Gläubig sein im Esoterik-Boom„Ich habe versucht, es ohne Gott auszuhalten"

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„Redlich bemüht, den Glauben abzuschütteln“

Köln – Religion ist Willenssache, der Glaube - Entscheidung. Was Ada von Lüninck sagt und was sie erzählt, lässt aufhorchen. Die 53-Jährige stammt aus einem uralten rheinisch-westfälischen Adelsgeschlecht. Kann man mit so einer Herkunft eigentlich etwas anderes sein als katholisch? „Geht gar nicht“, sagt die drahtige Frau mit dem angesagten Buzz-Cut, einem extremen Kurzhaarschnitt, und lacht. „Im guten Sinne traditionell“ sei sie katholisch erzogen worden und aufgewachsen.

„Glaubensinhalte waren total präsent. Es konnte passieren, dass wir am Mittagstisch über das Gleichnis vom barmherzigen Samariter redeten – und was es für uns bedeutet.“ Aber auch sie selbst war als Kind „dauernd mit dem lieben Gott am Quatschen: Guck mal, hast du das gesehen? Ist das nicht cool!?“ Wie eine Acht- oder Zehnjährige das halt so mache.

Moralische Kehrseite

„Natürlich anwesend – vom Herzen her“, so beschreibt Lüninck ihr frühes Verhältnis zum Glauben, „inklusive der moralistischen Kehrseite, die schon auch viel Druck gemacht hat. Auch das kennen alle Traditionschristen ja irgendwie.“ Später als Jugendliche und junge Erwachsene kam ihr der Glaube abhanden: Der frühe Krebs-Tod des Vaters 1982, ein weiterer Schicksalsschlag in der Familie zogen ihr, wie sie sagt, den Boden unter den Füßen weg. „Den starken, stets gütigen Gott gab es so auf einmal nicht mehr.“ Heute sagt sie, eigentlich sei das „ideal“ gewesen. Der Kinderglaube muss verschwinden, wenn das Christsein erwachsen werden soll.

Mit Anfang/Mitte 20 habe sie sich „redlich bemüht, den Glauben abzuschütteln“, sagt Ada von Lüninck. Wie das geht? „Durch einen Perspektivwechsel. Ich bin von der Möglichkeit ausgegangen: Das ist alles nur ein großer Schmu! Gott gibt’s nicht. Und dann habe ich versucht, es auszuhalten. Ohne den.“

Projekt Atheismus scheitert

Doch Ada von Lünincks Projekt Atheismus scheiterte. An der Musik. An der Kirchenmusik, um genau zu sein. Die musisch begabte Frau, die schon als Dreijährige am Klavier saß und ab elf von ihrer Mutter das Orgelspielen lernte, bewarb sich nach einigen Fingerübungen im Journalismus für ein Musikstudium. Ihr Ziel: das Orgeldiplom.

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Ada von Lüninck in der Kölner Jesuitenkirche mit der Kunststation Sankt Peter. Sie fühlt sich der weltverbundenen Spiritualität des Ignatius von Loyola (1491 bis 1556) verbunden.

An der Musikhochschule in Hannover bekam sie einen Platz. „Aber Sie müssen dann schon Kirchenmusik studieren“, sagte ihr der Professor. So saß die Studentin bald wieder häufig in der Kirche. „Da stehen die Dinger nun mal.“ Und dann, eines Tages, geschah etwas Merkwürdiges: „Ich hockte auf meiner Orgelbank und sah im Spiegel unten den Pfarrer im Altarraum hin und her laufen. Da schoss es mir durch den Kopf: Ich möchte auch gern glauben, was der glaubt.“

Der Gedanke habe sie im ersten Moment erschreckt. Wobei „Gedanke“ gar nicht das richtige Wort sei. „Es war eher eine Intuition, ein Einfall.“ Berufung? „Vielleicht. Jedenfalls hat es mich von da an umgetrieben.“ Und wieder traf Ada von Lüninck eine Entscheidung. Diesmal für Gott. „Okay, ich drehe die Perspektive um und tue ab jetzt so, als gäbe es ihn doch.“

Ein Jahr in Klausur

An einem nasskalten Dezembertag steht Ada von Lüninck in der Kölner Jesuitenkirche mit der Kunststation Sankt Peter. Dass sie sich hier geistlich zuhause fühlt, kommt nicht von ungefähr. Auf der Suche nach der ihr gemäßen Form christlicher Praxis hat von Lüninck ein Jahr in einer Benediktinerinnen-Abtei mit Klausur und bis täglich zu sieben gemeinsamen Gebetszeiten gelebt, ist dann aber bei der stärker weltverbundenen Spiritualität des Ignatius von Loyola (1491 bis 1556) gelandet.

Auch beim Gründer des Jesuitenordens spiele „das Ineinander von Empfindung und Entscheidung“ im Glauben eine große Rolle. Die ignatianische Spiritualität hole das Leben in den Glauben hinein – und umgekehrt. „In allem, was mir alltäglich begegnet, die Wahrscheinlichkeit für groß halten, dass es nicht beliebig ist“, so beschreibt von Lüninck ihre Grundhaltung.

„Meine Praxis ist ganz simpel: Im Schneidersitz auf den Boden setzen, den Körperkontakt spüren, den eigenen Atem wahrnehmen, sich ein Stück aus dem Nachdenken ausklinken, kommen lassen, was mich gerade beschäftigt, und es anschauen: Menschen, Situationen, beglückende und traurige Erfahrungen.“

Ein bisschen wie bei den Buddhisten

Manches an dieser Art der Meditation, zu der sie in Kursen auch andere anleitet, sei „ein bisschen wie bei den Buddhisten“, sagt von Lüninck. Wesentlicher Ort der Inspiration ist für sie der „Ashram Jesu“, ein geistliches Zentrum im hessischen Hadamar, geleitet von einem Jesuiten. Die Kraft des Christlichen zu einem erfüllten Leben „liegt nicht im Betrieb an der Oberfläche der Religion, sondern kommt aus der Tiefe“, heißt es auf der Webseite des Ashrams. Und: „Die Weisheit aller Weltreligionen begleitet uns.“

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Von Lünickes Grundhalung: „In allem, was mir alltäglich begegnet, die Wahrscheinlichkeit für groß halten, dass es nicht beliebig ist.“

Ashram Jesu… Ein Kessel Buntes? Ein religiöser Setzbaukasten, Esoterik mit christlichem Anstrich? Von Lüninck verneint. In erster Linie sei der Ashram Kontrast – „sehr schlicht, sehr reduziert, kein Brimborium, kein Wort zuviel, keinerlei Ablenkung“. In den 20 Jahren, in denen sie nach ihrem Studium als Kirchenmusikerin gearbeitet hat, sei sie zur Genüge „zugeballert worden mit Liturgie und Texten“. Durch diesen Wust hindurch habe sie neu zum Wesentlichen des Glaubens finden müssen. Das aber ist für sie „ausdrücklich Nachfolge Jesu“.

Parallelen zur fernöstlichen Tradition

Die christliche Überlieferung halte einen ähnlich reichen Schatz bereit wie fernöstliche Traditionen. In den geistlichen Übungen nach Ignatius etwa gehe es darum, sich ganz und gar in die Szenerie eines Bibeltextes hineinzugeben. „Spüren, wie ich mich in der so vergegenwärtigten Situation fühle, die Aufmerksamkeit ganz auf die Bilder und Emotionen richten – Ignatius würde sagen: auf die ‚inneren Bewegungen‘.“

Auch in der Bibel findet von Lüninck das idealtypisch wieder: Immer wieder berichten die Evangelien, dass Jesus in die Stille geht, ganz für sich sein will. Vor seiner Verhaftung im Garten Gethsemane lässt Jesus die Jünger zurück, um zu beten. Jesus als Lehrer des Lebens und des Gebets.

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Das alles klingt danach, als hätte es sich von Lüninck, die heute als Lehrerin für Alexander-Technik arbeitet, ganz gut eingerichtet zwischen Ashram Jesu und Kunststation Sankt Peter – ohne Gemeinde und klassische Kirchenbindung.

Aber wieder schüttelt sie den Kopf. „Glaube ist für mich nicht Selbstoptimierung, keine individuelle Seligwerdungskiste.“ Ganz bewusst bleibt sie in der katholischen Kirche als „Lebensraum von Christussuchenden“. Es brauche die Gemeinschaft der Glaubenden und ein Dach, unter dem sie sich versammeln. „An diesem Dach ist über die Jahrtausende gezimmert worden. Es hat vieles überstanden. Es ist immer noch da, auch wenn es nicht ganz dicht ist.“

Schreckliches unter einem schützenden Dach

Dass es kracht im Gebälk und Schreckliches geschieht unter dem an sich schützenden Dach – das ist von Lüninck sehr wohl bewusst. „Der Missbrauch - sexuell und geistlich – kaum auszuhalten! Ich kann für mich selbst heute nur von Glück sagen, dass mir in meinen vielen Begegnungen mit Priestern nie etwas Beschädigendes widerfahren ist.“ Gelegenheit hätte sie geboten, sinniert sie. „Suchende Menschen sind offen, ungesichert, verletzlich, leichter beeinflussbar.“ Das gehöre zur emotionalen Verfasstheit in einem spirituellen Prozess, lasse sich aber auch ausnutzen. „Wenn der geistliche Seelenführer anfängt, so ein bisschen an die Stelle Gottes zu rücken, dann heißt es aufpassen. Und ich war anfällig für so was… Schwein gehabt!“

Umso mehr beschäftigt es Ada von Lüninck, „wie sehr ich doch auch selbst in diesem katholischen System drinstecke – mit der geistlichen Autorität des Priesters, in der Gemeinde, aber auch in Glaubensfragen. Manchmal bin ich schockiert, welche Form der Autoritätshörigkeit ich da immer noch in mir entdecke, als eine Art Hintergrundrauschen.“

Vordergründig hat sie sich, so gut es geht, davon emanzipiert: „Am Ende zählt, was zwischen Gott und mir ist. Auch das ist sehr ignatianisch.“ Samt einem rebellischen Impuls. „In dieser Kirche sehne ich mich seit Jahrzehnten danach, dass Teile davon zusammenbrechen. Aber dann versuche ich, mich auch zu bremsen. Jede Zeit neigt dazu, aus ihren Problemen eine Abrissbirne zu machen. Also halte ich inne und sage: So, lieber Gott, es ist deine Kirche. Dann sieh mal zu, was du noch mit uns vorhast!“