Ratgeber und VorbildMaria Marx erinnert sich an ihren Volksschullehrer in Schlesien

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Maria Marx erinnert sich gerne an ihre Schulzeit in der schlesischen Heimat.

Maria Marx erinnert sich gerne an ihre Schulzeit in der schlesischen Heimat.

Marienheide – Insgesamt vier Jahre ist Maria Marx aus Marienheide in ihrer Heimat in einem kleinen schlesischen Gebirgsdorf zur Schule gegangen. Doch bis heute erinnert sie sich an einen Menschen, der ihr Leben bereits in der frühesten Kindheit geprägt hat. „Bei der Einschulung habe ich ihn näher kennengelernt, da war ich sechs Jahre alt“, berichtet Marx von ihrem damaligen Hauptlehrer der Volksschule.

Robert Tillmann hatte ihre Klasse am ersten Schultag übernommen und sollte sie fortan im Schulalltag begleiten. „Bereits am ersten Tag hat er uns freundschaftlich begrüßt. Einige fanden ihn in den kommenden Schuljahren etwas streng, ich aber nie. Früher war die Erziehung einfach anders“, berichtet die heute 87-Jährige und erinnert sich: „Er hatte eine beeindruckende Persönlichkeit.“

Robert Tillmann war Lehrer an einer Volkshochschule in Schlesien.

Robert Tillmann war Lehrer an einer Volkshochschule in Schlesien.

Robert Tillmann sei nicht nur ein kluger und zugleich tiefgläubiger Mann gewesen, er habe es auch geschafft, die Schulklasse zu begeistern und den Unterricht spannend zu gestalten. „Das hat in meiner späteren Schullaufbahn kein anderer Lehrer mehr so geschafft wie er“, sagt Maria Marx. Vor allem die unteren Jahrgänge hätten ihm am Herzen gelegen. „Er war der Ansicht, dass die frühe Kindheit sehr wichtig für den Verlauf des späteren Lebens ist“, berichtet die Seniorin aus Schmitzwipper.

Auch im Dorf war er eine Respektperson

Es sei jedoch nicht nur sein Einsatz in der Schule für die Kinder gewesen, der den Lehrer und Kantor zu einer besonderen Persönlichkeit gemacht habe, auch im Dorf sei er eine absolute Respektsperson sowie ein Ratgeber gewesen und habe immer ein offenes Ohr für Sorgen und Nöte gehabt.

Dabei hatte Tillmann in seinem eigenen Leben gleich mehrfach Leid erfahren müssen. Die erste Frau starb im Kindbett, die zweite an Krebs. Erst mit der dritten Partnerin sei ihm schließlich ein glücklicheres Leben vergönnt gewesen, erzählt Marx. „Und vor allem war er kein Nazi“, betont die Seniorin nachdrücklich.

Zwei Jüdinnen zu Hause versteckt

In der Nazi-Zeit habe ihr Lehrer – wie später herauskam – sogar zwei Jüdinnen bei sich zu Hause versteckt. „Das hätte ihm und seiner Familie leicht zum Verderben werden können“, weiß Marx. Nach dem Einzug der Russen nach Kriegsende habe er es zudem geschafft, die Plünderer in die Schranken zu weisen. „In der Schule hat er uns nichts über Hitler und seine Taten erzählt, sondern stattdessen über Friedrich den Großen. Der hat ja auch viele Kriege geführt. Vieles haben wir erst später erfahren“, sagt Marx.

Gelernt habe sie dagegen Lesen, Schönschreiben, Rechnen, Erdkunde, Religion, Singen und Turnen. Vor allem Gedichte auswendig zu lernen, habe ihr Spaß gemacht. Das habe ihr gut gelegen, verrät Maria Marx, die eine gute Schülerin und sogar Klassenbeste gewesen sei, wie sie bescheiden erzählt. „An eine Situation erinnere ich mich noch gut. Ich hatte beim Schreiben einen großen Tintenklecks in mein Heft gemacht. Da habe ich so geheult. Dann kam unserer Lehrer mit einem riesigen Löschblatt zu mir und hat den Tintenklecks gelöscht“, erzählt die Marienheiderin. „So war er.“

Plötzlicher Tod im Alter von 54 Jahren

Mit der Besetzung der Ostgebiete war die Arbeit als Lehrer in Schlesien schließlich nicht mehr möglich. Im Juli 1945 starb Robert Tillmann dann plötzlich im Alter von 54 Jahren. „Er hat sich damals unter primitiven Umständen operieren lassen – und das ist nicht gut gegangen“, berichtet Marx von dem Tag, an dem das gesamte Dorf getrauert habe. „Wir Kinder haben im ganzen Dorf Blumen gesammelt und ihn schließlich unter einem Berg von Blumen begraben.“

Ein Jahr später, am 24. August 1946, wurden Maria Marx und ihre Familie aus Schlesien ausgewiesen. Am 1. September kam Marx gemeinsam mit ihrer Großmutter – und zunächst getrennt von ihrer Mutter – im Flüchtlingslager in Wipperfürth an. Zur Schule konnte sie erst nach anderthalbjähriger Unterbrechung wieder gehen, holte den Unterrichtsstoff jedoch schnell auf. Einen Lehrer wie Robert Tillmann habe sie aber nie wieder gehabt.

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Bis heute ist Maria Marx von der Art und Weise ihres damaligen Lehrers tiefbeeindruckt: „Er hat einen Einfluss auf meine frühe Kindheit gehabt und mir viel für mein Leben mitgegeben. Er stand zu dem, was er gesagt hat und war ein Vorbild. Solche Menschen vergisst man nicht.“