InterviewJutta Ehrmann-Wolf ist Schiedsrichter-Chefin im Deutschen Handball-Bund

Lesezeit 7 Minuten
Neuer Inhalt

Die Schiedsrichterei ist für sie  eine Berufung, sagt Jutta  Ehrmann-Wolf, dass sie ihre Erfahrungen weitergeben möchte. 

Oberberg – Jutta Ehrmann-Wolf (58)  ist seit August als Leiterin  Schiedsrichter-Entwicklung beim Deutschen Handball-Bund (DHB) die oberste Schiedsrichterin. Die hauptamtliche Stelle wurde  erst im vergangenen Jahr neu geschaffen.   Andrea Knitter sprach mit ihr über ihren Werdegang und   eine  ihre ersten Amtshandlungen. 

Das Spitzenspiel  der Zweiten Handball-Bundesliga zwischen dem VfL Gummersbach und dem ASV Hamm haben mit Maike Merz und Tanja Kuttler  zwei Frauen gepfiffen. Sie sind die einzigen Schiedsrichterinnen in der 1. Bundesliga der Männer. Warum ist das so?

Jutta Ehrmann-Wolf: Da müssen wir bei der Nachwuchswerbung noch mehr machen.   Die Mädchen und Frauen müssen nach meinem Dafürhalten zudem von Beginn an gleich behandelt werden.    Spitzenschiedsrichterinnen wie Tanja Kuttler und ihre Schwester Maike Merz oder  die oberbergischen Bundesligaschiedsrichterinnen Sophia Janz und Rosana Sug sind die besten Werbeträgerinnen, um aus den eigenen Erfahrungen heraus, Mädchen zu motivieren, zur Pfeife  zu greifen. Wenn sie  erst mal auf dem Pferd sind, ist die Jugend-Bundesliga  der männlichen und weiblichen Jugend eine sehr gute  Talent-Schmiede für die deutschen Schiedsrichter-Talente. 

Alles zum Thema Fußball-Bundesliga

Nicht nur Schiedsrichterinnen sind Exotinnen, sondern auch Frauen in den obersten Gremien der Sportverbände. Beim Deutschen Handball-Bund (DHB) sind die vor allem für Frauen zuständig. Wie kommt es, dass Sie zur Chefin der Schiedsrichter wurden?

Die Stelle, die neu eingerichtet wurde, war ausgeschrieben und  ich bekam Anrufe von ehemaligen Kollegen, dass ich mich unbedingt bewerben sollte. Ich habe nachgedacht und festgestellt, dass ich eine hohe  Abdeckung mit den Anforderungen habe und habe mich letztendlich beworben.

Was hatten Sie zu bieten?

Ich war lange Schiedsrichterin, habe 15 Jahre  in der  1. Männer-Bundesliga gepfiffen, zehn Jahre in der internationalen Spitze und startete direkt nach meiner Karriere als Schiedsrichterin als Delegierte in der HBL und fünf Jahre später als EHF-Delegierte. Darüber hinaus gehöre ich seit nunmehr vier Jahren der europäischen Schiedsrichterkommission an. Ein weiteres  Argument für die DHB-Entscheider war sicherlich die Tatsache, dass ich eine über 30-jährige Führungserfahrung in die Waagschale werfen konnte.   Meine vielfältigen Tätigkeiten während der letzten 40 Jahre in verschiedenen Funktionen im Handball waren natürlich für eine derartige Stelle ein großer Vorteil. Als Teammanagerin der Bundesligafrauen des  TSV Bayer Leverkusen hatte ich fünf Jahre lang im Hauptamt gemeinsam mit meiner Frau Renate Wolf, die Handball-Geschäftsführerin ist, den Laden geschmissen.  Ich sehe es auch als Vorteil an, dass ich alle Seiten kenne, die der Vereine, der Mannschaften  und der Schiedsrichter

Was hat Sie an der  Stelle gereizt?

Dass ich mein Hobby zum Beruf machen konnte. Da die  Schiedsrichterei ist für mich immer eine Berufung war, möchte ich diese Erfahrung an unsere Schiedsrichter weitergeben.

Was war Ihre erste Amtshandlung?

Da ich erst zum 1. August angefangen habe, waren Änderungen für die laufende Saison nicht mehr umzusetzen, außerdem war dies nicht notwendig, da ich ein sehr gut funktionierendes Team übernommen habe. Aber einen Punkt wollte ich gleich von Anfang neu regeln. Dass Frauen und Männer komplett gleichbehandelt werden. Das bedeutet unsere Frauenteams sind komplett in den Kadern des DHB-Schiedsrichterwesens integriert. Sie bekommen die gleichen Spiele wie unsere männlichen Teams. Das ist für mich elementar, denn unsere Frauen möchten keine Sonderregelungen haben, sie wollen integriert sein und vor allem möchten sie mit den gleichen Pflichten und Rechten ausgestattet sein. Ich bin mit diesem Vorschlag bei allen DHB-Kollegen und Gremien offene Türen eingerannt und wir sind seit dieser Saison in der Spitze der DHB-Schiedsrichter-Kader komplett gleichgestellt unterwegs.

Sie starteten 1983 als Schiedsrichterin, haben die ersten Spiele geleitet, als es noch weniger Frauen als heute gab, die gepfiffen haben. War das für Sie je ein Problem?

Ich  war das erste  Jahr als Schiedsrichterin alleine unterwegs. Es war nicht immer einfach, damit umzugehen,  was  von Außen gerufen wurde. Wenn es Lehrgänge gab, hieß es in der Begrüßung noch: Liebe Schiedsrichter und liebe Mädchen.   Dazu  galt, Männer pfeifen alle Spiele, Frauen aber nur  Frauen.  Nach einem Jahr wurde ich mit Susanne Künzig in einem Team zusammengetan und wir haben unseren  Weg über die Kreisebene im Badischen, die Dritte  Liga der Frauen bis hin  zur Frauen-Bundesliga gemacht.

Wie sind Sie dazu gekommen, dann doch Männerspiele zu pfeifen?

Wir haben  hinterfragt, warum Männer alles pfeifen, Frauen aber nur Frauen. Und haben dann in der Oberliga der Männer gepfiffen, was gut geklappt hat. Wir haben uns Jahr für Jahr in der nächsten Liga durchgesetzt und sind letztendlich 1993 in der 1. Bundesliga der Männer angekommen.  1997 gab es von der EHF ein Frauenprojekt, an dem wir als eins von sechs  Gespannen teilgenommen haben.  Wie ich haben  es weitere der Frauen nach der aktiven Pfeiferei bis nach oben in den Gremien geschafft.

Was heißt das?

Die serbische Kollegin ist heute Schiedsrichterchefin in ihrem Land und die schwedische Kollegin Monika Hagen agiert wie Monique Alsemquest als Delegierte bei der IHF, um nur drei Beispiele zu nennen. Das zeigt, dass Frauen einen hohen Anspruch an sich haben. Es ist vielleicht ein Grund, warum sie sich schwer tun, sich zu bewerben.

Was zeichnet Sie als Schiedsrichterin aus?

Ich bin schon mit 17 Jahren Trainerin gewesen und  kenne daher beide  Seiten, sei es als Spielerin oder als  Trainerin. Das hat mir von Beginn an geholfen und tut es auch immer noch.  Ich weiß einfach, wie ein Verein oder Trainer tickt. Vor allem aber weiß ich, wie Schiedsrichter ticken.

Als Leiterin  Schiedsrichterwesen sind Sie aber nicht nur für die Bundesliga zuständig, oder?

Natürlich nicht. Ich bin zuständig von der Spitze bis zur Basis. Der DHB hat das Schiedsrichterwesen neu aufgestellt, auf drei Säulen: Die Entwicklung, die Lehre und die Organisation. Ich bin die Leiterin und gleichzeitig  für die Entwicklung zuständig. Das erste halbe Jahr im Amt ging es vor allem darum, die neue Struktur zu etablieren. Sehr viel Zeit ist in der Corona-Pandemie zudem notwendig gewesen,  Spiele zu verlegen oder Schiedsrichter umzubesetzen, da ja auch sie nicht von der Pandemie verschont blieben.

Mit welchen Argumenten werben Sie für das Schiedsrichterwesen?

Außer dass es Spaß macht, ist es eine Möglichkeit, seine Persönlichkeit zu entwickeln. Meine Mitarbeiter haben es immer geschätzt, dass ich nicht lange rumeiere, sondern   Entscheidungen getroffen habe. Als Schiedsrichter lernt man, eine Vielzahl von Entscheidungen innerhalb von kurzer Zeit zu treffen. Man lernt zudem, mit Stress umzugehen. Ich mag auch die Gemeinschaft, die bei den Schiedsrichtern  herrscht, habe über die Jahre Freundschaften geschlossen und durch meine vielen Auslandseinsätze andere Kulturen kennengelernt.

Kann das Geld die Motivation sein, zu schiedsrichtern?

Nein, selbst heute nicht. Ich habe 1990 10.30 Mark  für ein Spiel  in der Zweiten Liga der Frauen am Sonntagmorgen um 11 Uhr bekommen. Die Entlohnung ist heute besser geregelt, doch motivieren sollte nicht das Geld, sondern die Aufgabe und  dass  man Teil einer Sportart ist.  Selbstverständlich hat sich die wirtschaftliche Seite im Handball massiv verändert und die finanzielle Entlohnung muss auch bei den Schiedsrichtern adäquat sein. Aber allein der finanzielle Anreiz ist nicht ausreichend, denn einen derartigen Job zu machen, bedeutet Verzicht an vielen Stellen, denn man muss sich diesem Hobby zu 100 Prozent verschreiben, sonst kommt man nicht an die Spitze.

Die Fußballer schauen oft neidisch auf den Handball, wo auf dem Feld deutlich respektvoller mit den Schiedsrichtern   umgegangen wird. Woran liegt das?

Ein Handball-Schiedsrichter hat deutlich mehr Entscheidungen zu treffen als ein Fußball-Schiedsrichter. Daher ist der einzelne Pfiff auch selten spielentscheidend, was beim  Fußball ganz anders ist.

Das könnte Sie auch interessieren:

Gibt es Unterschiede, wenn Frauen pfeifen?

Die Jungs nehmen sich schon mehr zurück und kommunizieren anders mit den Frauen. Die  Schiedsrichterinnen  müssen in den ersten  Jahren  viel Dreck fressen, aber wenn sie oben angekommen sind, empfinde ich es als Vorteil.

Was haben Sie sich in Ihrem Amt vorgenommen, wie möchten Sie es ausfüllen?

Ich möchte authentisch bleiben und das Amt so mit Leben ausfüllen, wie ich es nötig finde. Man darf nie vergessen, dass die Schiedsrichter alles Ehrenamtler sind und  ihnen genügend  Wertschätzung entgegen gebracht werden muss.