Nach MissbrauchsvorwürfenWas von der Odenthaler Gemeinde übrig blieb

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Wer will in der Kirche noch mitarbeiten, wer kann ihr noch vertrauen? Viele Gläubige verlassen die Kirche.

Wer will in der Kirche noch mitarbeiten, wer kann ihr noch vertrauen? Viele Gläubige verlassen die Kirche.

Odenthal – Wie unter einem Brennglas kann man den Zustand einer von den Missbrauchsskandalen der katholischen Kirche unmittelbar betroffenen Gemeinde derzeit in Odenthal betrachten. Seit im Juni vergangenen Jahres der Verdacht des sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen gegen den langjährigen, 2009 verstorbenen Pfarrer von St. Pankratius öffentlich wurde, ist hier nichts mehr wie es vorher war. Ein Riss, sagt ein Gemeindemitglied, gehe quer durch die kleine Pfarrgemeinde. Andere sprechen von einem großen Scherbenhaufen.

Nach der ersten Schockwelle kam bei vielen nach und nach die bittere Erkenntnis, dass der früher allseits beliebte Priester offenbar auch noch eine unbekannte, dunkle Seite hatte. Und dass es wohl auch in Odenthal Opfer gibt, die immer noch darunter leiden. Andere zweifeln bis heute an den Vorwürfen. „Es gibt immer noch Fans dieses Pfarrers“ sagt ein Insider.

Odenthal: Einige wollen aufarbeiten, andere nur vergessen

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An der allgemeinen Verunsicherung änderten auch zwei Informationsabende wenig, die die Interventionsstelle des Erzbistums als Hilfe für die Gemeinde anbot. Erschwerend kommt in Odenthal hinzu, dass der beschuldige Priester seit 13 Jahren tot ist und sich zu den Vorwürfen nicht mehr äußern kann. Das Untersuchungsverfahren, das das Erzbistum mit einer Bekanntmachung der im Raum stehenden Vorwürfe in der Gemeinde öffentlich machte, wird also nie in einen Strafprozess münden können.

Spricht man heute, mehr als ein halbes Jahr später, mit Gemeindemitgliedern, so trifft man Menschen, die die Vorwürfe nicht glauben können oder wollen. Andere, bei denen mit der Zeit und zusätzlichen Informationen Zweifel an ihrem bisherigen Bild des Pfarrers entstanden sind. Wieder andere erinnern sich im Nachgang an Begebenheiten, denen sie nun eine andere Bedeutung beimessen als damals. Einige wollen einfach nichts mehr hören von diesem Thema, wieder andere möchten sich damit aktiv auseinandersetzen und aufarbeiten. Manche kehren der Kirche still den Rücken. Kaum jemand aber möchte sich namentlich dazu äußern.

Erinnerung an Todestag „Schlag ins Gesicht“

In diese schwierige emotionale Gemengelage fiel im Januar der Todestag des beschuldigten Pfarrers. Seit er 2009 bei einem Bergunfall in den Alpen ums Leben gekommen war, hatte die Gemeinde alljährlich das Jahresgedächtnis für ihn in der Kirche gehalten, daran schloss sich oft der Neujahrsempfang der Gemeinde an. Die Ankündigung des 13. Jahresgedächtnisses im Pfarrblatt rief nun – im Jahr 1 nach Bekanntwerden der Vorwürfe – heftige Proteste hervor. „Das empfanden viele als Schlag ins Gesicht“, berichtet ein Gemeindemitglied, das sich in kirchlichen Gremien engagiert, aber ungenannt bleiben möchte. „Das war mehr als irritierend“, schildert ein anderer Ehrenamtler auch mit Blick auf Betroffene, die damit nur schwer umgehen könnten.

Schließlich wurde im nächsten Pfarrblatt eine Erklärung des leitenden Pfarrers Thomas Taxacher abgedruckt. Anlässlich des 13. Jahresgedächtnisses des Pfarrers, heißt es darin, „gab es verständlicherweise Nachfragen: »Darf man für ihn beten – ist es richtig, seinen Namen zu nennen?«“ Für ihn eine schwierige Entscheidung, führt Taxacher weiter aus, denn die Erinnerung an den Pfarrer habe sich mittlerweile verändert. Nach Beratung mit dem Pastoralteam bat man schließlich „an erster Stelle um Ihr Gebet für Betroffene sexueller Gewalt in der Katholischen Kirche“. Besonders auch für alle Lebenden und deren Angehörigen, die noch immer unter den Folgen sexueller Gewalt litten. „Wir beten jedoch auch für unsere Verstorbenen, unabhängig von dem, was sie in ihrem Leben getan oder nicht getan haben“, hieß es weiter.

Beschwerde bei der Diözese eingelegt

Das konnte die Situation in der Gemeinde nicht befrieden. Im Gegenteil. Im gleichen Atemzug für die Opfer und einen mutmaßlichen Täter zu beten, „das ist einfach nur zynisch“, kritisiert ein Gemeindemitglied scharf. Bei der Diözese sei bereits Beschwerde eingereicht worden, erklärte ein weiterer.

Ganz anders die Reaktion eines älteren Ehepaars, das sich darüber empörte, überhaupt infrage zu stellen, für den verstorbenen Pfarrer zu beten. Es gäbe bisher kein Urteil und es sei schließlich Christenpflicht, auch für Sünder zu beten, meinten sie nach der Messe in einem Gespräch mit Taxacher, das von beiden Seiten sehr emotional geführt worden sein soll.

Entscheidung über Jahresgedächtnis liegt bei Bistum

Es existiere eben die ganze Bandbreite der Reaktionen, meint der Pfarrer. „Menschen, die mir sagen: »Das haben Sie genau richtig gemacht.« Andere meinen: »Wir können nicht für einen Verbrecher beten!«“ Es gebe Opfer und Angehörige, aber auch Menschen, die immer noch Kerzen auf das Grab stellten. Es sei für ihn eine schwierige Entscheidung gewesen, in deren Vorfeld er auch mit Betroffenen gesprochen habe. „Es ist die Frage, wie wir mit dem Geschehenen umgehen und es in die Geschichte der Pfarrgemeinde integrieren können.“

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Bei diesem speziellen, umstrittenen Jahresgedächtnis handele es sich um eine Stiftungsmesse, eine testamentarisch festgelegte und mit einem Geldbetrag hinterlegte Verpflichtung, erläuterte ein Vertreter des Kirchenvorstands. Sie nicht einzulösen, liege nicht im Ermessen des Pfarrers, sondern des Bistums. Auf Nachfrage hieß es hier: „Die künftige Ausgestaltung der heiligen Messen ist Gegenstand von Beratungen innerhalb des Kirchenvorstands.“