Durch Crowdfunding finanziertEitorfer Spielemacher macht Leidenschaft zum Unternehmen

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Seit seiner Kindheit ist Steffen Rühl ein Spielefan.

Seit seiner Kindheit ist Steffen Rühl ein Spielefan.

Eitorf – Das Land von Riesenkraken und Piraten, von Schafen und bärbeißigen Schotten, von Abenteurern, Strategen und Spielern, liegt im Dörfchen Rankenhohn. Hinter einem schmiedeeisernen Zaun wuchert es wild, im hutzeligen Häuschen bollert ein warmes Feuer im Ofen, vor einem Tischchen mit einem Brettspiel steht ein Ohrensessel. Darin hat Steffen Rühl Platz genommen.

Mit seinem Lockenkopf sieht er ein bisschen aus wie ein Hobbit und teilt mit J.R.R. Tolkien, dem Schöpfer dieser Bewohner von Mittelerde, die große Liebe zu fantastischen Welten und das Talent, sie zum Leben zu erwecken. Steffen Rühl ist Spielemacher. Würfel, Karten, Spielpläne, Videogames, Rollenspiele – das ist die Welt des 52-Jährigen. Er arbeitete als Produktmanager bei einem Videospielverlag, war Dozent an Hochschulen und Universitäten in Düsseldorf, Hamburg, Berlin. Eine alte Scheune auf seinem Grundstück baute er zum Spielhaus um, in dessen Regalen sich Karton auf Karton stapelt.

Drei Jahre arbeitete Rühl an einer Neuauflage von „Glen More“

Als Kind spielte er alles, was er in die Finger bekam: „Das Flunderspiel“, „Canasta“, „Wutz“ und selbst „Öl für uns alle“. 1980 entwickelte er sein erstes eigenes Spiel. Auch als Erwachsener ließ die Begeisterung nicht nach, besonders angetan hatte es ihm das Strategiespiel „Glen More“ von Ravensburger, aber er fand: Das hätte so viel schöner, ausgefeilter, liebevoller sein können. Und so machte er sich gemeinsam mit dessen Autor Matthias Cramer an eine Neuauflage.

Drei Jahre dauerte es, bis „Glen More II“ fertig zur Veröffentlichung war. „35 Versionen haben wir gehabt, man verfeinert immer weiter und findet immer neue Fehler“, berichtet er. Bis das Spiel, bei dem die karge schottische Landschaft urbar gemacht wird, Schafe angeschafft werden und sich Gerste in Whisky verwandelt, wirklich zündete, mussten unzählige Partien gespielt werden. „Zu jeder Partie brauchten wir ein qualifiziertes Feedback, das ist sehr aufwendig.“ Spielplan und Figürchen mussten designt, Werbung musste gemacht, der Vertrieb organisiert werden.

Die Neuauflage des Spiels „Glen More“ war der Startschuss für das Unternehmen Funtails.

Die Neuauflage des Spiels „Glen More“ war der Startschuss für das Unternehmen Funtails.

„Das war so viel Arbeit, das lohnt sich nicht für nur ein Spiel“, sagt Rühl. Also gründete er im vergangenen Jahr mit anderen Enthusiasten den Brettspielverlag Funtails. „Manchmal muss man einfach machen. Wenn wir pleite gegangen wären, hätte ich eben wieder einen Job angenommen.“

Aber die Finanzierung über die Crowdfunding-Plattform „Kickstarter“ (siehe Infobox) war ein Erfolg: 90 000 Euro kamen weltweit für die Produktion von „Glen More II“ zusammen – weit mehr als angepeilt. Das Brettspiel wurde in einer Erstauflage von 15 000 Stück herausgebracht und schon zweimal nachproduziert. Bereits im Gründungsjahr machte die Funtails GmbH 500 000 Euro Umsatz.

Viele Kreditgeber für ein Projekt

Das Wort Crowdfunding setzt sich aus den englischen Begriffen Crowd (Menschenmenge) und Funding (Finanzierung) zusammen. Private oder gemeinnützige Projekte, sogar Immobilien und Firmen lassen sich so finanzieren. Statt einer Bank mit einem Kredit gibt eine Vielzahl von Menschen Geld, um ein Projekt zu ermöglichen.

So funktioniert’s: Das Projekt wird mit Bildern, Videos und Erklärtexten auf einer entsprechenden Plattform vorgestellt. Dazu gehört die Höhe des Finanzierungsziels, die Dauer der Kampagne und welche Gegenleistungen die Unterstützer erwarten können. Wenn das Ziel erreicht wird, bekommen die Projektstarter das Geld ausgezahlt. Andernfalls geht das Geld an die Unterstützer zurück. Sobald das Projekt erfolgreich umgesetzt wurde, bekommen die Unterstützer die versprochene Gegenleistung.

www.crowdfunding.de

Mittlerweile gibt es Merchandise-Artikel wie ein Säckchen mit „Goldmünzen“ oder edle Spielkartenboxen aus Holz dazu, auch eine Ergänzung für Solospieler ist auf dem Markt. In China, Japan, Korea, Frankreich, Italien, Polen und USA ist das 69 Euro teure Spiel der Renner, demnächst soll eine portugiesisch-spanische Version erscheinen. Und ja, trotz der ewigen Probiererei: „Glen More II spiele ich immer noch gern!“

Unterstützer haben mehr als 200.000 Euro gezahlt

Vier bis fünf Spiele im Jahr will der Funtails-Verlag, der mittlerweile auf zehn Beschäftigte angewachsen ist, herausbringen. Familienspiele, ein Quiz, Eigenentwicklungen ebenso wie Zusammenarbeiten mit Autoren wie dem Hennefer Klaus-Jürgen Wrede („Carcassonne“). Manche sollen über Eigenmittel, andere über Crowdfunding finanziert werden. Das von einem Autoren-Trio geschriebene „Feed the Kraken“, das im Juli 2021 erscheinen soll, gehört zu letzteren.

Gerade ist auf „Kickstarter“ die Finanzierung des Social-Deduction-Spiels für fünf bis elf Spieler zu Ende gegangen. So nennt man Gesellschaftsspiele, bei denen durch logische Schlussfolgerungen ein anfangs unbekannter Sachverhalt aufgedeckt wird; bei „Feed the Kraken“ müssen die Spieler herausfinden, wer Seemann, Pirat oder gar Okkultist ist und das Segelschiff vom Kurs abbringen will.

Mehr als 200 000 Euro haben 3490 Unterstützer gezahlt und damit nicht nur die Produktion des Spiels gesichert, sondern so auch Exemplare vorbestellt: 47 Euro kostet die Basis-, 79 Euro die Deluxe-Version. Bei der gibt es aufwendige Kraken-Miniaturen und Spielkarten, für das 3D-Schiff schaffte der Verlag eigens einen 3D-Drucker an. „Ein Spiel, das sich gut spielen lässt, reicht nicht mehr, auch seine Grafiken und das Material müssen ansprechend sein“, erläutert Rühl.

Seine Frau („Die würde am liebsten noch viel mehr spielen als ich“) und seine Kinder teilen seine Leidenschaft. Wenn seine Tochter Liv, die sich bei Funtails um den Kundenservice kümmert, zu Freunden fährt, packt sie immer eine große Tasche mit Brettspielen. Nur gemeinsam spielen sie nicht: „Das finden unsere Kinder uncool.“

www.funtails.de