für Putin enorm, vor allem gegenüber den Eliten“, hatte der ehemalige US-Botschafter in Russland, Michael McFaul, gegenüber dem Sender MSNBC erklärt. Putin „sollte der Beschützer“ und der „starke Mann sein, der Russland gegen den Westen und gegen die Ukraine verteidigt“, sagte McFaul. Das sei ihm nun wie schon bei Jewgeni Prigoschins Marsch auf Moskau nicht gelungen.

„Diese Ereignisse haben sichtbar gemacht, dass Putin sein Sicherheitsversprechen nicht aufrechterhalten kann – das ist nun auch in Kursk so“, erklärte auch der Politikwissenschaftler Thomas Jäger im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die Ukraine habe Putin in Kursk eindeutig „auf dem falschen Fuß“ erwischt.

Putins Herrschaft sieht der Kölner Professor dadurch jedoch nicht in Gefahr. „Putin geht davon aus, dass er das Ganze steuern kann und die Lage im Griff hat, soweit es seine Herrschaft angeht“, sagte Jäger. „Und das ist Putins zentrales Interesse, dem er alles unterordnet“. Offenbar auch mit der ukrainischen Offensive alleingelassene russische Zivilisten in Kursk. (mit dpa/afp)