Ausstellung Jüdisches LebenDie Aiwanger-Diskussion wurde auch in Vogelsang geführt

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Das Bild zeigt die Diskussionsrunde in Vogelsang: Abraham Lehrer (l.) und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mit Marco Rose

Über die Ursachen von und Strategien gegen Antisemitismus sprachen Abraham Lehrer (l.) und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mit Marco Rose.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Abraham Lehrer diskutierten über Antisemitismus in Schleiden-Vogelsang – auch über Hubert Aiwanger.

Dass der Abschluss der Ausstellung „Jüdisches Leben“ in Vogelsang plötzlich eine derartige Aktualität hatte, konnten die Verantwortlichen nicht ahnen.

Seit dem 11. Mai war die Ausstellung im Forum in Vogelsang zu sehen, über Antisemitismus wollten am Mittwochabend Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung, und Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, miteinander diskutieren.

Vogelsang: Etwa 35 Interessierte bei Abschlussdiskussion

Rund 35 Personen hatten sich dazu eingefunden. Seitdem ein antisemitisches Flugblatt aus dem Schulranzen des jugendlichen Hubert Aiwanger die Schlagzeilen bestimmt, ist das Thema Antisemitismus wieder in den Fokus gerückt. Entsprechend war die erste Frage von Moderator Marco Rose.

„Aiwanger ist eine Art Paradebeispiel für einen Typ Menschen, der als Seiteneinsteiger in die Politik gegangen ist, nicht als Extremist aufgefallen ist, aber sich sagen lassen muss, dass er einen Hintergrund hat, der gegen die jüdische Gemeinschaft geprägt ist“, formulierte Lehrer sorgfältig.

Reaktion Aiwangers für den Zentralrat schwer erträglich

Die Reaktion Aiwangers sei angesichts seiner herausgehobenen Position als stellvertretender Ministerpräsident Bayerns für den Zentralrat schwer erträglich: „Wie er sich zu den Vorwürfen stellt, ist eines Demokraten nicht würdig.“ Er selbst erlebe in den letzten Jahren durch den Polizeischutz, den er genieße, keinen Alltagsrassismus. Doch seine Tochter sei auf einem Bahnsteig im Alter von 15 Jahren von Neonazis angegangen worden, die gesagt hätten, die Vergasung ihrer Eltern sei wohl vergessen worden. Die jüdische Gemeinschaft stelle eine Veränderung fest: „Der Antisemitismus ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“

Und: Der Ton sei rauer und direkter geworden. Die Menschen hätten keine Angst mehr, die „braune Grenze“, wie Lehrer sich ausdrückte, zu überschreiten: „Woher kommen die Menschen, die diese Einstellung haben? Vor zehn Jahren gab es die nicht.“ Denkbar sei, dass sie die Einstellung zwar hatten, entsprechende Äußerungen aber nicht wagten.

331 Fälle von Antisemitismus in der Polizeistatistik

„Es wird leider nicht weniger“, stellte Leutheusser-Schnarrenberger klar. 331 Fälle von Antisemitismus weise die Polizeistatistik für das Jahr 2022 auf: „Das hört sich wenig an, aber das ist fast an jedem Tag ein Fall.“ Viele Vorfälle blieben unter dem strafrechtlichen Bereich oder würden nicht angezeigt, weil die Menschen Angst vor Repressalien hätten. Deshalb sei seit einem Jahr in NRW eine Meldestelle eingerichtet, in der auch anonym derartige Ereignisse mitgeteilt werden können. 

Ihrer Beobachtung nach sei in der Pandemie Platz für Antisemitismus gewesen: „Die Menschen waren verunsichert und empfänglich für Storys, Juden wollten mit der Impfung nur Macht und Geld verdienen.“ Der Antisemitismus sei anschlussfähig zu extremen Ideologien – rechten, linken und islamistischen. Auch in der Jugendmusikkultur sei teilweise Antisemitismus feststellbar.

„Es ist die Aufgabe von uns allen, sich dagegen zu wenden, nicht die Aufgabe der Juden, sie sind die Opfer.“ Es sei dringend geboten, dass Lehrkräfte sich damit auseinandersetzten, wie mit antisemitischen Parolen auf dem Schulhof umgegangen werde. Dem stimmte Lehrer zu. Er habe bei Ministerpräsident Wüst angeregt, eine Ausbildung für Lehrer zu schaffen, die den Kampf gegen Antisemitismus zum Inhalt habe, fügte er hinzu.

„Ein derartiges Institut soll nach NRW geholt werden“, so Leutheusser-Schnarrenberger. Auch das Publikum beteiligte sich intensiv an der Diskussion, in der es um aktuelle Themen sowie die Kontinuität rechten Gedankengutes im Rechtssystem beim Übergang vom Nazi-Regime zur Bundesrepublik ging. Zusammenfassend zitierte Vogelsang-Geschäftsführer Thomas Kreyes den ehemaligen Innenminister Gerhart Baum: „Die Verantwortung liegt bei jedem Einzelnen.“