Ankommen – Die SerieArmenier findet Ausbildung in Euskirchen

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Aus der Hauptstadt Armeniens nach Bad Münstereifel: Narek Injabaryan.

Bad Münstereifel – „Viele Menschen in Deutschland wissen gar nicht so genau, wo Armenien liegt, oder was dort 2018 vorgefallen ist“, sagt Narek Injabaryan aus Bad Münstereifel. „Aber wenn sie möchten, dann erzähle ich es ihnen.“

Revolution in Armenien

Vor vier Jahren ist der 30-Jährige aus der ehemaligen Sowjetrepublik in den Kreis Euskirchen geflüchtet. 2018 gab es in seinem Heimatland eine Revolution − sie wird die „Samtene Revolution“ genannt. „Samten“ deshalb, weil „die Proteste in der Hauptstadt Jerewan und vielen anderen Städten Armeniens größtenteils friedlich abliefen“, berichtet Injabaryan.

„Ankommen“ - die Serie

Teilhabe am gesellschaftlichen Leben

In der Serie „Ankommen“ stellen wir Menschen vor, die sich aus unterschiedlichen Gründen mutig auf den Weg gemacht haben – in ein neues Land und damit in eine neue Kultur und Gesellschaft. Was gefällt ihnen an Deutschland, was bleibt fremd? Und welchen besonderen Herausforderungen mussten und müssen sie sich stellen, um am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben teilhaben zu können. Integration, da sind sich alle einig, ist ein langwieriger Prozess. 

Ein wechselseitiger Prozess

Das Ministerium für Integration (BMI) versteht unter gelungener Integration ein „sich einer Gemeinschaft zugehörig fühlen“. Zuwanderung könne nur als ein wechselseitiger Prozess gelingen: „Sie setzt die Aufnahmebereitschaft der Mehrheitsgesellschaft voraus wie auch die Bereitschaft der Zugewanderten, die Regeln des Aufnahmelands zu respektieren und sich um die eigene Integration zu bemühen“, schreibt das Ministerium auf seiner Homepage.  

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Die Proteste hätten sich vornehmlich gegen die Regierung und den republikanischen Premierminister Sersch Sargsjans gerichtet. „Die Demonstranten haben der Regierung Korruption und Vetternwirtschaft vorgeworfen.“

Viele haben damals das Land verlassen: „Aus Protest an einem autoritären Regime“, befindet der ehemalige Politik-Student. Unter den Geflüchteten befand sich auch Injabaryans Familie. „Damals war alles in Armenien ein riesiges Chaos. Es gab keine Arbeit und auch der gesundheitliche Zustand meines Vaters war miserabel.“ Die Familie Injabaryan war sich schlussendlich einig, keine Zukunft mehr in Armenien zu haben. So kamen sie − allerdings nicht ohne Umwege − nach Deutschland.

Die Flucht

Auf ihrer Flucht ließen sie kaum ein Transportmittel aus: Mit dem Auto ging es von Armenien nach Georgien. Mit dem Flugzeug von Georgien nach Griechenland und von Griechenland nach Österreich. Von dort aus nach Tschechien. Und schließlich fuhren die Injabaryans von Tschechien über 700 Kilometer mit dem Taxi nach Trier.

Nach einer Zwischenstation in Essen kam die Familie endlich im Kreis Euskirchen an. In Bad Münstereifel lebt der 30-Jährige mittlerweile seit dreieinhalb Jahren. In der Stadt habe er eine neue Heimat gefunden, sagt er. „Ich hoffe, ich werde eines Tages ein richtiger Bad Münstereifeler sein.“ Einen anderen Ort könne er sich auch nicht mehr vorstellen: „Kein Köln, kein Bonn, kein Düsseldorf und auch kein Hamburg oder Berlin.“

Ankommen im Kreis

Hier im Kreis Euskirchen seien die Leute hilfsbereit und zugewandt. Das habe er vor allem während des Hochwassers 2021 zu spüren bekommen: „Das Auto meines Bruders stand im Wasser. Wir versuchten zu zweit, es zu retten, aber wir merkten schnell, wie gefährlich das war.“

Die Wassermassen drückten gegen das Auto und das Auto drückte gegen die beiden Brüder. „Sofort liefen einige Anwohner zu uns und halfen uns wortlos, den Wagen aus dem Wasser zu schieben“, erinnert sich Injabaryan. Alle hätten gemeinsam im Wasser gestanden, nur mit vereinten Kräften hätte man das Auto in Sicherheit bringen können. „Das habe ich bis heute nicht vergessen“, sagt der 30-Jährige.

Aber nicht nur im akuten Notfall hätten sich die Menschen vor Ort geholfen. Man habe sich unterstützt, wo immer es ging. Mal brauchte jemand ein paar starke Arme, mal waren es Informationen, denn an die sei man zu der Zeit nicht leicht gekommen. Manchmal sei es auch einfach nur Essen gewesen, das man geteilt habe − oder Zigaretten. Injabaryan lacht. Auch so etwas helfe einem in Krisensituationen.

Schwierigkeiten

Und mit Krisensituationen kennt er sich aus. Denn das Hochwasser im Kreis oder die Flucht aus Armenien waren nicht die einzigen Schwierigkeiten, mit denen sich Injabaryan konfrontiert sah.

Nachdem er in Deutschland angekommen war, gab es einige Hürden zu überwinden − Inyabaryan nennt sie „Herausforderungen“. Neben der neuen Sprache, gab es auch eine neue Mentalität. Das fiel dem 30-Jährigen sofort bei der Ankunft auf: „In Deutschland sind die Menschen viel leiser als in Armenien. Wenn ich zu laut gesprochen habe, dann wurde ich oft schief angeguckt − manchmal sogar darauf angesprochen.“ Mit der Zeit habe er aber die richtige Lautstärke getroffen.

Es seien Kleinigkeiten, auf die man achten müsse, weiß er. Vieles habe er dazugelernt, um seinen Platz in der neuen Kultur zu finden. Es gebe nicht nur neue Regeln und Gesetze, sondern auch die feinen Zwischentöne. Und um etwas über diese zu erfahren, müsse man die Menschen beobachten, müsse man darauf achten, welche Handbewegungen sie machen und wann sie ihre Stimmen heben. „Ich lerne am Besten, indem ich beobachte. So versuche ich, die Menschen zu verstehen“, sagt der Geflüchtete.

Eine weitere Herausforderung war die Informationsbeschaffung. „Ich sollte mir eine Ausbildung suchen, aber ich wusste nicht einmal, was eine Ausbildung ist“, erinnert er sich. Er habe auch nicht gewusst, wie man eine Ausbildungsstelle bekommt. Oder welche Dokumente dafür nötig sind, wie man sich bewirbt. „Wir leben zwar im Informationszeitalter und ich bin ein großer Fan von Google, aber hin und wieder braucht man doch Menschen, die einem erklären, worauf es gerade ankommt“, sagt Injabaryan.

Vom Asylsuchenden zum Auszubildenden

Von diesen Menschen, die erklären, worauf es ankomme, habe er im Kreis Euskirchen einige kennengelernt. Besonders Marlies Klockenbrink, seine Betreuerin bei der Ausländerbehörde, habe ihn tatkräftig unterstützt, als es schwierig wurde.

„Narek Injabaryan kam als Asylbewerber nach Deutschland“, berichtet Klockenbrink. Ein Bleiberecht habe er aber nicht erhalten. Es sei nur zu einer Duldung in Deutschland gekommen. Und von dieser zum illegalen Aufenthalt, sei es nur ein kleiner Schritt. Wenn bei einer Ausreise aber keine Gefahr für Leib und Leben bestehe, könne man außerhalb Deutschlands ein ordnungsgemäßes Visum beantragen, klärt Klockenbrink auf. Dies sei im Falle Injabaryans eine Option gewesen.

Der 30-Jährige ließ sich überzeugen, vertraute dem Rat der Betreuerin von der Ausländerbehörde und reiste freiwillig zurück in seine Heimatstadt . Über sein Vertrauen in die deutschen Behörden sagt Injabaryan: „Ohne Zuversicht lässt sich nichts anfangen − vor allem kein Neustart.“

In Jerewan beantragte er ein ordnungsgemäßes Visum für die Berufsausbildung in Deutschland, für die er bereits einen Vertrag unterschrieben hatte. Mit diesem in der Tasche kehrte Injabaryan schließlich nach Deutschland zurück.

Nach Abschluss der Lehre bestehe die Möglichkeit, durch ein Beschäftigungsverhältnis das Visum zu erneuern, erklärt Marlies Klockenbrink. Oder aber nach Ablauf einer gewissen Zeit die Einbürgerung zu beantragen, so die Beraterin.

Erfolg

„Die Integration von Narek Injabaryan hat hervorragend funktioniert“, bewertet die Kreis-Mitarbeiterin das Verfahren. Dabei sei es von Vorteil gewesen, dass Injabaryan einen Reisepass hatte und somit seine Identität nachweisen konnte. Auch habe er der freiwilligen Ausreise sofort zugestimmt. Sonst hätte es für ihn keine Bleibeperspektive gegeben. Bisher gebe es nur eine Hand voll dieser Fälle, in denen man so verfahren habe. In viele Länder könne man jedoch nicht zurückkehren, ohne dass das Risiko zu groß − ja, lebensbedrohlich − wäre, so Klockenbrink. Sie ist sich aber sicher: „Dieser junge Mann wird seinen Weg hier gehen.“

Zukunft in Deutschland

Auch Narek Injabaryan sieht optimistisch in die Zukunft. Gerade macht er seine Ausbildung zum Fachlageristen. Logistik gefalle ihm. „Es ist ein Arbeitsbereich, in dem immer alles in Bewegung ist. Es gibt keinen Stillstand“, sagt er.

Vor kurzem erhielt er außerdem seinen deutschen Führerschein. Nachdem er vorher jeden Tag um 4 Uhr morgens mit dem Rad von Bad Münstereifel nach Euskirchen gefahren war, um zu seiner Ausbildungsstelle zu gelangen. Auf seinen grauen Ford Fiesta, Baujahr 2009, ist der Azubi sehr stolz.

Seine Pläne für die Zukunft: „Ich möchte hierbleiben. Nach meiner Ausbildung eine Arbeitsstelle finden − irgendwann in Deutschland eingebürgert werden. Und ein Ehrenamt übernehmen − vielleicht als Übersetzer. “

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Vor den Herausforderungen der Zukunft hat Narek Injabaryan zwar keine Angst, dennoch ist sich der 30-Jährige sicher, dass es noch einige Stolpersteine geben wird. „Aber wenn man neugierig in die Welt geht, dann gibt es keine verschlossenen Türen“, ist er überzeugt. „Und das tue ich.“