Chinas Vorgehen im russischen KriegWarum Europa auf ein Umdenken hinarbeiten sollte

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Präsident Xi Jinping während der Eröffnungssitzung der Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses (NVK)

Peking – Um Chinas Vorgehen bezüglich des russischen Kriegs gegen die Ukraine besser zu verstehen, sollte man einen Blick hinter die diplomatischen Kulissen werfen. Als die russischen Truppen gerade nach Kiew marschierten, ersuchte die Geschäftsführerin der ukrainischen Botschaft in Peking verzweifelt um Gesprächsmöglichkeiten mit chinesischen Regierungsvertretern.

Diese jedoch ignorierten tagelang sämtliche Anfragen, selbst die Bitten nach humanitärer Hilfe blieben unerhört. Erst als es darum ging, chinesische Staatsangehörige sicher aus dem Kriegsgebiet zu bringen, trat man auf die Landesvertretung zu. Deutlicher kann ein Staat nicht signalisieren, dass es ihm ausschließlich um die eigenen Interessen geht. In westlichen Botschaftskreisen zeigt man sich zutiefst enttäuscht darüber, dass die Volksrepublik in jenen dunklen Stunden nicht die geringste Empathie gegenüber der ukrainischen Bevölkerung aufgebracht hat.

China – der perfekte Vermittler?

Dennoch kann es sich Europa keinesfalls leisten, China als wichtigen Akteur in diesem Konflikt nicht einzubinden. Zwei Wochen nach Beginn des russischen Angriffskriegs sind die Hoffnungen auf eine friedliche Lösung auf dem Verhandlungsweg schließlich nahezu im Keim erstickt. Die Gesprächsrunden zwischen dem russischen und dem ukrainischen Außenminister sind bisher ohne nennenswerte Annäherungen im Sande verlaufen.

Dabei reicht ein oberflächlicher Blick aus, um China als anscheinend idealen Vermittler auszumachen: Xi Jinping verfügt wie kein anderer Staatschef über immensen Einfluss auf Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Denn China ist mittlerweile nicht nur der einzige nennenswerte Kompagnon des isolierten Pariastaats, sondern auch dessen wichtigster Handelspartner. Wenn Xi ein Machtwort spräche, dann würde Putin dies – wenn auch widerwillig – schwer ausschlagen können.

Moskau dient als Studierobjekt für Peking

Dementsprechend umso ernüchternder ist die bisher zurückhaltende Rolle der chinesischen Regierung. Peking windet sich mit leeren Phrasen und vagen Ankündigungen um eine klare Position. „Prorussische Neutralität“ nennen Beobachterinnen und Beobachter jenen unmöglichen Spagat, den die Volksrepublik derzeit zu begehen versucht – dabei ist der Begriff bereits ein Widerspruch in sich.

Wenig subtil versucht China, seinen Opportunismus zu verschleiern: Man möchte in diesem Konflikt möglichst viel Schaden von sich abwenden, während die Profite für das eigene Land maximiert werden sollen.

Ökonomisches Vakuum in Russland

Und diese wird es durchaus geben: Der Exodus westlicher Firmen hinterlässt ein ökonomisches Vakuum in Russland, welches die chinesische Konkurrenz in Teilen füllen kann. Vor allem aber dient Moskau nach dem Untergang der Sowjetunion nun China bereits zum zweiten Mal als vorzügliches Studierobjekt, aus dessen Verhalten Peking seine Lehren ableiten kann. Diese werden vor allem auf die Frage hinauslaufen, wie man sich selbst möglichst widerstandsfähig gegen westliche Sanktionen aufstellen kann.

Viele Beobachterinnen und Beobachter gehen hinter vorgehaltener Hand sogar so weit zu behaupten, dass den chinesischen Diplomaten jeglicher moralische Kompass fehle. Zumindest die verrohte Propaganda, mit der man die eigene Bevölkerung über die Staatsmedien beschallt, untermauert diese These: Von antisemitischen Verschwörungs­erzählungen bis hin zum Entnazifizierungs­mythos kursieren die krudesten Fake News auf chinesischen Online­plattformen. Selbst im Außenministerium wird reflexartig sämtliche russische Propaganda wiederholt, ganz gleich, wie absurd diese anmutet. Hauptsache, sie wälzen die Schuldfrage auf den Erzfeind USA ab.

China übernimmt russische Propaganda

Wer hingegen auf Chinas sozialen Medien zu Empathie und Frieden aufruft, wird entweder zensiert oder vom nationalistischen Mob als Verräter diffamiert. Das systematische Entmenschlichen der ukrainischen Bevölkerung, ja generell jeglicher Empathie gegenüber menschlichem Leid, ist eine direkte Konsequenz jener verrohten Informationszensur.

Genau wie ein Großteil der Chinesinnen und Chinesen blicken auch die Parteikader in Peking auf das Kriegsgeschehen wie aus distanzierter Vogelperspektive auf ein Schachbrett: Einmischen lohnt sich laut dieser Logik nur, wenn es dem direkten Interesse der Volksrepublik China dient. Warum Xi eine Kurskorrektur fürchten könnte

Gönnerhaft als Retter in einem Konflikt

Natürlich bleibt dennoch die Frage unbeantwortet, warum China sich nach wie vor an einen Staat wie Russland dranhängt. Wirtschaftlich nämlich macht der Handel mit Moskau nur rund 2 Prozent vom chinesischen Außenhandels­volumen aus. Doch zum einen eint die zwei Staaten die gemeinsame Ablehnung der westlichen Weltordnung. Und nicht zuletzt hat die demonstrative Nähe auch einen scheinbar banalen Grund: Staatschef Xi Jinping hat Wladimir Putin schließlich erst am 4. Februar zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Peking als Ehrengast begrüßt und eine „grenzenlose Freundschaft“ zelebriert.

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Dementsprechend ist diese nun direkt mit dem allmächtigen, in China unfehlbaren Staatschef verknüpft. Eine Kurskorrektur käme also einem Gesichtsverlust Xis gleich, den dieser niemals vor der ausländischen Öffentlichkeit eingestehen würde. Es gibt also viele Gründe, die China – trotz des unvergleichlichen Einflusses auf Russland – nicht zu einem idealen Vermittler machen.

Doch angesichts des unmenschlichen Leids der ukrainischen Zivilbevölkerung sollte Europa dennoch nichts unversucht lassen, um China zu einem Umdenken zu motivieren – und sei es nur, weil Xi Jinping irgendwann die Chance wittert, sein Land gönnerhaft als Retter in einem Konflikt zu inszenieren, dem er zuvor nur untätig zugeschaut hat. Wenn dies der Preis dafür wäre, einen Waffenstillstand zu erreichen, ist es das wert. (rnd)