Kommentar zu AfghanistanVon 20 Jahren Krieg bleibt, dass wir das Land im Stich lassen

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Pakistani Soldat Grenze

Ein pakistanischer Soldat bewacht einen Grenzübergang zu Afghanistan.

Es ist zu spät. Afghanistans Hauptstadt Kabul ist den Taliban ausgeliefert. Wer noch aus Afghanistan herauskommt, wer überlebt, was aus dem Land wird – alles hängt nun von dem Willen der islamistischen Krieger ab. Von ihnen weiß man nur eines sicher: Dass sie die Uhr um 2000 Jahre zurückstellen wollen.

An Afghanistan sind schon viele Großmächte verzweifelt. Ein derart komplettes Fiasko aber, wie es die USA und ihre Verbündeten, darunter die Bundesrepublik, am Hindukusch erlebt haben, ist selbst im historischen Vergleich schockierend. Das Tempo der Taliban-Offensive sei nicht abzusehen gewesen, sagt jetzt der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums. Es ist ein Offenbarungseid.

Der Saigon-Moment widerholt sich für die USA

Zunächst einmal für die westliche Aufklärung und für US-Präsident Joe Biden. Der hat noch vor wenigen Tagen vor der Presse versprochen, dass es in Kabul keinen „Saigon-Moment“ geben werde, also keine hektische Evakuierung der Botschaft von der Dachterrasse wie nach dem verlorenen Vietnamkrieg 1975. Am Sonntag nun ratterten Chinook-Hubschrauber über Kabul. Sie brachten US-Bürger zum internationalen Flughafen. Der Saigon-Moment wiederholt sich.

Am Montag soll die Bundeswehr damit beginnen, Deutsche und afghanische Ortskräfte auszufliegen. Das ist unentschuldbar spät. Auch die verwundbaren Transportflugzeuge vom Typ A400M sind nun gefährdet.

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Die Schuld für den dilettantisch vorbereiteten Rückzug schiebt Biden auf seinen Vorgänger Donald Trump. Er tut so, als hätte das Schicksal Afghanistans nichts mit ihm zu tun. Doch das Fiasko dieses Sommers fällt in seine Verantwortung als Oberbefehlshaber. Das ist der zweite Offenbarungseid: 20 Jahre lang haben die USA, hat die Nato, hat die Bundeswehr in Afghanistan gekämpft.

Der Westen hat die afghanische Armee und Polizei ausgebildet und ausgerüstet – nur um jetzt alles binnen Wochen in sich zusammenfallen zu sehen. Wer hat sich selbst, wer hat die Öffentlichkeit so sehr über die Lage getäuscht? Auch das muss beantwortet werden.

20 Jahre eine bessere Zukunft vorgelogen

Der dritte Offenbarungseid hat mit dem Verkennen der Realität und endlosen leeren Versprechungen zu tun. 20 Jahre lang wurde den Menschen am Hindukusch eine bessere Zukunft vorgelogen. Und das ist vielleicht das Schlimmste von allem.

Erst vor wenigen Tagen hat die Bundesregierung Abschiebungen nach Afghanistan gestoppt. Am Wochenende erklärte sich Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) dazu bereit, dass die Identitätsfeststellung und die Vergabe von Visa für afghanische Ortskräfte notfalls auch in Deutschland erfolgen könnten. Doch wer es jetzt nicht mehr zum Flughafen in Kabul schafft, bleibt den Taliban ausgeliefert. Wer es danach irgendwie aus Afghanistan heraus schafft, wird fliehen. Auf diesen Menschenstrom werden wir uns vorbereiten müssen.

Wir haben Afghanistan im Stich gelassen. Das wird von 20 Jahren Krieg bleiben.