Halbzeit-BilanzDr. Carsten Brodesser erlebt spezielle Jahre in Berlin

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Dr. Carsten Brodesser im Plenum des Bundestags.

  • Die Halbzeitpause ist vorbei und Dr. Carsten Brodesser aus Lindlar wieder in Berlin.
  • Für den Oberberger Politiker war die bisherige Amtszeit turbulent.
  • Lesen Sie hier, welche Bilanz er aus seiner Zeit in Berlin zieht.

Lindlar/Berlin – Die Halbzeitpause ist vorbei, Dr. Carsten Brodesser war diese Woche wieder in Berlin. Ganz unrecht war das dem 52-jährigen Lindlarer nicht: „Nach drei Wochen voller Familienfeiern war es auch mal wieder Zeit, hier den Schreibtisch freizuräumen.“

Das Gefühl dafür, wie lange eine erste Halbzeit im Parlament dauert, dürfte Brodesser, der im September 2017 als CDU-Nachfolger von Klaus-Peter Flosbach erstmals für Oberberg in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, in diesen beiden sehr speziellen Jahren ohnehin abhandengekommen sein. Selbst wenn er seinen Vorgänger gefragt hätte, wie das denn so läuft in Berlin: Die Antwort wäre von der Realität überholt worden.

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Für Brodesser war die Situation anders

Denn bei Brodessers „erstem Mal“ ist vieles anders als in all den Legislaturperioden Flosbachs: keine routinierten Koalitionsverhandlungen wie gewohnt und eingeübt, an deren Ende eine schnelle Kanzlerwahl steht. Stattdessen scheitert zunächst Jamaika – auch als Idee schon eine Neuheit. Anschließend kehren die Sozialdemokraten dann doch mehr oder weniger wider Willen zurück in eine große Koalition, die an ihrer Basis viele nicht wollen. Auch in der Groko knistert es besonders am Anfang gewaltig, plötzlich haben die „großen“ Parteien CDU, CSU und SPD in Umfragen nicht einmal mehr eine Mehrheit – früher undenkbar. Parallel dazu erleben die Grünen einen kometenhaften Aufstieg zum bundesweiten Herausforderer, während sich die Union selbst mit der aufziehenden Kanzlerinnendämmerung beschäftigt.

Und mittendrin ist Dr. Carsten Brodesser. Als Angela Merkel im Herbst 2018 Volker Kauder als Fraktionschef wiederwählen lassen will, taucht mit dem Ostwestfalen Ralph Brinkhaus ein überraschender, bis dahin weithin unbekannter Gegenkandidat auf. Unbekannt nicht für Brodesser: Der oberbergische Neuling spricht sich noch vor der Wahl für Brinkhaus aus – das machen zu diesem Zeitpunkt nicht viele. Ein Wagnis, aber mit dem richtigen Gespür: Brodesser steht nachher auf der Seite des überraschenden Siegers.

Teil der Facharbeitsgruppe zur Arbeit der Rentenkommission

Ohnehin findet sich der Lindlarer, vor seinem Mandat Regionaldirektor und Prokurist bei der Landesbausparkasse (LBS), in der Hauptstadt schnell zurecht. Der Boden ist bereitet: Wie sein Vorgänger Flosbach wird er Mitglied im Finanzausschuss. Als Berichterstatter der Union wird der gelernte Diplom-Volkswirt zuständig für die Themen Altersvorsorge und Versicherungen. Damit sitzt er an der Schnittstelle zwischen Finanzpolitik und Rentenpolitik. Deshalb ist er auch Mitglied in einer Facharbeitsgruppe der CDU/CSU-Fraktion zur Arbeit der Rentenkommission – unter anderem mit dem früheren Gesundheitsminister Hermann Gröhe.

Dem legendären Norbert-Blüm-Satz, dass die gesetzliche Rente sicher sei, will Brodesser heute gar nicht widersprechen. Er sagt aber auch: „Genauso sicher ist, dass das als Altersvorsorge heute nicht mehr ausreicht.“ Umso wichtiger seien eine zweite und eine dritte Säule – die betriebliche und die private Altersvorsorge: „Das muss den Menschen bewusst sein.“

Mittendrin in seinem Thema

Hier kritisiert Brodesser vor allem die mangelnde Transparenz: „Jeder kann heute per App herausfinden, wie in Asien gerade die Aktienkurse stehen. Wie viel Geld ihm im Alter zur Verfügung steht, das findet er nicht so schnell heraus.“ Da gebe es nur die üblichen Standmitteilungen der Rentenversicherungen – „aber nicht für die zweite und die dritte Säule“. Genau das will Brodesser ändern: „Wir brauchen auch dafür eine App, wo jeder den aktuellen Stand jederzeit abrufen kann.“

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Brodesser ist mittendrin in seinem Thema – aber wann genau der Halbzeit-Pfiff in Berlin ertönte, dafür konnte er in den ersten zwei Jahren keinen Sinn entwickeln. Dafür schwebte viel zu oft der drohende Spielabbruch über dem Hauptstadt-Geschehen: das Damoklesschwert von Neuwahlen. Immer, wenn es soweit war, zuletzt im Dezember rund um die Wahl des neuen SPD-Spitzenduos Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, erklärte Brodesser, er sehe das gelassen.

13 Gegenstimmen sind ein „ehrliches Ergebnis“

Kunststück, schließlich musste sich der Oberberger trotz aller Machtverschiebungen in den Umfragen deutlich weniger Gedanken um seine parlamentarische Zukunft machen als zum Beispiel die Listen- und Direktkandidaten des sozialdemokratischen Koalitionspartners. „Ich glaube nicht, dass irgendjemand in der SPD-Fraktion Neuwahlen wirklich will“, setzte er auch im Dezember auf die Beharrungskräfte – und letztlich wieder auf das richtige Pferd.

Zuhause im Oberbergischen fiel ihm das schwerer. Mit 88,7 Prozent wählte der Kreisparteitag ihn Anfang Dezember zum dritten Mal zum Vorsitzenden der CDU Oberberg. Eine deutliche Mehrheit, allerdings mit dem Makel von 13 Gegenstimmen. Brodesser nimmt es zunächst sportlich, spricht auf dem Parteitag noch von einem „ehrlichen Ergebnis“.

Im Gespräch nach dem Parteitag ist ihm dann aber doch anzumerken, dass ihn das nachdenklich macht. Hat er vielleicht sogar mit noch mehr Gegenstimmen gerechnet? „Nein, 13 reichen schon völlig!“ Ob er es schwerer habe als Vorgänger Flosbach – in Wipperfürth geboren, aufgewachsen und in der Politik aktiv, später nach Waldbröl gezogen und damit quasi die personifizierte oberbergische Klammer? Der Lindlarer stutzt, meint dann: „Das glaube ich nicht. Ich bin ja trotzdem auch in ganz Oberberg unterwegs.“ Vielleicht, sagt er nach kurzem Nachdenken, sei es am Ende ein Zeichen für die allgemeine Unzufriedenheit mit der Situation in Berlin. Und da ist Brodesser mittendrin – auch schon nach nur einer Halbzeit.