Psychologin im Interview„Wir erholen uns genauso gut, wenn wir zu Hause bleiben“

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Ausblick auf den Donatussee in der Ville im Rhein-Erft-Kreis.

  • Die Erholungsforschung zeigt: Für die Erholung macht es keinen Unterschied, ob wir im Urlaub wegfahren oder zu Hause bleiben.
  • Psychologin Carmen Binnewies gibt Tipps, wie die ganze Familie entspannt durch die Sommerferien kommt.
  • Besonders wichtig für die Erholung: das Abschalten von der Arbeit.

Köln – Noch nie haben so viele Deutsche ihren Urlaub zu Hause verbracht wie in diesem Jahr. Aufgrund der Corona-Pandemie hat fast ein Drittel der Befragten seine Reisepläne über den Haufen geworfen, so eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov. Wie die freie Zeit zu einem gelungenen Urlaub in der Heimat wird, erklärt Psychologin Carmen Binnewies im Interview.

Frau Binnewies, ich gebe zu: Für mich persönlich war die bisher größte Einschränkung in  Corona-Zeiten, in meinen Urlaubswochen  nicht wie sonst verreisen zu können. Das Wegfahren scheint wichtig zu sein, viele haben ja jetzt noch ganz spontan gebucht. Warum bedeutet uns das so viel?

Es ist natürlich individuell, was jeder damit verbindet. Ein großer Punkt, vor allem jetzt in der Krise, ist aber die Frage, als wie selbstbestimmt wir uns erleben. Es ist ein  menschliches Bedürfnis, Entscheidungen frei treffen zu können. Jetzt kann ich aber noch nicht alles wieder machen und vielleicht habe ich auch finanzielle Einbußen – und allein dadurch entsteht ein negatives Gefühl. Deshalb ist es wichtig sich zu überlegen: Wo habe ich denn trotzdem noch Freiheiten? In einem gewissen Rahmen haben wir ja trotzdem noch Gestaltungsmöglichkeiten. Und unsere Forschung hat übrigens gezeigt, dass es für die Erholung keinen Unterschied macht, ob wir im Urlaub wegfahren oder zu Hause bleiben. Was bei einer Reise aber besser funktioniert ist, dass man gedanklich vom Alltag – im Besonderen von der Arbeit – abschalten kann.

Carmen Binnewies (40)

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Carmen Binnewies

ist Professorin für Psychologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich vor allem mit der Bewältigung von Stress bei der Arbeit, der Erholung von Arbeitsstress und Work-Life-Balance.

Was braucht es denn, damit sich freie Zeit zu Hause anfühlt wie Urlaub?

Dieses Abschalten von der Arbeit ist extrem wichtig. Selbst wenn man nicht aktiv arbeitet, beschäftigt einen die Arbeit oft noch . Es ist wesentlich, einen mentalen Stopp zu haben. Die Erholungsforschung hat sich auch viel mit Aktivitäten beschäftigt: Welche Aktivitäten sind erholsam und welche nicht? Da haben die Wissenschaftler aber schnell festgestellt, eine Aktivität kann für den einen erholsam sein und für den anderen nicht. Mein Lieblingsbeispiel ist das Stricken. Meine Mutter findet das erholsam, ich überhaupt nicht. Deshalb ist das Entscheidende, wie wir etwas erleben. Ein weiterer Punkt ist die Entspannung. Das wird oft synonym mit Erholung benutzt, aber psychologisch bedeutet Entspannung, dass man ruhige Sachen macht und wirklich runterkommt. Und zwar auch physiologisch. Also etwa, dass der Herzschlag sich reduziert.

Bedeutet das also, dass man im Urlaub am besten ruhige Sachen machen sollte?

Nein, die Mischung ist das Entscheidende. Es gibt auch eine aktive Form der Erholung, wir nennen das „Mastery Erlebnisse“. Da geht es darum, etwas Neues auszuprobieren und zu meistern. Das können sportliche Aktivitäten sein, aber auch andere Dinge wie eine neue Sprache lernen oder ein Museum besuchen, wo man immer schon mal hin wollte. Es geht nicht darum, einen Marathon zu laufen, sondern sich ein Ziel zu setzen und das zu schaffen. Das ist manchmal körperlich anstrengend, gibt aber ein gutes Gefühl.

Okay, wie sollte man seinen Urlaub zu Hause konkret am besten gestalten?

Gerade wenn man das Gefühl hat, dass der Urlaub zu Hause nicht selbstgewählt ist, sollte man sich überlegen, was einem im Urlaub sonst wichtig ist – und wie man das jetzt verwirklichen kann. Wenn man den Alltag einfach weiterlebt, wird es sich nicht wie Urlaub anfühlen. Wenn eine Familie zum Beispiel vorhatte, campen zu gehen, könnte sie überlegen: Könnten wir nicht im Garten eine Campingnacht verbringen? Oder einfach im Wohnzimmer ein Zelt aufbauen und da schlafen? Aber natürlich nur in dem Maße, in dem man es selbst gut findet. Um den psychologischen Abstand zum Alltag hinzubekommen,  kann man gut Aktivitäten oder Ausflüge machen.

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Genkeltalsperre im Bergischen Land

Wie schafft man es, diese Ausflüge auch wirklich zu machen – und nicht nur wie üblich auf dem Sofa oder dem Spielplatz rumzuhängen?

Das ist ähnlich wie mit den Vorsätzen im neuen Jahr: Man sollte sein Ziel möglichst spezifisch formulieren. Also nicht nur zu sagen : Irgendwann im Urlaub machen wir mal was. Sondern: Einmal fahren wir an den See. Und um es noch wahrscheinlicher zu machen, sollte man das an eine Bedingung koppeln.

Also einen Zeitplan machen?

Ja, man kann es an eine Zeit koppeln, aber auch an eine Situation. Also zum Beispiel montags nach dem Aufstehen nehmen wir unsere gepackte Tasche und fahren dahin. Oder: Wenn der erste schöne Tag ist, fahren wir los. Je konkreter die Planung ist, desto besser. Denn sonst würde ich aufstehen und denken: Ist heute ein guter Tag, um dahinzufahren? Ach, das kann ich ja auch morgen noch machen. Es kostet Energie, so viel darüber nachzudenken. Und es erschwert die Umsetzung.

Mein Freund und ich haben Tagesausflüge gemacht, und das hat mit unserem Zeitplan auch erstaunlich gut geklappt. Trotzdem haben wir uns oft im Alltag gefangen gefühlt – der Haushalt etwa macht sich ja nicht von alleine.

Ja, das stimmt. Und gerade das Haushaltsthema führt in einer Partnerschaft schnell zu Konflikten. Vor allem Frauen fühlen sich oft verantwortlich dafür. Viele Männer denken: Ich hab Urlaub, ich mache das jetzt einfach nicht – und du musst es jetzt doch auch nicht machen. Wenn man weiß, dass das ein Knackpunkt ist, sollte man sich überlegen, ob man das irgendwie outsourcen kann. Man könnte zum Beispiel immer essen gehen anstatt selbst zu kochen. Natürlich kostet das Geld, aber wenn man wegfährt, bezahlt man ja auch dafür. Und bei anderen Themen wie Wäsche machen oder Staubsaugen sollte man vorher mit der ganzen Familie überlegen, wie man das aufteilt. 

Und wie ist es mit Anfragen von Familie, Freunden oder Kollegen: Wie macht man seiner Umgebung klar, dass man Urlaub hat, obwohl man zu Hause ist?

Es kommt darauf an, wo ich persönlich meine Grenzen ziehe. Und das muss ich den anderen dann kommunizieren. Wer damit Probleme hat, könnte natürlich auch einfach sagen, dass er weg ist. Aber am besten sollte man das einfach mit den anderen bereden und sagen: Ich bin jetzt wirklich urlaubsreif und ich möchte, dass du das respektierst. Und manchmal ist so ein Gespräch auch dringend nötig. Mich hat zum Beispiel ein Kollege mehrfach im Urlaub angerufen. Und dann habe ich irgendwann gesagt: Ich möchte das nicht. Man kann natürlich versuchen Anrufe zu ignorieren, aber das ist schwieriger. Und vielleicht war dem anderen ja gar nicht klar, dass er eine Grenze überschritten hat – weil das jeder unterschiedlich handhabt. 

Welche besonderen Herausforderungen bringt der Urlaub zu Hause mit Kindern mit sich?

Einerseits spielt der Haushalt eine große Rolle, darüber haben wir ja schon gesprochen. Und andererseits geht es viel um Erwartungen. Gerade den Sommerurlaub verbinden ja viele mit Wasser und Swimmingpool. Das ist dieses Jahr nicht in der Form möglich wie sonst und das wird sicherlich zu Streit, Unmut und Traurigkeit führen. Klar ist es doof, wenn man auf diese ganz bestimmte Wasserrutsche im Ferienpark wollte und das jetzt nicht geht. Aber darüber sollten Eltern und Kinder sprechen und gemeinsam überlegen: Was können wir stattdessen Schönes machen?

Wie klappt es denn, dass sich Eltern und Kinder entspannen?

Das ist natürlich je nach Familie unterschiedlich. Man sollte überlegen, wie man den Urlaub so gestaltet, dass am Ende jeder auf seine Kosten kommt. Das muss man sonst im Urlaub ja auch. Die Eltern möchten vielleicht mal einen Tag nur auf der Liege verbringen und lesen, das finden viele Kinder aber langweilig. Dann muss man Kompromisse schließen. Den einen Tag machen wir das, den anderen Tag das. Vielleicht kann man sich auch für eine Zeit trennen. Manche Kinderprogramme finden ja wieder statt. 

Wir haben jetzt viel darüber gesprochen, was alles blöd am Urlaub zu Hause ist. Gibt es denn auch Vorteile?

Ja, natürlich. Man hat den Reise- und Veränderungsstress nicht. Man steht nicht im Stau, man muss nicht zum Flughafen hetzen, man gibt nicht so viel Geld aus. Und  man muss sich zu Hause auch nicht einschränken, weil der ganze Kleiderschrank und alle Spielzeuge zur Verfügung stehen. Und es hätte auch sein können, dass das Hotelzimmer oder die Ferienwohnung doch nicht so toll ist wie auf der Katalogseite oder man dort nicht gut schlafen kann. Das ist sicher  nicht generell so, aber sowas kann im Urlaub passieren und diese Stressoren hat man zu Hause nicht. Das erklärt übrigens auch, warum wir im Durchschnitt nicht erholter sind, wenn wir wegfahren. 

Glauben Sie, dass sich das Reiseverhalten der Deutschen durch die Corona-Krise langfristig verändern wird?

Das hat viel damit zu tun, wie sich die Krise weiter auf die Wirtschaft auswirkt: Werden die Menschen überhaupt genug Geld zum Reisen haben? Und wie werden sich die Reisebranche und die Preise verändern? Und dann muss man sich natürlich auch um seinen Gesundheitsschutz Gedanken machen. Was ist denn, wenn ich im Urlaubsland krank werde? Und welche Maßnahmen gelten dort? Vielleicht finde ich das ja bedrückend, wenn ich im Hotel jedes Mal Fieber messen muss, bevor ich den Speisesaal betrete. Auf der anderen Seite erlebe ich, dass es ein großes Bedürfnis nach Normalität gibt und das ist ja auch entlastend. Die Situation hat sich geändert und letztlich muss jeder für sich selbst herausfinden, was er als angenehm empfindet. Es ist leichter gesagt als getan, aber: Je zufriedener man selbst mit seinem Urlaub ist, desto erholter ist man.