Heilmittel KälteWas mit dem Körper passiert, wenn man nur noch kalt duscht

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Eine morgendliche kalte Dusche kann gesundheitlich und mental kleine Wunder bewirken. (Symbolbild)

Köln – Als „Warmduscher“ will eigentlich niemand bezeichnet werden, aber warm duschen – das finden die meisten von uns ja doch ganz schön. Dabei spricht einiges für die eiskalte Abkühlung im Badezimmer. Kälte macht uns gesünder, glücklicher – und kann sogar bei chronischen Schmerzen helfen. Rheumatikern werden bei akuten Entzündungen Kältetherapien empfohlen. Menschen mit Hautproblemen oder Neurodermitis sollten ausdrücklich nicht warm duschen, sondern kalt. Und selbst bei Depressionen hilft es, den Körper regelmäßigen kurzen Kälteschocks auszusetzen. Das regt die Endorphinzufuhr an, die sogenannten Glückshormone. Das wollte unsere Autorin genauer wissen – und hat eine Woche täglich kalt geduscht. Und einen Sportmediziner zur Wirkung befragt. 

„Bei Wärme haben wir zwei Effekte. Die Gefäße werden weit und man fängt an zu schwitzen. Das reinigt die Haut. Aber Wärme allein macht uns nicht gesund. Es muss immer die Kälte dazukommen“, erklärt Professor Dr. Thomas Kurscheid. Er ist Facharzt für Allgemeinmedizin, Ernährungs- und Sportmedizin und Naturheilkunde. In seiner Praxis in Köln behandelt er Patienten in einer medizinischen Kältekammer. Drei Minuten lang setzen sie sich darin extremer Kälte von bis zu -110 Grad aus. Studien belegen die Wirkung der Anwendung: Der Schlaf kann sich verbessern, das Immunsystem wird gestärkt, Schmerzen gelindert. Bei Rheuma, Neurodermitis und Fibromyalgie, einer chronischen Schmerzerkrankung, übernehmen sogar die Krankenkassen anteilig die Kosten für die Behandlung.

Von Kälte kann man auch zu Hause profitieren. In einer Zeit, die es uns so schwer macht, noch Motivation und Antrieb zu finden, kann ein bisschen kaltes Wasser kleine Wunder vollbringen. Denn während wir unter warmem Wasser einfach weiterdösen und dann träge aus der Dusche an den Schreibtisch wanken, macht kaltes Wasser binnen Sekunden hellwach.

Unsere Autorin hat es ausprobiert und sieben Tage lang kalt geduscht. Wie sie sich dabei gefühlt und was sich für sie verändert hat:

Tag 1 und 2: Kaltes Duschen stärkt uns mental

Der Hahn ist ganz nach rechts gedreht und langsam erreicht das eiskalte Wasser meine Zehen. Unter das kalte Wasser zu treten kostet ganz schön Überwindung. Regelmäßiges Atmen soll es dem Körper leichter machen, mit dem Kälteschock umzugehen. Gar nicht so einfach, denn der erste Reflex ist es eher, den Atem anzuhalten oder zu beschleunigen. „Wenn sie mit kaltem Wasser duschen, schaltet der Körper in eine Art Notfallsituation. Die Kälte bedeutet für ihn zunächst Gefahr. Darum schickt er Abwehrzellen ins Blut und eine Vorstufe von roten Blutkörperchen. Das erhöht die Leistungsfähigkeit und Abwehrbereitschaft“, erklärt Thomas Kurscheid. Gerade wenn man viel Zeit am Schreibtisch verbringe sei das „ein segensreicher Ausgleich“.

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Professor Dr. Thomas Kurscheid ist Facharzt für Sport- und Ernährungsmedizin. In seiner Praxis in Köln bietet er unter anderem Behandlungen in einer Ganzkörperkältekammer an.

Nach Kneipp-Methode soll von unten nach oben vorgegangen werden. Zuerst den rechten Fuß, die vom Herz am weitesten entfernte Stelle, abduschen und von dort das Bein bis zu den Oberschenkeln. Dann die Seite wechseln. Das Blut schießt in die Beine und sie fühlen sich nicht kalt an, sondern warm. Die Überwindung bleibt trotzdem groß. Inklusive schlechtem Gewissen, weil Wasser wegen der eigenen Zauderei ungenutzt in den Abfluss verschwindet.

Der zweite Tag fällt schwer. Haare waschen steht auf dem Plan. Die Option im Eiltempo zu duschen und dann nach drei Minuten wieder in den warmen Bademantel schlüpfen, fällt also weg. Thomas Kurscheid hält es für wahrscheinlich, dass uns die kurze Überwindung am Morgen auch mental stärkt. „Wenn man sich überwindet, sich freiwillig der Kälte auszusetzen, kann das sicher auch auf andere Alltagssituationen und Herausforderungen wirken, weil man übt die Komfortzone zu verlassen“, sagt er. Also: Nicht meckern, nicht nachdenken – machen. Und vielleicht dann auch im Alltag weniger oft zaudern.

Tag 3 und 4: Kaltes Duschen macht glücklich

Der Knoten ist geplatzt. Ich lerne, um es mit „The Iceman“ Wim Hof zu sagen, zu akzeptieren, dass das Wasser kalt ist. Der niederländische Extremsportler hält den Rekord für das längste Eisbad. Er erklomm außerdem in Shorts den Kilimandscharo und den Mount Everest. Ich spare mir also heute den langen Moment des Bangens, bevor ich unter das Wasser trete – und spüre Freude. Denn nach der Dusche – so viel weiß ich inzwischen – werde ich mich gut fühlen. Fit und wach. Und nebenbei viel schneller im Badezimmer fertig sein und Wasser gespart haben.

Außerdem bemerke ich, dass das Experiment mich anspornt. Weil ich kalt dusche und weiß, dass ich meiner Gesundheit damit etwas Gutes tue, bin ich motivierter gesund zu essen und mich mehr zu bewegen. Mein Optimismus hat einen Grund: Durch die Kälte werden Endorphine ausgeschüttet, erklärt Thomas Kurscheid. Die Botenstoffe funktionieren wie ein körpereigenes Schmerzmittel und sind auch als Glückshormone bekannt.

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Die größte Überwindung ist es, den Kopf dem eiskalten Wasser auszusetzen. Am Kopf und im Gesicht sitzen die meisten Kälterezeptoren. Wer von Kälte gesundheitlich profitieren möchte, muss also stark bleiben und sollte den Kopf bei Wasseranwendungen nicht aussparen. Mit der kalten Dusche trainiere ich auch meine Gefäße, so Thomas Kurscheid. Um die zu stärken, gebe es vor allem zwei Möglichkeiten: Sport und Heiß-Kalt-Anwendungen. „Der Körper reguliert gegen die Kälte an, indem er die Gefäße von eng auf weit stellt und damit das Gewebe wieder aufheizt. Das ist ein tolles Gefäßtraining“, erklärt er.

Meine Endorphin-Zufuhr jedenfalls scheint ungebremst. Nicht nur zaudere ich immer weniger, bevor ich in die Dusche gehe. Schon währenddessen freue ich mich auf das Gefühl danach. Sich mit dem Handtuch abzureiben, die Wärme in den Gliedern zu spüren, ist eine Wohltat.

Tag 5 und 6: Kaltes Duschen killt Krankheiten

Nach einer Umfrage des Else-Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin (EKFZ) haben 27 Prozent der Erwachsenen während der Pandemie zugenommen. Das hänge auch damit zusammen, dass unsere Wohnungen zu warm sind, sagt Thomas Kurscheid. „Wir haben unsere Raumtemperatur in den letzten Jahrzehnten immer weiter hochreguliert. Früher waren es 18 Grad, inzwischen sind die Amerikaner bei 23 Grad. Das führt dazu, dass wir mit dem Körper nicht mehr gegenheizen müssen. Wir verbrennen viel weniger“. Dagegen verbrennt der Körper bei einer kalten Dusche Energie, weil er gegen die Kälte anheizt.

Am vorletzten Tag des Experiments fühlt sich das Wasser plötzlich anders an. Weniger kalt. Dass der Hahn ganz rechts steht, ist innerhalb weniger Tage normal geworden. Keinen einzigen Augenblick in den letzten sechs Tagen habe ich daran gedacht, das Experiment abzubrechen. Der Schritt unter das Wasser ist die größte Hürde, der Rest geht dann nach ein paar Tagen wie von alleine.

Doch welchen Effekt haben kalte Duschen langfristig? „Man ist viel weniger krank. Es gibt Studien mit Probanden die regelmäßig kalt geduscht haben. Diese zeigen, dass die krankheitsbedingten Arbeitsausfälle um 30 Prozent abnehmen“, sagt Thomas Kurscheid. Die Kälte regt die natürlichen Killerzellen an, die dann viel wirksamer Viren und Bakterien abtöten können.

Der letzte Tag: Kaltes Duschen macht süchtig

Am letzten Tag versuche ich es mit einer Wechseldusche. Weniger extrem und genauso gesund und wohltuend, denke ich. Ich starte mit eiskaltem Wasser und wechsle dann zu lauwarm. Das Bedürfnis, die Dusche – wie noch vor ein paar Tagen – auf heiß zu stellen, kommt gar nicht erst auf. Zum Schluss drehe ich nochmal auf eiskalt. Als ich aus der Dusche komme, bin ich fast enttäuscht. Die Überwindung war kleiner, ja. Dafür ist auch das Wohlgefühl, dass ich zuletzt nach dem Duschen immer hatte, weniger stark.

Für mich steht fest, dass ich bei kalten Duschen bleibe. Welche Effekte das haben wird und ob es mir dauerhaft mehr Ansporn und Energie bringt, bleibt abzuwarten. Eine kalte Dusche macht noch keinen neuen – und vor allem gesunden – Menschen. Aber eine gute Tat für die Gesundheit am Tag hilft, auch in anderen Bereichen auf sich zu achten.