Neuro-CovidWie ein Neurologe Patienten mit Corona-Folgeschäden behandelt

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Intensivzimmer

Auch die Folgen langer Beatmungsphasen beschäftigen Neurologen nach Erkrankungen an Covid-19. Ob die Nachwirkungen heilbar sind, ist noch unklar.

  • Die Corona-Krise und ihre Auswirkungen haben zuletzt alles bestimmt - auch im Gesundheitssystem in Oberberg.
  • Wie lang ist der Schatten, den das Virus wirft, wirklich?
  • Wir haben mit Dr. Robin Roukens, der als Chefarzt an der Dr. Becker Rhein-Sieg-Klinik in Nümbrecht bereits Patienten mit neurologischen Folgeschäden von Covid-19 behandelt, gesprochen.

Was genau ist Neuro-Covid? Dr. Robin Roukens: Neuro-Covid ist ein relativ neuer Begriff, der verschiedene neurologische Erkrankungsbilder zusammenfasst. Da gibt es zum einen Erkrankungen des Gehirns selber, sogenannte Enzephalopathien. Dann Erkrankungen, die das Immunsystem betreffen, das das Gehirn schädigt. Als Drittes Schlaganfälle, als Viertes Schädigungen an den kleinen Nerven von Armen und Beinen und als Fünftes eine Gruppe, wo alle sonstigen neurologischen Beschwerden zusammengefasst werden.

Verstehe ich das richtig, dass der Verlust des Geschmackssinns, der schon sehr früh als typische Begleiterscheinung einer Infektion mit dem Coronavirus bekannt wurde, letztlich nichts anderes ist, als eine neurologische Begleiterscheinung – also Neuro-Covid?

Das stimmt. Im Riechsystem wird ein Nerv, der in der Nase sitzt und eine direkte Verbindung zum Gehirn hat, wahrscheinlich durch die Viren geschädigt. Dadurch kommt es zu dem Riechverlust, der teilweise über Monate anhalten kann.

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Als Neurologe merkt Dr. Robin Roukens die Folgen schon.

Ist das typisch für Viruserkrankungen, dass sie solche neurologische Folgeerscheinungen haben?

Es gibt eine ganze Reihe von Viren, die ins Nervensystem reingehen oder die eine Körperabwehr auslösen. Dann kann diese Körperabwehr statt den Virus anzugreifen gleichzeitig noch die körpereigenen Strukturen angreifen. Beim Coronavirus ist es offenbar so, dass es sowohl einerseits selbst ins Nervensystem geht, andererseits aber auch noch mal durch die Abwehrreaktion des Immunsystems noch mal das Nervensystem angreift.

Solche Nebenwirkungen gab es also auch schon früher?

Genau, das war schon vor 100 Jahren bei der Spanischen Grippe. Und auch bei Sars 2003, also auch bei einem Coronavirus, hat man schon ähnliche Symptome, ähnliche Krankheitsbilder gesehen. Jetzt haben wir aber viel mehr Fälle als 2003 und deshalb ist die Wahrscheinlichkeit auch höher, dass wir solche Verläufe öfter haben.

Was bedeutet das in der Praxis? Was für Fälle behandeln Sie in Nümbrecht?

Es kann passieren, dass durch das Virus das Blutgerinnungssystem verändert wird und dadurch Schlaganfälle auftreten bei Menschen, die eigentlich gar keine Risikofaktoren für Schlaganfälle haben. Das können junge, gesunde Menschen sein. Es kann sein, dass sich kleine Nerven an Armen und Beinen entzünden und dadurch Lähmungen entstehen. Dass die Leute nicht mehr gehen können, dass sie ihre Hände nicht mehr benutzen können.

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Es kann passieren, dass im Gehirn eine Art Entzündung entsteht – eine Enzephalatis. Und auch durch den langen Intensivaufenthalt kommen neurologische Folgeschäden: Menschen verlernen durch die Intensivbehandlung das Schlucken, verlieren Muskelmasse und es kommt auch dadurch zu Nervenschäden.

Sie haben solche Patienten?

Wir haben sogar mehrere. Da ist zum Beispiel ein Patient, Mitte 50 aus dem Oberbergischen Kreis, der relativ lange beatmet worden ist. Diese Patienten werden ja oft auf dem Bauch liegend beatmet, da man bei diesen schweren Lungenerkrankungen nur so eine gute Beatmung bekommt. So hat dieser Patient auch alle möglichen Komplikationen entwickelt. Er hat zum Beispiel Knochenveränderungen durch die lange Intensivbehandlung. Er kann seine Gelenke gar nicht mehr bewegen, weil sich knöcherne Wucherungen gebildet haben und die Gelenke mehr oder weniger versteift sind bei einigen Gliedmaßen. Der ist auf unserer Intensivstation, er hat Sauerstoffbedarf. Er muss hier wieder lernen zu stehen, er muss wieder lernen zu gehen, er muss wieder lernen zu essen.

Aber er kann das wieder lernen, ja? Es ist nicht so, dass das Folgeschäden sind, die zwingend bleiben, oder?

Da gibt es keine Sicherheit. Es gibt auch einige Patienten, die schwerstbehindert in Pflegeeinrichtungen gehen.

Wir sprechen bei Covid-19 viel von Wahrscheinlichkeiten. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas bei einer Infektion passiert? Ist sie höher als bei anderen Viruserkrankungen?

Ob die Gefahr, Neuro-Covid zu bekommen größer ist als die Gefahr neurologischer Folgeerscheinungen bei Sars oder aber auch vor 100 Jahren bei der Spanischen Grippe, kann man noch überhaupt nicht sagen. Alle Zentren, die es gibt, behandeln vielleicht mal fünf Patienten, mal zehn Patienten. Im Endeffekt kommt es darauf an, diese ganzen Daten im Verlauf zusammenzutragen und zu gucken, wie groß die Fallzahlen sind.

Das heißt, es ist eine sehr neue Entwicklung, mit der sich die Neurologen beschäftigen?

Es gibt eine neue Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zu den neurologischen Manifestationen bei Covid-19, die ist erst im vergangenen Monat veröffentlicht worden. Daran sieht man, wie neu das ist. Man baut da im Moment schrittweise Wissen auf und handelt oft auch nach bestem Wissen und Gewissen. Manchmal muss man Sachen ausprobieren und gucken, ob das richtig ist.

Wie viele solcher Patienten haben Sie im Moment?

Aktuell haben wir fünf Corona-Patienten, wir hatten insgesamt bisher ungefähr 15. Wir in der Rehaklinik behandeln die Patienten nur, wenn sie das Virus nicht mehr haben. Erst dann kommen sie zu uns. Insgesamt haben wir 150 Patienten. Es ist also ein kleiner Anteil, aber einer mit dem man sich beschäftigen muss. Man muss Expertise aufbauen und überlegen, ob unsere Therapiekonzepte für sie passen. Oder müssen wir irgendwas verändern? Das ist nichts, wo wir unsere Routine einfach abspulen können.

Sind Ihre Erkenntnisse über neurologische Folgeerscheinungen für Sie persönlich ein Grund, Menschen zu warnen, besonders vorsichtig zu sein?

Das, was ich bei diesen Patienten gesehen habe, das würde ich meinem schlimmsten Feind nicht wünschen. Das will ich selber nicht haben und von daher würde ich jedem empfehlen, sich an die Hygieneregeln zu halten. Und zum Konzept Herdenimmunität kann ich nur sagen: Wenn auch nur ein Bruchteil von denen, die sich da einfach anstecken, diese schweren Verläufe mit den schweren Behinderungen hat, das würde ich keinem wünschen.

Was kommt da in Zukunft noch auf uns zu?

Ich glaube, was wir noch vermehrt erleben werden, sind Patienten mit der sogenannten Fatigue-Symptomatik – der Ermüdung. Das war vor schon vor 100 Jahren bei der Spanischen Grippe so – und wir haben auch jetzt schon Patienten, die von dieser Müdigkeit berichten. Das ist eine Abgeschlagenheit, wie man sie nach einer schweren Grippeerkrankung kennt: Ich fühle mich kraftlos, ich kann nicht mehr den Alltag bewältigen. Keine messbaren Symptome, sondern etwas, was ich sehr schwer quantifizieren und messen kann.