Lindlarer Psychotherapeutin„Viele Menschen sind ausgebrannt“

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Menschen in allen Altersgruppen werden durch die Corona-Pandemie und den damit einhergehenden Einschränkungen belastet.

Lindlar – Frau Baenisch, es ist Januar, es ist dunkel und es regnet. Die Coronazahlen sind hoch und nun werden die Menschen auch noch in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Macht das mürbe?

Sicherlich trägt es nicht zu einer guten Stimmung bei. Jeder erlebt derzeit Verstärkerverluste. Verstärker, das sind Dinge die uns gut tun: das Treffen mit Freunden oder das Hobby. Ihr Wegfall ist eine mögliche Säule für die Entstehung von Depressionen.

Gibt es derzeit besonders viele schlecht gelaunte oder traurige Menschen?

Es gibt derzeit viele belastete Menschen. Viele haben Angst, sind hilflos oder überfordert. Dennoch sind wir Menschen enorm widerstandsfähig. Viele werden diese Krise wegstecken. Einige sogar ihr Leben neu überdenken und sich fragen: Was ist mir wirklich wichtig? Für andere besteht aber ein gewisses Risiko für die Entstehung von Depressionen. Wie wir die Krise meistern, hängt wesentlich von unseren Fähigkeiten zur Stressbewältigung ab.

Zur Person

Florentine Baenisch (40) führt seit 2019 eine psychotherapeutische Praxis in Lindlar an der Eichenhofstraße. Sie ist Verhaltenstherapeutin und Psychologische Psychotherapeutin und behandelt Privatpatienten und Selbstzahler.

Studiert hat Baenisch an der Universität Trier und an der Ruhr-Universität Bochum. Seit 2010 arbeitet sie in Leichlingen in einer Fachklinik für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie. Seit dem sie ihre Privatpraxis in Lindlar eröffnet hat, ist sie in Leichlingen noch in der Tagesklinik und der Ambulanz tätig.

Wie wichtig ist die Nachvollziehbarkeit der aktuellen Verbote?

Das ist ein entscheidender Punkt. Je kurzfristiger und willkürlicher uns die Maßnahmen erscheinen, desto geringer ist ihre Akzeptanz. Deshalb ist es auch so wichtig, länderübergreifend einheitliche Regeln zu haben. Wir Westeuropäer haben aber auch ein hohes Autonomiebedürfnis: da geht es oft ums Prinzip. Ich möchte selbst entscheiden, wohin ich wann fahre und nicht der Staat. Menschen werden dann abgeholt und mitgenommen, wenn es wenige klare, nachvollziehbare und langfristige Regeln gibt. Ansonsten reagieren sie abwehrend, quasi mit Trotz.

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Umfragen zufolge befürwortet die Mehrheit der Bevölkerung strenge Maßnahmen.

Die Akzeptanz ist immer höher, wenn ein Alarmzustand herrscht, so wie gerade. Die Einschränkungen sollen ja auch eine Signalwirkung haben, uns psychologisch ansprechen und vermitteln: Nehmt es ernst! Leider sind wir Menschen so gestrickt, dass wir uns an den Alarmzustand schnell gewöhnen. Wir schalten wieder in unseren Alltagsmodus – und werden dann wieder nachlässiger.

Florentine-Baenisch

Die Lindlarer Psychotherapeutin Florentine Baenisch

Gibt es für Sie derzeit eigentlich besonders viel zu tun?

Nein, das nicht. Viele „funktionieren“ einfach. Aber wenn ich mir beispielsweise ansehe, mit wie viel Energie die Familien derzeit den täglichen Spagat zwischen Job und Kinderbetreuung meistern müssen, dann fürchte ich, dass wir das Ausgebranntsein vieler Menschen erst lange nach Corona sehen werden.