CyberkriminalitätGerüstbauer aus Lindlar wird von Online-Zugriffen fast lahmgelegt

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Im Kampf mit Cyberkriminalität: Jens Sonntag an seinem Schreibtisch.

Im Kampf mit Cyberkriminalität: Jens Sonntag an seinem Schreibtisch.

Lindlar – Wenn Jens Sonntag ans Telefon geht, spricht er regelmäßig ins Leere. Hin und wieder kann er im Hintergrund noch Kinder wahrnehmen, die sich in einer fremden Sprache unterhalten. Meistens hört er gar nichts. Nach einigen Sekunden legt der Anrufer auf. Wählt Sonntag dann die angezeigte Nummer, hebt das andere Ende wortlos ab oder behauptet, noch nie etwas von einem Gerüstbauer aus Lindlar gehört zu haben.

Ein paar Meter von Sonntags Schreibtisch entfernt kämpft Marcel Hoenerbach gerade mit den Servern, die neue gigantische Zugriffszahlen melden. Wieder einmal. Und die der virtuelle Ansturm so langsam in die Knie zwingt. Seit Oktober läuft das so am Schmiedeweg in Klause. Inzwischen sind sich Sonntag und Hoenerbach sicher: Ihr Geschäft soll gezielt über das Internet sabotiert werden.

Plötzlich sind die Klickzahlen explodiert

Rückblick: 2018 gründen vier Lindlarer ein Unternehmen, um den Internet-Handel zu forcieren. Im Online-Shop „hawego.de“ können sich Profis mit Leitern, Gerüsten, Lagertechnik und allerlei mehr eindecken. Jens Sonntag und Achim Büscher bringen als Geschäftsführer der Firma Gerüstbau Sonntag das Fachwissen um Technik und Werkzeuge ein. Marcel Hoenerbach und Marius Lubetzki, zugleich Inhaber der Medienagentur Neuland, kümmern sich um das Internet-Marketing und den Aufbau eines attraktiven digitalen Shops.

Hawego ist erfolgreich, die Umsätze steigen stetig. „In einigen Bereichen sind wir inzwischen deutscher Online-Marktführer“, berichten die Unternehmer. An Wochentagen tummelt sich im Schnitt eine vierstellige Zahl von Interessierten auf ihrem digitalen Marktplatz, am Wochenende etwas weniger, weil sich das Angebot vor allem an Handwerker und Industrie richtet, die dann pausieren. Mitte Oktober 2020 explodieren die Klickzahlen plötzlich regelrecht. „Anfangs sind wir noch von legitimen Zugriffen ausgegangen“, erinnert sich Hoenerbach.

Spätestens am Morgen des 19. Oktober, einem Montag, ändert er seine Meinung. Ausgerechnet über das Wochenende zuvor ist der Datenverkehr noch einmal drastisch angestiegen. Die Protokolle melden tausende Besucher des Shops – aber keinerlei Umsatz oder die üblichen Anfragen zu den Produkten.

Kurioses auch bei Google-Werbung

Kurioses tut sich auch bei der Hawego-Werbung, die die Lindlarer bei der Internetsuchmaschine Google für ihren Shop geschaltet haben. An einem einzigen Samstag im Oktober 2020 wird diese Anzeige fast 30 000 Mal angeklickt – und jeden Klick stellt Google dem Unternehmen in Rechnung.

In den folgenden Wochen versuchen Hoenerbach und die Techniker des Internetriesen, die Zugriffe mit verschiedenen Abwehr-Tools zu verhindern. Diverse Filter kommen zum Einsatz, die verdächtige IP-Adressen aussortieren sollen – mit mäßigem Erfolg.

Vor Weihnachten zieht Hawego die Reißleine und deaktiviert die komplette Google-Kampagne bis über den Jahreswechsel. Seit dem 4. Januar ist die Werbung wieder sichtbar – zwei Tage später beginnt der Spuk erneut und dauert bis heute an. Die Zugriffszahlen steigen, Sonntags Telefon klingelt, klingelt und klingelt.

Click-Farmen als mögliche Angreifer

„Die Verursacher arbeiten extrem intelligent“, erklärt Marcel Hoenerbach. Er vermutet sogenannte Click-Farmen hinter den Angriffen über das Internet – Gebäude, vermutlich in Asien, in denen etliche Menschen den Arbeitstag damit verbringen, vorher abgesprochene Ziele massenhaft anzuklicken. Im Fall der Spam-Anrufe sei anzunehmen, dass die Anrufer selbst für Aufruhr sorgen wollten – oder aber ihre Nummer von Dritten für die Anrufe nach Lindlar gekapert werde, betont Jens Sonntag.

Nach wie vor grübeln die vier Lindlarer Unternehmer, wer ein Interesse daran haben könnte, ihrem Shop zu schaden. Und wer dabei einen solchen Aufwand betreibt.

Steckt ein neidischer Mitbewerber dahinter?

Die Click-Farmen sehen sie jedenfalls nur als Ausführende an, die wiederum beauftragt wurden. „Aus Asien gibt es praktisch keine Konkurrenz und wir versenden auch nur an deutsche Kunden“, erklärt Sonntag.

Die Lindlarer vermuten einen neidischen Mitbewerber aus dem Inland als Drahtzieher der Aktion. „Es gibt eine Reihe von Händlern, die den Sprung vom Ladengeschäft ins Internet nicht rechtzeitig geschafft haben und nun klagen und meckern, statt die Ärmel hochzukrempeln und den eigenen Auftritt endlich zu modernisieren“, sagt Sonntag.

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Marcel Hoenerbach und Jens Sonntag haben inzwischen Strafanzeige bei der Abteilung für Cyberkriminalität des Landeskriminalamtes NRW gestellt. Sie wollen die Sache verfolgen lassen. Denn neben dem direkten wirtschaftlichen Schaden fürchten sie auch mittelbare Auswirkungen – zum Beispiel ernsthafte Kunden, denen die Ladezeiten der Seiten durch die Massenangriffe zu lange dauern und die dann genervt zu einem anderen Online-Shop wechseln.

Dass die Attacken mit unbekanntem Urheber mürbe machen, haben die Lindlarer Unternehmer selbst bei den eigenen Mitarbeitern schon festgestellt. „Wenn eine Handynummer anruft, hat schon keiner mehr Lust, ranzugehen“, berichtet Sonntag aus dem neuen Alltag am Schmiedeweg.