„Glück reicht nicht“Rad-Star Marcel Wüst unterstützt die Sportlerwahl in Rhein-Erft

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Noch heute tritt Marcel Wüst regelmäßig in die Pedalen.

Noch heute tritt Marcel Wüst regelmäßig in die Pedalen.

Rhein-Erft-Kreis – Marcel Wüst (54) ist einer der Botschafter der ersten Sportlerwahl Rhein-Erft. Er wuchs in seiner Geburtsstadt Köln auf. In den 90er-Jahren nahm seine Radsportkarriere Fahrt auf. Wüst, der heute in Bergheim-Glessen lebt, avancierte zu einem der weltbesten Sprinter. Seinen drei Etappensiegen bei der Spanienrundfahrt 1995 ließ er elf Tagessiege bei den großen Rundfahrten Tour de France, Giro d’Italia und Vuelta a España folgen. Bei der Tour de France 2000 trug er vier Tage das „Gepunktete Trikot“ des besten Bergfahrers und zwei Tage das „Grüne Trikot“ des besten Sprinters. Am 11. August 2000 stürzte Wüst in Issoire (Frankreich) infolge eines Zusammenstoßes bei hoher Geschwindigkeit. Er zog sich schwere Kopfverletzungen zu und verlor sein rechtes Augenlicht. Wüst arbeitete anschließend im Radsport als TV-Experte und Pressesprecher.

Herr Wüst, Sie haben als Radprofi mehr als 100 Siege herausfahren und 14 Etappen bei den großen Rundfahrten Tour de France, Giro d’Italia und Vuelta a España gewonnen. Was war der schönste Moment Ihrer Karriere?

Wüst: Die größte Sache war mein Etappensieg bei der Tour de France 2000. Dieser Erfolg hat – salopp gesagt – die Wellness nach oben katapultiert. Er war die Belohnung für die Quälerei im Training und die vielen Entbehrungen. Radsport auf diesem Niveau sorgt für viele Strapazen – physisch und mental. Du kannst dir keine Schwächephasen erlauben, weil dich – anders als in vielen Mannschaftssportarten – niemand auffängt, wenn du einen schlechten Tag hast. Jede Schwäche fällt direkt auf. Ein weiterer Sieg, den ich nie vergessen werde, ist mein Erfolg im ersten Profirennen in Perpignan. Noch immer poste ich irgendetwas am 5. Februar, wenn sich dieser Sieg jährt.

Marcel Wüst und seine „Casa Ciclista“

Heute bietet Marcel Wüst n der „Casa Ciclista“ auf Mallorca Radsportseminare und Trainingslager für alle Leistungsgruppen an. Außerdem ist er als Referent für Wirtschaftsunternehmen und Moderator tätig. (wok)

team-casaciclista.de

Der bitterste Tag war wohl der 11. August 2000, als Sie mit Tempo 60 bei einem Rennen in Frankreich infolge eines Zusammenstoßes gestürzt sind, sich schwere Kopfverletzungen zugezogen und Ihr rechtes Augenlicht verloren haben. Gab es danach Zeiten, in denen Sie es bereut haben, Profisportler zu werden?

Ich habe damals tatsächlich schon kurz helles Licht gesehen, ehe sie mich zurückgeholt haben. Aber auch in der Zeit nach dem Unfall habe ich meinen Weg nie bereut. Ohne den Radsport hätte ich vielleicht den elterlichen Betrieb übernommen, aber ich hätte nicht meinen Traum gelebt. Bei allen Strapazen hat sich mein Job nie nach Arbeit angefühlt, weil Radsport immer meine Passion war.

Ihre Radsportkarriere hat auch die Grundlage für Ihre heutige Tätigkeit gelegt. Sie organisieren Radsport-Aufenthalte auf Mallorca und halten Vorträge. Was können Sie den Teilnehmern und Zuhörern aus Ihrem reichen Erfahrungsschatz vermitteln?

Es ist ja so, die Tour de France ist das ganze Leben in drei Wochen. Man stirbt drei Tode und steht viermal wieder auf. Dabei habe ich so viel gelernt, was ich heute weitergeben kann. Eine wichtige Lehre besteht darin, dass man alleine mit Glück nicht weit kommt. Harte Arbeit zahlt sich hingegen auf Dauer fast immer aus. Man muss sich ein Ziel stecken und darf es nie aus den Augen verlieren. Auf dem Weg dorthin braucht es aber Flexibilität. Vor allem sollte man immer nur tun, woran man wirklich glaubt und was einen glücklich macht.

Sie haben den Boom Ihrer Sportart Ende der 90er-Jahre, aber auch das sinkende Interesse am Radsport nach den Doping-Skandalen erlebt. Was würden Sie jungen Menschen raten, die vor dem Beginn einer Profilaufbahn stehen? Gilt es, jede Chance zu ergreifen oder muss man sich beruflich breit aufstellen?

Ich sage jedem: Verfolge deinen Traum und warte nicht damit. Es gibt durch Vereine, Verbände oder die Sportstiftung NRW häufig Unterstützung. Und selbst wenn der große Durchbruch nicht gelingt, nimmt man auf dem Weg dorthin viele Erfahrungen mit. Als Sportler begegnet man so vielen Menschen, man lernt Länder kennen, erweitert seinen Horizont. Davon profitiert man sein Leben lang. Wenn man zuvor seinen Schulabschluss gemacht oder eine Ausbildung absolviert hat, kann man mit der nötigen Disziplin auch später immer noch alles aus seinem Leben machen.

Ab Samstag Wählen

Erstmals veranstaltet diese Zeitung mit Unterstützung der Kreissparkasse Köln und dem Kreissportbund eine Sportlerwahl. Donnerstag, Freitag und Samstag werden die Nominierten aus dem Rhein-Erft-Kreis vorgestellt, ab Samstag (29. Januar) können Sie hier für Ihre Sportlerin, Ihren Sportler oder Ihre favorisierte Mannschaft abstimmen.

Nominiert sind jeweils 15 Personen/ Mannschaften je Kategorie. Die Gewinner erhalten Geldpreise. (be)

Auf dem Weg zum Profi muss man auf einiges verzichten. Wenn die Freunde auf Partys gehen, schuftet man noch im Training, oder liegt längst im Bett, um ausgeruht in den Wettkampf zu gehen. Lohnen sich diese Entbehrungen?

Ja, ganz klar. Was verpasst man denn? Erfahrungen mit Drogen oder Alkohol? Der Sport gibt dir doch so viel. Während andere Jungs herumgehangen haben, habe ich trainiert und war weg von der Straße. Ich habe Fair Play, Teamgeist und Disziplin kennengelernt und erfahren, wie schön das Gemeinschaftsgefühl im Sportverein ist.

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Als Sprinter mussten Sie sich im Schlussspurt immer wieder riskanten Momenten stellen. Kann man Nervenstärke trainieren, oder wird einem diese Gabe bereits in die Wiege gelegt?

Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich am Berg nicht mit den Besten mithalten kann und mich auf den Sprint konzentriert. Da wächst man dann hinein. Mit jeder Zielankunft, mit jedem Sieg und jeder Niederlage lernt man dazu und wird erfahrener. Es geht ja nicht nur um Schnelligkeit, sondern auch um das richtige Timing. Irgendwann hast du eine enorme Intuition. Man bekommt eine schnelle Auffassungsgabe und hat einen Blick für die Situation. Das merke ich heute noch, wenn ich im Training unterwegs bin. Das ist durchaus hilfreich. Denn als Radsportler trainiert man nicht im geschützten Raum, sondern im Straßenverkehr, und dort lauert für uns Fahrer die größte Gefahr.