Karneval in OberbergAls der Bürgermeister das Singen von Gassenhauern verbot

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Karneval_in_Engelskirchen_1919

Ein bisschen Spaß muss sein: Unter den amüsierten Blicken englischer Besatzungssoldaten trat diese Clownstruppe Anfang der 1920er Jahre in Engelskirchen auf.

Engelskirchen – Mitte Februar 1914 malte die lokale Tageszeitung „Bergische Wacht“ vorab noch ein eher zurückhaltendes Stimmungsbild aus Engelskirchen: „Die Wogen des närrischen Lebens, die in unserer ,Hauptstadt’ Köln gegenwärtig sehr hoch gehen, plätschern schüchtern auch an die Tore des Oberbergischen Landes und werfen da und dort den geregelten Gang des Lebens für eine kurze Zeit durcheinander.“

Doch am 22. Februar feierten die „Närrischen Oberberger“ einen „Masken- und Kostümball in märchenhafter Pracht und Schönheit“. Einen Tag später, „mittags 1 Uhr 11 Minuten“, startete bei trockenem Wetter ein „großer Triumphzug, durch die Hauptstraßen von Engelskirchen und die Ortschaft Steeg“. In einer Rückschau auf die Karnevalstage stellte die Bergische Wacht befriedigt fest: „Beide Veranstaltungen (Maskenball und Rosenmontagszug) erfreuten sich regster Beteiligung und waren glänzend durchgeführt.“

Besonders hob die Gazette den Schub für den Ausflüglerverkehr hervor: „Einen kolossalen Fremdenzuzug hatte der Rosenmontagszug angelockt, der Verkehr in den Wirtschaften war deshalb äußerst stark.“

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Sechs Monate später war der Karneval mein Thema mehr. Der Weltkrieg veränderte das Leben grundsätzlich. In der Bergischen Wacht vom 14. August 1914 ordnete Bürgermeister Graf Wolff-Metternich an: „Mit Rücksicht auf die ernste Zeit ersuche ich das Singen von sogen. Gassenhauern (Schlagern), überhaupt nichtpatriotischen Liedern, in Häusern und besonders auf den Straßen und in den Wirtschaften zu unterlassen.“ Im September verbot der Landrat alle Tanzfeierlichkeiten für die ganze Dauer des Krieges.

Alliierte Besatzer setzten Verbote fort

Auch nach dem fürchterlichen Krieg waren solche Feste zunächst kaum vorstellbar. In den von den Alliierten besetzten Gebieten (darunter rechtsrheinische Brückenköpfe wie Engelskirchen) waren öffentliche Veranstaltungen jeder Art verboten. Die Besatzer fürchteten das Aufflammen von Aufruhr und Widerstand.

1919 gab es nur eine Möglichkeit, sich legal zu vergnügen: Veranstaltungen von Tanzschulen, zu der nur Kurs-Teilnehmer Zutritt hatten. Diese wurden bald sehr beliebt. Da die gesetzlichen Vorgaben häufig nicht beachtet wurden, meldete sich am 1. November 1919 die Polizeibehörde in Person des Ründerother Bürgermeisters Everts zu Wort.

Er erinnerte kurz vor dem Elften im Elften an die im Interesse der öffentlichen Ordnung erlassenen Polizeivorschriften: „Die Anordnung ist notwendig, weil die Zahl der Tanzkurse und die Menge der zugelassenen Schüler und Schülerinnen in einzelnen Fällen einen solchen Umfang angenommen hat, daß von einer geschlossenen Gesellschaft nicht mehr die Rede sein kann.“ Folglich ordnete er an, dass die Tanzlehrer das Lokal, den Zeitraum und eine Teilnehmerliste von höchstens 50 Tanzpaaren bei der Polizeibehörde anzuzeigen hatten.

Katholische Kirche zufrieden mit Karnevalsverbot

Das Karnevalsverbot wurde 1920 aufrechterhalten. Der Engelskirchener Bürgermeister Hübner mahnte im Februar in einer Bekanntmachung: „Öffentliche karnevalistische Umzüge sind in der jetzigen Zeit unangebracht und dürfen nicht stattfinden.“ Das galt wohlgemerkt auch in Köln, der Hauptstadt des Karnevals – und dies zur Zufriedenheit der katholische Kirche.

Für die sich anschließende Fastenzeit erließ der Kapitularvikar im „Kirchlichen Anzeiger für die Erzdiözese Köln“ ein striktes Tanzverbot. „Es ist eine förmliche Tanzwut entfesselt, die ihre höchst verderblichen Folgen zeitigen wird, mag es sich um öffentliche oder sogenannte ,geschlossene’ Veranstaltungen handeln“, bedauerte der Geistliche.

Karneval_an_nder_Leppebruecke_1914

Vor Kriegsbeginn 1914 paradierte ein prächtiger Rosenmontagszug über die Leppebrücke in Engelskirchen. Danach folgte eine zehnjährige Pause.

Er begründete diese Maßnahme mit sittlicher Gefahr, die im Verzuge sei: „Trotz des ausdrücklichen Verbots öffentlicher Tanzlustbarkeiten während der Bußzeit scheint es, nach den zahlreichen Einladungen der Zeitungen zu urteilen, nur umso schlimmer mit diesen gefährlichen, sittenverderbenden Vergnügungen getrieben zu werden.“

Im Mai 1920 teilte das Landratsamt Wipperfürth dann mit, dass das „allgemeine Verbot der öffentlichen Tanzlustbarkeiten, das während der Kriegszeit ergangen und nach dem Kriegsschluß für das unbesetzte Gebiet Mitte vorigen Jahres zurückgenommen war, auch für das besetzte Gebiet aufgehoben worden ist.“ Doch der Karneval stieß weiterhin auf einen rigorosen Widerstand der Behörden. Hintergrund waren die chaotischen Verhältnisse in Köln.

Täglich wurden trotz englischer Besatzung und Polizeipräsenz bis zu 200 Straftaten registriert. Die Kölner Ordnungshüter befürchteten eine weitere Steigerung in den karnevalistischen Tagen und somit eine Überforderung ihrer Kräfte. Der öffentliche Karneval mit Maskerade und Trubel bot eine ideale Tarnung für die Straftäter. Der Kölner Polizeipräsident erließ am 3. November eine äußerst unpopuläre Polizeiverordnung „betreffend das Verbot karnevalistischer Veranstaltungen“ in jeglicher Ausprägung im gesamten Regierungsbezirk Köln, also auch in Engelskirchen und Umgebung.

Luftschlangen werfen wurde zur Straftat

In fünf Paragrafen wurde das Verbotene klar umrissen, es betraf karnevalistische Umzüge, Aufführungen, öffentliche Vorträge und Tanzlustbarkeiten sowie das Verkleiden, Singen und Tragen von Abzeichen in der Öffentlichkeit. Sogar das Werfen von Luftschlangen und Konfetti war mit Strafen belegt.

Unter der Überschrift „Keine Zeit für Karneval“ kommentierte die Bergische Wacht die Situation. Allerdings wies das Blatt auf gesetzlich erlaubte Ausnahmen hin. Geschlossene Tanzbelustigungen durften demnach wie bisher in Gastwirtschaften und Vereinsräumen abgehalten werden, in denen auch Speisen und Getränke verabreicht wurden.

Voraussetzung war eine schriftliche Genehmigung der örtlichen Polizeibehörde. In diesem Rahmen waren die Jecken durch die Besatzungsmacht und die deutsche Polizei besser zu kontrollieren. Die katholische Kirche begrüßte das Vorgehen der Polizeiverwaltung: „Die schwere Gegenwart erträgt keine karnevalistische Ausgelassenheit. Zu einer Zeit, wo einem großen Teil des Volkes das Notwendigste an Kleidung, Nahrung und Heizung fehlt, muß leichtsinnige Verschwendung und Genußsucht, die sich gern an das karnevalistische Treiben halten, verbitternd wirken und die Gegensätze in der Volksgemeinschaft verschärfen.“

Kirche sorgte sich um die „vermehrte Zuchtlosigkeit“ 

Vor allem prangerte die katholische Kirche in ihrer Stellungnahme die „vermehrte Zuchtlosigkeit“ an, die zusammen mit der „herabgesetzten sittlichen Widerstandsfähigkeit in einem unterernährten und gedrückten Volke umso schlimmere Ausschreitungen befürchten“ ließe, wie die Bergische Wacht weiter mitteilte.

Mit der Stabilisierung der deutschen Währung durch Einführung der Rentenmark im Jahre 1923 besserte sich langsam die wirtschaftliche Lage in Deutschland. Der Karneval bekam Auftrieb.

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In Engelskirchen meldete die Bergische Wacht im Februar 1924: „Das Bedürfnis nach ein wenig Narretei scheint doch tief in der menschlichen Natur zu stecken.“ Just am 11.11.1924, also zehn Jahre nach den letzten tollen Tagen vor dem Beginn des Weltkrieges, erschien in der Bergischen Wacht wieder eine Anzeige der „Närrischen Oberberger“. Die Vereinsoberen luden zur Generalversammlung ein.

Auf der Agenda fanden sich die Tagesordnungspunkte Kassenbericht, Aufnahme neuer Mitglieder und Wahl des Elferrates. Die Veranstaltung fand in der Gaststätte Meyer an der Leppestraße statt. Die Bergische Wacht bemerkte am nächsten Tag: „Hier will man den Karneval wieder beleben, weil wir als Vorort von Köln doch nicht gut hinter unserer Hauptstadt zurückstehen können.“

Die „Närrischen Oberberger“ starteten durch: Unter dem Motto „Allen wohl und niemand weh“ lud die Karnevalsgesellschaft „Närrische Oberberger“ für den 11. Januar 1925 ihre Mitglieder mit Damen zur Großen Eröffnungssitzung in den festlich dekorierten Gemeindesaal ein. Die Große Glanzsitzung folgte am 8. Februar.Die Musik steuerten die „Närrischen Rommersberger“ bei.

Am 22. Februar luden die Engelskirchener zu einem großen öffentlichen Fastnachtsball ein, am Rosenmontag, dem 23. Februar, begann vormittags um 11.11 Uhr im „Kaiserhof“ ein musikalischer Frühschoppen, dem abends um 20.11 Uhr ein „großer geschlossener Kostümball“ folgte. Damit der „Traum von Licht und Schönheit“ sich entfalten konnte, war Kostümzwang angeordnet.

Dieser karnevalistische Neustart schien ein voller Erfolg gewesen zu sein, wie die Nachlese in der Bergischen Wacht vermittelt. Aber es gab auch Kritik, wie am Aschermittwoch zu lesen war: „Vorbei ist der Fastnachtstrubel. Heute gähnt die Leere aus manchem Portemonnaie und aus manchem alkoholisierten Schädel. Anscheinend ist der Karneval trotz sogenannter ,schlechter Zeit’, trotz nationaler Not, trotz polizeilicher Verbote und trotz kirchlicher Ermahnungen nicht tot zu kriegen.“

Die Karnevalshauptstadt kommt in der Lokalzeitung nicht gut weg: „In Köln muß es ,schlimm’ gewesen sein hinsichtlich der Zahl und des Umfanges der Vergnügungen und Veranstaltungen.“ Die Bergische Wacht wunderte sich, dass „vom Geldmangel, über den die Geschäftsleute und Verkäufer nützlicher und praktischer Gegenstände stöhnen, in der Karnevalsbranche kaum etwas zu spüren“ war.

Die Zeitung erinnerte eindringlich an die Fastenzeit als Korrektiv für Ausschweifungen in der Karnevalszeit. Immerhin konnte der Autor dem Wiederaufleben des Wechsels von Ausschweifung und Verzicht etwas Gutes abgewinnen: „Die Kirche hat die alten Fastengebete wieder aufleben lassen, auch, wenn man will, ein Beweis für die Wiederkehr besserer Zeiten.“