„Die Berge werden immer voller“Alpenverein warnt vor Massentourismus im Gebirge

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Berge werden immer voller

Touristen wandern im Schweizer Gebirge am Gornergrat, während im Hintergrund das Matterhorn zu sehen ist.

  • In diesem Sommer zieht es viele Touristen in die Berge. Die ächzen schon unter der Touristenlast.
  • Das sagt auch Thomas Bucher, Pressesprecher des Deutschen Alpenvereins. Die Hütten mit Übernachtungsmöglichkeiten seien in diesem Sommer sehr ausgelastet gewesen.
  • Im Interview spricht er über das Dilemma voller Berge, verborgene Ecken, volle Almen – und was er Anfängern rät.

Herr Bucher, ächzen die Berge in diesem Sommer unter der Touristenlast, oder wird das schlimmer geredet als es ist? Thomas Bucher: Sie ächzen schon. Aber es ist wie so oft: Over-Tourism betrifft auch in den Bergen den Mainstream und nicht so sehr die Randorte. Garmisch, der Tegernsee, Berchtesgaden oder Oberstdorf – das sind die typischen Ziele, wo es hoch hergeht. Was die deutschen Alpen angeht: Je weiter man von München wegkommt, desto weniger schlimm ist es. Aber die Hütten mit Übernachtungsmöglichkeiten waren in diesem Sommer schon insgesamt sehr ausgelastet.

Wenn ich mir also ein bisschen Mühe gebe, finde ich immer auch noch ein ruhiges Plätzchen in den Bergen?

Selbstverständlich. Dafür muss man sich aber gut auskennen. Ansonsten fährt man natürlich eher dorthin, wo alles gut dokumentiert ist, wo die Ausschilderung gut ist, wo es Hütten gibt, die Wege gut ausgebaut sind. Aber das sind halt die Berge. Es gehört dazu, dass nicht alles ausgeschildert ist, dass es Wildnis gibt, das ist ein Teil der Faszination. Man muss sich Schritt für Schritt vorarbeiten. Viele schöne Ecken liegen im Verborgenen, sie sind anstrengend zu erreichen und werden nur mit viel Mühe und Geduld gefunden.

Zur Person

Thomas Bucher

Thomas Bucher

Thomas Bucher ist Pressesprecher des Deutschen Alpenvereins (DAV). Er hat Soziologie studiert und war als Journalist tätig, bevor er in die Öffentlichkeitsarbeit wechselte. Der DAV wurde 1869 gegründet und ist die weltweit größte nationale Bergsteigervereinigung. In ihm sind 358 rechtlich selbstständige Sektionen mit gut 1,3 Millionen Mitgliedern organisiert.

Schon vor Corona wurde immer mal wieder diskutiert, ob es zu voll wird in den Bergen. Es ist ein Dilemma, oder? Einerseits schön, dass die Leute raus wollen, andererseits schlecht, wenn das die Natur beeinträchtigt.

Einerseits sind wir als Alpenverein froh, wenn viele Leute in die Berge gehen. Wir finden ja, dass das eine sinnvolle und tolle Geschichte ist, von der nicht nur der Einzelne etwas hat, sondern auch die Gesellschaft insgesamt. Andererseits ist dieses „die Berge werden immer voller“ ein Problem, für das es kein Patentrezept gibt. Wir müssen an ganz vielen Schräubchen drehen. Das fängt an beim Verkehr, beim Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel, denn es sind vor allem die Täler betroffen, dort gibt es Staus, überfüllte Parkplätze und Wildparker. Aber das betrifft auch die individuelle Planung, etwa, dass ich als Münchner nicht immer ausgerechnet am Wochenende an die Hotspots in den Bergen fahre. Es braucht also sowohl Bemühungen von der Politik, als auch von jedem Einzelnen. Und wenn viele Leute unterwegs sind, gerät der Naturschutz schnell unter die Räder. Deshalb sollte keine weitere Erschließung der Berge stattfinden.

Also nicht mehr Hütten und mehr E-Bike-Routen für mehr Menschen?

Nein, die Berge werden vor allem durch eines in ihrer Natürlichkeit geschützt: Sie müssen anstrengend sein. Wenn ich auch ins letzte Tal noch mit dem Auto fahren und auf den letzten Gipfel mit der Bahn gelangen kann, dann wird jeder Winkel der Berge bevölkert sein. Die Rettung für die Berge ist es, anstrengend zu bleiben, also nicht überall erschlossen zu werden. Aus diesem Grund fordert der Alpenverein schon lange, die Erschließung der Berge sollte abgeschlossen sein.

Almen sind für Touristen besonders reizvoll. Aber die Almbauern schaffen heute kaum noch die nötigen Arbeiten, um die Landschaft zu erhalten. Noch so ein Dilemma.

Die Almen sind natürlich superwichtig für die Biodiversität in den Alpen – und auch für das, was wir so als schöne Berglandschaft im Kopf haben. Grüne Almwiesen mit hübschen Hütten darauf und einem tollen Ausblick – und dann wieder Wald. Das sind über Jahrhunderte gewachsene Kulturlandschaften. Würden die Almen nicht bewirtschaftet werden, wäre da ganz schnell wieder Wald. Der reine Viehbetrieb rechnet sich heute nicht mehr für die Almbauern, da hat sich der Tourismus als gute Möglichkeit für einen Zusatzertrag erwiesen.

Was das Tiroler Kuh-Urteil bedeutet

Ein tragisches Zusammentreffen von Kuh und Mensch im Jahr 2014 zog einen bis in dieses Frühjahr reichenden Rechtsstreit nach sich und verunsicherte vielen Almbauern: In Tirol war eine 45-jährige Deutsche, die mit ihrem Hund unterwegs war, von Mutterkühen attackiert und zu Tode getrampelt worden.

Der Bauer muss den Hinterbliebenen rund 80 000 Euro Schadenersatz und monatliche Renten von insgesamt rund 800 Euro zahlen. Der Oberste Gerichtshof Österreichs bestätigte im Mai ein Urteil, wonach sowohl dem Bauern als auch der Hundehalterin eine Teilschuld zugewiesen worden war. Der Bauer hätte Zäune errichten müssen, und die Frau habe Warnschilder und Abstandsregeln ignoriert.

Viele Almbauern sorgen sich nun, bei Fehlverhalten von Wanderern haftbar gemacht zu werden und in Österreich entbrannte eine Diskussion darüber, ob Wanderwege über Almen gesperrt werden müssen. Das Thema flammte erneut auf, als in den sozialen Medien zuletzt ein unsinniger Trend aufkam: Menschen filmten sich beim Kühe erschrecken.

Bei dem Fall in Tirol kommt jedoch die Besonderheit hinzu, dass der Bauer nach Vorfällen im Vorfeld bereits ermahnt worden war. Und für Wanderer gilt: Abstand halten und niemals vergessen, dass Kühe ihre Kälber um jeden Preis schützen werden! (sro)

Mancher Almbauer weiß sich zu helfen und lässt Touristen mitarbeiten. Urlaub zum Mitmachen – ist das die Lösung dieses Problems?

Punktuell mag das funktionieren, aber eher als touristisches Angebot. Mit Anfängern ist es so wie in jedem Beruf: Man muss viel Zeit und Arbeit investieren, um die Leute auszubilden. Da kommt der Gast, er hat Lust, mitzuarbeiten, und schon wird die Arbeit von selbst gemacht. Das klappt in der Wirklichkeit aber nur selten. Wer auf der Alm mit der Sense den Hang mähen will, braucht erst mal einen Kurs. Da ist der Bauer eher Kulturvermittler und nicht Arbeitgeber.

Auf den Almen haben sich in den letzten Jahren Begegnungen von Touristen und Kühen offenbar zunehmend zu einem Problem entwickelt. Wie ernst ist die Lage?

Die Wirklichkeit ist natürlich viel weniger dramatisch als es scheint. Kuh-Unfälle sind äußerst selten. Wenn etwas passiert – und auch noch tödlich ausgeht – schaffen sie es natürlich in die Medien und schon hat man das Gefühl, dass überall Leute von Kühen angefallen werden. Aber es sind ja Millionen von Kontakten, die da täglich zwischen Menschen und Kühen stattfinden, und die sind in aller Regel harmlos. Kühe sind eine zusätzliche alpine Gefahr, aber sicher nicht die schwerwiegendste. Gewitter, Steinschlag, Erschöpfung, runterfallen – das sind Gefahren, die viel gravierender sind.

Wo wandern Sie am liebsten?

Eigentlich überall. Ich mache alles. Wandern, Skitouren, Klettern, Mountainbiken. Was man halt so machen kann. Es gibt so viele spannende Ecken in den Bergen, das ist einfach unglaublich. Und selbst an der Zugspitze gibt es noch völlig wilde Gegenden ohne Menschenmassen, man muss sie nur entdecken.

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Was würden Sie Anfängern raten?

Ich würde am Anfang Touren auswählen, bei denen der Aufstieg nicht mehr als zwei Stunden dauert und bei denen es oben eine Alm oder Hütte gibt. Das sind in der Regel so 600 bis 700 Höhenmeter, da überfordert man sich nicht, und falls man sich mit dem Wetter mal ein bisschen vertan hat, hat man oben eine Einkehr und ist sicher vor Gewitter. Wenn einem das gefallen hat, kann man langsam anziehen mit der Tour und auch mal eine Hütte auslassen. Die Gegend ist eigentlich egal, es gibt überall schöne Ecken.