Pro-Palästina-Demos in BonnJüdische Studierende fühlen sich nicht mehr sicher – „Ich kann nicht normal studieren“

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Das Hauptgebäude der Uni Bonn vom Hofgarten aus.

In der Uni Bonn haben zum wiederholten Mal pro-palästinensische Demonstrierende Hörsäle besetzt. Hier ist das Hauptgebäude zu sehen. (Symbolbild)

In Bonn haben pro-palästinensische Demonstrierende erneut ein Gebäude besetzt. Eine jüdische Studentin erzählt, wie sie mit der Situation umgeht.

Pro-palästinensische Demonstrierende haben am Mittwoch (12. Juni) zwei Hörsäle der Universität Bonn besetzt und ein rotes Dreieckstuch am Hauptgebäude aufgehängt – laut Uni Bonn ein Symbol, das von der Terrororganisation Hamas unter anderem verwendet wird, um Anschlagsziele zu markieren. Sie riefen Parolen wie „Free Palestine“ und zündeten Pyrotechnik.

„Uns wird hier praktisch der Zutritt zur Uni verwehrt“, sagt Hanna (Name geändert). „Ich kann nicht normal studieren.“ Hanna ist im dritten Semester an der Uni Bonn. Es ist nicht das erste Mal, dass es pro-palästinensische Demos an der Uni gibt und Räume besetzt werden. Erst im Mai löste die Polizei ein ganzes Protestcamp am Hofgarten auf. Diese Entwicklungen machen Hanna große Sorgen. Sie ist Jüdin und Israeli – und fühlt sich hier nicht mehr sicher.

Jüdische Studierende wird aus WhatsApp-Gruppe rausgeschmissen

Die 24-Jährige ist Vorstandsmitglied in der JHG, der Jüdischen Hochschulgruppe Bonn, und hat regelmäßig mit Aktionen wie der an der Uni Bonn zu tun, auch in einer öffentlichen Funktion. Deshalb möchte sie lieber anonym bleiben mit dem, was sie uns erzählt.

50 Leute seien sie in der Gruppe, je rund ein Drittel sind internationale Studierende, jüdische Deutsche und nicht-jüdische Menschen. Alle seien willkommen. Untereinander sei man Ansprech- und Austauschpartner für alles. Aber man könne die Gesamtsituation keinesfalls schönreden, sagt sie. „Wer sich öffentlich für Israel und die Juden ausspricht, begibt sich in Gefahr. Das ist einfach inzwischen so.“ – und das sei kein Phänomen, das erst seit dem 7. Oktober auftrete, betont sie.

Wer sich öffentlich für Israel und Juden ausspricht, begibt sich in Gefahr.
Studentin aus Bonn

Als Jude oder Jüdin seien sie und ihr Umfeld immer schon regelmäßig angefeindet worden, das sei nichts Neues, auch in Deutschland nicht. „Ich wurde mal aus einer allgemeinen Studierenden-WhatsApp-Gruppe rausgeschmissen, einfach so.“ Als sie den Admin gefragt habe, warum sie aus der Gruppe entfernt wurde, habe die Person nur gesagt: „Das weißt du doch selbst.“ Einen konkreten Anlass habe es nicht gegeben, sagt Hanna. Aber sie vermutet, dass sie entfernt wurde, weil sie sich als jüdisch erkennbar gemacht hatte – ihr Name stand damals auf Hebräisch in WhatsApp. Damals habe man solche Vorfälle noch weggelächelt, sagt sie mit einem Seufzen. Jetzt nicht mehr.

Judenfeindlichkeit in Deutschland ist wieder sehr sichtbar geworden

Denn alle Anfeindungen hätten sich noch einmal radikal verschärft seit dem 7. Oktober 2023, als die islamistische Hamas Israel angriff, ein Massaker an der Zivilbevölkerung verübte und mehr als 240 Menschen entführte. Israel reagierte mit einem großangelegten Militäreinsatz im Gaza-Streifen, der von der Hamas kontrolliert wird.

Seitdem ist Hanna immer wieder mit ihrer Hochschulgruppe und anderen kooperierenden Gruppen auf die Straße gegangen. Und die Gemüter kochen auch überall in Deutschland immer wieder hoch. Pro-israelische und pro-palästinensische Demos wechseln sich ab. Uni-Gebäude wurden besetzt, Gebäude in Berlin oder Paris mit Davidsternen markiert oder rote Dreiecke aufgehängt, wie in Bonn. Judenfeindlichkeit in Deutschland ist wieder sehr sichtbar geworden.

Jüdische Studierende besuchen aus Angst keine Vorlesungen mehr

Das mache auch vielen jüdischen Studierenden in Deutschland Angst. Viele, erzählt Hanna, wollten sich nicht mehr in die Schusslinie begeben. „Ich weiß, dass internationale jüdische Studierende hier nicht mehr zu den Vorlesungen gehen, weil sie Angst haben. Sie bleiben nur noch unter sich. Das ist einfach ein gravierender Einschnitt in den Alltag und in unser Leben.“ Auch interkultureller Austausch gehe so unwiederbringlich verloren. Und damit sei es nicht genug.

Leute, die sich mit uns solidarisieren, werden angefeindet.
Hanna aus Bonn

„Es sind ja nicht nur wir jüdische Menschen betroffen. Auch andere leiden wegen dieser Anfeindungen und dem Hass. Leute, die uns helfen, uns unterstützen, sich mit uns solidarisieren. Sie werden alle angefeindet. Das ärgert mich so sehr. Sie alle sind betroffen.“

Die Besetzung der Uni in Bonn durch pro-palästinensische Demonstrierende konnte am Mittwoch nach rund vier Stunden friedlich beendet werden. Die Polizei räumte das Gebäude. Dabei habe es keine Schwierigkeiten gegeben, sagte ein Polizeisprecher. Die Uni habe Anzeige erstattet.

In einer Mitteilung erklärte die Uni, dass die Besetzung der Hörsäle einen „Eingriff in die Freiheit von Forschung und Lehre“ darstelle. Die Besetzenden würden zum wiederholten Male die „gewaltsame Verbreitung der eigenen Thesen“ erwirken, das Zeigen des roten Dreiecks sei „verabscheuenswürdig“. „Wir erhalten viel Unterstützung und Rückhalt von der Uni, vom AStA und von der Rektorschaft“, sagt Hanna. Aber da sei Bonn die Ausnahme.

Bonner Studentin schaut morgens zuerst nach Raketeneinschlägen in Israel

Es ist das Ungleichgewicht der Positionen, das Hanna Sorgen macht. „Ich habe überhaupt kein Problem damit, das Leid der palästinensischen Menschen anzuerkennen“, sagt Hanna sehr deutlich. „Aber ich finde, auch der Angriff der Hamas und ihr Hass auf Israel muss anerkannt werden.“ Die Menschen auf pro-palästinensischen Demos riefen immer „Free Palestine“, doch damit solidarisierten sie sich ihrer Meinung nach mit einer Terrororganisation. Eher müssten die Demonstrierenden rufen „Free Palestine from Hamas“.

Ich bin bereit, jeden Tag meine Tasche zu packen und zu gehen.
Hanna aus Bonn

Hanna lebt in Deutschland. Trotzdem hat sich für sie seit dem 7. Oktober alles verändert. Sie ist nicht nur in Deutschland aufgewachsen. Immer wieder war sie auch in Israel – und das Land bezeichnet sie immer noch als ihre Heimat. „Ich wache jeden Morgen mit einer Alert-App auf, die mir zeigt, wie viele Raketen wohin in Israel abgefeuert wurden. Ich lese immer die Nachrichten und hoffe, dass ich den Stadtteil, in dem meine Familie wohnt, nicht sehe.“

„Es verzweifelt mich, die Situation in Israel zu sehen. Trotzdem bin ich jeden Tag bereit, meine Tasche zu packen und zu gehen. Israel ist mein Rückzugsort. Ich weiß immer, ich könnte dorthin zurück. Und ehrlicherweise würde ich mich dort sicherer fühlen als gerade hier in Deutschland.“

Was sie dann hier noch hält? „Es ist nicht alles negativ. Ich habe hier Familie, bin hier aufgewachsen, habe hier Freunde, Menschen kennengelernt. Und es gibt auch Solidarität, es gibt Hilfe und Unterstützung.“ Aber: „Wir sehen immer mehr, dass Verständnis und Sympathie nicht für die Leute gelten, die angegriffen werden, sondern für die, die angreifen.“ Sie werde trotzdem nicht aufhören, Gespräche zu suchen. „Wir hören nie auf, mit den Menschen zu reden. Auf keinen Fall.“