Angriff auf die UkraineHätte der BND nicht mehr wissen müssen?

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Bruno Kahl

Bruno Kahl, Präsident des Bundesnachrichtendienstes.

Berlin – Als russische Truppen die Ukraine überfielen, war der Präsident des Bundesnachrichtendienstes in der Hauptstadt Kiew. Bruno Kahl musste auf dem Landweg fliehen. Das wirft die Frage auf, wie gut der BND informiert war.

Am 24. Februar wurde es ernst – nicht nur für die Ukraine, sondern auch für den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND). Als russische Streitkräfte auf Befehl ihres Präsidenten Wladimir Putin begannen, die Ukraine zu überfallen, hielt sich Bruno Kahl nämlich in der Hauptstadt Kiew auf – und musste sie auf dem Landweg verlassen, nachdem sein Jet bereits direkt nach der Ankunft am Vortag abgeflogen war.

Manche interpretieren dies nun so, als sei nicht allein der BND-Präsident, sondern der Auslandsnachrichtendienst insgesamt von der Entwicklung überrascht gewesen, zum zweiten Mal binnen weniger Monate nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan. Dieses Urteil wiederum ist strittig.

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Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) hat zuletzt mit drei Menschen gesprochen, die Einblick in die Arbeit des BND haben. Einer sagte, dieser habe mit Putins Krieg nicht gerechnet – und sei für den Fall der Fälle von einem raschen Sieg Russlands ausgegangen. Ein zweiter sagte, der BND habe mehr gewusst, „als man glaubt, aber weniger, als nötig gewesen wäre“. Eine dritte Person berichtet, die Expertise sei deutlich besser gewesen als beim Afghanistandesaster; das sei „kein Vergleich“. Die Note eins vergibt jedoch niemand der drei.

Was Afghanistan anbelangt, muss man sagen: Nicht allein der BND hat gestaunt, als Armee und Regierung binnen weniger Tage nach dem Abzug westlicher Truppen aus dem Land am Hindukusch kollabierten, um den Taliban das Feld zu überlassen – alle anderen staunten mit. Bei der Ukraine war das anders. Denn während US-amerikanische Nachrichtendienste deutlich vor Kriegsbeginn fest mit einem Überfall rechneten und dies auch kommunizierten, war sich der BND nicht so sicher. Jetzt sehen die amerikanischen Dienste rückblickend gut aus, der BND hingegen nicht ganz so gut.

In Sicherheitskreisen heißt es, der BND habe alle Optionen für denkbar gehalten – aber eben nicht wirklich wissen können, für welche Option sich Putin entscheide. Kahl sagte der Nachrichtenagentur Reuters am 28. Januar, knapp einen Monat vor Kriegsbeginn: „Ich glaube, dass die Entscheidung über einen Angriff noch nicht gefallen ist.“ Die amerikanischen Dienste seien technisch ungleich besser ausgerüstet, hätten den Zeitpunkt des Angriffs allerdings ebenfalls nicht punktgenau prognostiziert, so die Sicherheitskreise weiter.

Zur Kiew-Reise des BND-Präsidenten sagte dessen Sprecher dem RND: „Der Präsident ist in vollem Bewusstsein des Risikos und aller denkbaren Szenarien in die Ukraine gereist, um dringende Gespräche zur aktuellen Lage zu führen. Aufgrund der einsetzenden Kriegshandlungen und des dann gesperrten Luftraums über der Ukraine musste der Präsident die Rückreise auf dem Landweg antreten, was sich wegen parallel einsetzender Flüchtlingsbewegungen langwierig gestaltete.“

Im Übrigen verlautet aus Sicherheitskreisen: Man könne dem BND nicht einerseits vorwerfen, in akuten Krisen schlecht informiert zu sein, und andererseits beklagen, dass der BND-Präsident sich im Ernstfall vor Ort ein Bild mache.

„Spannende Diskussion“ über den BND erwartet

Nach RND-Informationen wurde Kahls Kiew-Reise schon im Januar geplant. Unmittelbar vor der Reise wurde er demnach von ukrainischer Seite gebeten, die Reise trotz zugespitzter Lage nicht abzusagen. Was genau stimmt, ist von außen schwer zu beurteilen. Das hat mit dem Charakter des BND zu tun, der eben ein Geheimdienst ist, aber auch damit, dass Menschen, die mit ihm Kontakte pflegen, aus denselben Gründen nicht offen darüber sprechen können.

Ganz sicher ist lediglich eines: Der BND hat mehr als 6000 Mitarbeiter, die überwiegend in Berlin in einem riesigen Gebäude arbeiten, das erst 2018 in Betrieb genommen wurde und als größter Neubau des Bundes seit 1949 gilt. Deshalb und weil die Expertise des BND von enormer sicherheitspolitischer Bedeutung ist, werden seine Einschätzungen an einer besonderen Elle gemessen.

Eine Person, die mit dem Dienst vertraut ist und seine Leistung im Ukraine-Konflikt eher positiv bewertet, sagte dem RND: „Es wird in jedem Fall noch eine spannende Diskussion, wer wann welche Informationen hatte.“