Plötzlich ein AlibiGoogle-Standort eines Rösrathers sorgt für unerwartete Wendung in Gerichtsprozess

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Auf einer Karte ist die Strecke eingezeichnet, die der Angeklagte zurückgelegt hat.

Der Google-Standortverlauf eines Rösrathers gab in einem Prozess den entscheidenden Hinweis.

Wenn Mr. Google zum Alibizeugen wird: Der Standort eines angeklagten Rösrathers zum Tatzeitpunkt reißt sein Urteil noch einmal herum.

Überraschende Wende in einem Prozess um eine Fahrerflucht: Zwei Tage vor seiner Verhandlung entdeckte der bis dahin reuige Angeklagte nach eigenen Angaben, dass er am Tattag gar nicht am Tatort in Rösrath gewesen sei, sondern zu Hause. Als „Alibizeugen“ präsentierte der 60-Jährige Bauunternehmer sein Handy und darin den Standortverlauf aus der Zeitachse von Google – und wurde freigesprochen. Besonders zuverlässig ist dieser „Zeuge“ allerdings nicht, wie ein Test ergab.

Roland M. (Name geändert) musste in Bensberg vor Gericht, weil es am 4. April 2022 auf dem Parkplatz am Sommerberg in Rösrath eine Unfallflucht gegeben hatte. Sein Firmenfahrzeug, ein Lkw mit Kölner Kennzeichen, hatte beim Wenden auf dem Parkplatz einen Pkw, ebenfalls aus Köln, touchiert. Der Außenspiegel war ab, doch der Lkw-Fahrer setzte die Fahrt fort, ohne sich bei der geschädigten Autobesitzerin, einer Kölner Sozialpädagogin, oder bei der Polizei zu melden.

Zeugen meldeten den Unfall der Polizei

Da aber zwei Spaziergänger den Vorfall, nicht aber den Fahrer, gesehen und das Kennzeichen der Polizei gemeldet hatten, wurde M. aufgefordert, mit seinem Lastwagen am 21. April zur Wache nach Bergisch Gladbach zu kommen, um dort eine Lackprobe abnehmen zu lassen.

Das tat der Mann nach eigenen Angaben auch, und nicht nur das: Er meldete den Vorfall seiner Versicherung, die für den Schaden an dem Pkw zahlte – ein Schaden, der, Detail am Rande, von der Polizei vor Ort auf 300 Euro geschätzt wurde, laut Kostenvoranschlag dann aber das Zwölffache, nämlich 3671 Euro, betragen sollte und für den die Versicherung am Ende 1800 Euro zahlte.

Rösrather habe den Unfall nicht bemerkt

Roland M. ging nach eigenen Worten damals davon aus, dass ihm der Unfall wohl passiert sei, ohne dass er das bemerkt habe. Denn er habe in der Zeit tatsächlich einmal eine Pause auf dem Parkplatz gemacht und dabei einen Döner gegessen.

Weil er in der Zeit so viel arbeiten musste, habe er die Sache mit der Schadensabwicklung einfach schnell erledigen wollen. Erst ganz kurz vor der Gerichtsverhandlung habe er auf seinem Handy entdeckt, dass er an dem Tag überhaupt nicht unterwegs gewesen sei, sondern zu Hause. Darum müsse wohl seine Ehefrau oder ein angestellter Fahrer am 4. April den Lkw gefahren haben. Den Döner – es könne auch ein Gyros Pita gewesen sein – habe er laut Google dagegen an einem anderen Tag, nämlich am 1. April um 17 Uhr, auf dem Parkplatz verspeist – und dabei natürlich auch keinen Verkehrsunfall gebaut.

Mr. Google besteht Stichprobe

„Ich habe mein Handy dabei, da können Sie sich die Zeitachse anschauen“, bot der Angeklagte der Richterin an. Die willigte ein, es dauerte einen Moment, dann zeigte ihr der Angeklagte die Eintragung. Die Richterin hakte nach: „Zeigen Sie mir doch mal den 21. April.“ – „Was war denn da?“ – „Das sage ich Ihnen gleich.“ Und siehe da, an dem Tag war der Angeklagte laut Standortverlauf bei der Gladbacher Polizei – der Termin war ja aktenkundig. Auch den Dönertag bestätigte der digitale Zeuge sowie die vorangegangene Visite beim Grill in Hoffnungsthal.

Nach diesen Stichproben hatte die Richterin erst einmal genug gesehen und gehört, und die Luft war raus aus der Anklage.

Der Referendarin der Staatsanwaltschaft gab die Richterin die Empfehlung mit, dass die Anklagebehörde vor der Aufnahme weiterer Ermittlungen bedenken möge, dass der oder die Fahrerin des Lkw den Unfall wegen des Regens damals und der von der Augenzeugin beobachteten mehreren Mitfahrer womöglich gar nicht bemerkt habe.

Dann forderte die Anklägerin Freispruch, der anwaltlich nicht vertretene Angeklagte entschuldigte sich dafür, dass ihm das so spät erst aufgefallen sei, und die Richterin verkündete kurz und knapp den Freispruch auf Kosten der Landeskasse: „Es ist alles gesagt, schönen Tag!“


Standortverlauf

  • Der „Standortverlauf“ ist laut Google eine „Einstellung auf Kontoebene, mit der die Orte gespeichert werden, die Sie mit Ihren Mobilgeräten besuchen“.
  • Die Funktion muss vom mindestens 18 Jahre alten Nutzer aktiviert werden und speichert dann Aufenthaltsorte und -zeitpunkte.
  • Sie ist laut Unternehmen nur für den Nutzer einsehbar und kann auch wieder ausgeschaltet werden. Weiter heißt es: „Sie entscheiden, was in Ihrem Standortverlauf gespeichert wird.
  • Sie können sich die von Ihnen besuchten Orte auf der Google Maps-Zeitachse ansehen und sie dort bearbeiten.“
  • Durch eine solche Bearbeitung kann ein einmal besuchter Ort auch ohne viel Aufwand digital verlegt werden, wie ein Selbsttest (siehe oben) ergab. (sb)