Frederick Lau übers Mann-Sein„Man muss schon sehr aufpassen, was man sagt”

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Frederick Lau Imago

Schauspieler Frederick Lau.

Hannover – Käppi auf dem Kopf, Jogginghose an den Beinen: Frederick Lau sitzt im heimischen Wohnzimmer und hat es sich bequem gemacht. Mit Stefan Stosch sprach der 32-Jährige über seine Anfänge als Kinderdarsteller, biografische Brüche und seine Lieblingsrolle als Vater.

Herr Lau, kommen Sie schon immer gut mit Kindern klar?

Frederick Lau: Inzwischen habe ich ja selbst drei. Aber bevor meine älteste Tochter auf die Welt kam, war das nicht unbedingt meine Stärke. Ich bin als Einzelkind aufgewachsen, mein Bruder ist früh gestorben. Als Vater hat sich mein Verhältnis zu Kindern schnell gewandelt: Unglaublich, wie viele Kontakte sich allein auf Spielplätzen ergeben.

Sie wirken wie ein Vater, der mindestens ebenso gern Blödsinn macht wie seine Kinder: Kann das sein?

Sagen wir so: Meine Kinder und ich machen zusammen Blödsinn. Wir gehen schon mal dahin, wo „Betreten verboten“ auf dem Schild steht. Oder wir klettern auf Hochsitze. Wir gehen raus, und ich erkunde mit meinen Kindern die Welt noch mal neu – gewissermaßen mit Kinderaugen. Ich mag das sehr.

Hat eines Ihrer Kinder Sie schon mal gefragt: „Was ist eine menschliche Seele, Papa?“

Das fragt mich meine Filmtochter in meinem neuen Film „Wolke unterm Dach“, als ihre Mutter gänzlich überraschend gestorben ist. Für die Achtjährige ist die Welt zusammengebrochen – und für mich als ihren Vater im Film natürlich auch. Wenn meine Kinder mir im echten Leben schwierige Fragen stellen, bemühe ich mich immer um eine zufriedenstellende Antwort. Aber manchmal weiß ich keine. Wir überlegen dann gemeinsam. Ich stelle selbst gern naive Fragen wie ein Kind. Ich finde es schade, dass sich Erwachsene oft nicht trauen zu zeigen, wenn sie etwas nicht wissen.

Sie trauen sich?

Schon berufsbedingt. Ich bewege mich ja in sehr verschiedenen Welten. Wenn der Film zum Beispiel im Immobilien-Bänker-Milieu spielt wie „Betonrausch“, dann habe ich davon zunächst mal keine Ahnung. Da muss ich nachhaken. Meistens kriege ich auch hilfreiche Antworten. Ich kann mich ja nicht in jedes Thema einlesen, da bin ich nicht der Typ für. Blöde Fragen gibt es für mich nicht.

Sie haben selbst als Kind vor der Kamera gestanden. Wann haben Sie geahnt, dass aus der Schauspielerei Ihr Hauptberuf werden könnte?

Meine große Liebe als Jugendlicher war der Sport, Eishockey und Judo. Der Film hat dann für mich eine ganz neue Welt eröffnet: Plötzlich saßen da Erwachsene und haben den zehnjährigen Frederick in ihrer Mitte freundlich aufgenommen. Das fand ich fantastisch, ich wollte immer weiterdrehen. Meine Eltern haben mich machen lassen, mich glücklicherweise auch nicht unter Druck gesetzt. Und so kam dann ein Film zum anderen – „Das fliegende Klassenzimmer“, „Bibi Blocksberg“ oder „Wer küsst schon einen Leguan“.

Haben Sie nie über einen anderen Beruf nachgedacht?

Als Jugendlicher habe ich mich überfordert gefühlt. Ich erinnere mich: Unsere Klasse hat damals ein sogenanntes Berufsinformationszentrum besucht – und doch hatte ich keine genaue Vorstellung davon, was den Beruf eines Bäckers oder eines Ingenieurs ausmacht. Was fehlte, waren echte Berührungspunkte.

Es heißt, dass viele Kinderdarsteller später einen biografischen Bruch erleben: Wie war das bei Ihnen?

Bei mir gab es eine schwierige Phase, als ich 16 war. Ich ging noch zur Schule, war damals aber schon von zu Hause ausgezogen. Meine Mutter sagte mir: Ich weiß nicht, wie du dir das vorstellst: Dann musst du jetzt auch Geld verdienen. Ich habe dann irgendeinen Dreh angenommen, den ich gar nicht wirklich machen wollte – und bin gleich am ersten Tag an der Kaffeemaschine abgefangen worden, weil die Leute dachten, ich würde nicht zum Team dazugehören. Damals war ich so schüchtern, dass ich erst mal nichts gesagt habe.

Wie hat sich die Sache dann aufgelöst?

Der Regisseur tauchte auf und fragte mich: „Und wer bist du?“ Der hatte sich gar nicht über seine Schauspieler informiert – und ich hatte eine kleinere Rolle. Ich fühlte mich wie vor den Kopf gestoßen. Ich dachte, ich sei besetzt worden, weil ich schon einiges vorzuweisen hatte. Offensichtlich war das alles nichts wert. Dann bin ich in die Maske gegangen und habe ratlos in den Spiegel geschaut. Denen habe ich gesagt, dass ich mich nicht wohl fühle und bin nach Hause. Ich kam mir vor wie ein austauschbares Stück Vieh im Stall.

Der Schauspielerei sind Sie aber glücklicherweise treu geblieben.

Aber die Geschichte prägt mich bis heute bei meinen Rollenentscheidungen. Meiner Mutter habe ich unter Tränen gesagt: Ich werde nie wieder einen Job nur des Geldes wegen annehmen. Kurz darauf habe ich die Schule beendet und mich ganz der Schauspielerei gewidmet.

Was ist beim Drehen mit Kindern anders als mit Erwachsenen?

Man ist vorsichtiger. Alle bemühen sich, für eine entspannte Stimmung zu sorgen. Ich weiß ja selbst, wie das als Kind am Set gewesen ist und möchte den Kindern eine gute Zeit verschaffen. Das Schöne für die Erwachsenen aber ist: Die Kinder strahlen regelrecht. Die haben unglaublich Lust zu spielen. So war das auch bei Romy Schroeder in „Wolke unterm Dach“, die meine Tochter spielt.

Wie haben Sie der damals zehnjährigen Darstellerin Romy erklärt, dass ihre Mutter im Film stirbt?

Unser Regisseur Alain Gsponer hat viel mit Romy geprobt und noch mehr mit ihr besprochen, was in diesem Film auf sie zukommt. Romy hatte auch einen Coach dabei, der sie vorsichtig an die Situation heranführte. Das war alles andere als einfach für Romy: So viel Trauer schleppt sie in der Rolle mit sich herum. Ich kenne das bei emotional belastenden Parts auch: Hinterher steige ich manchmal in ein Eisbad, um die Rolle wieder loszuwerden und mich sozusagen davon zu reinigen.

Ein Film, der vornehmlich von Verlust und Schmerz erzählt: Woher nehmen Sie die Emotionen für so eine Geschichte?

Ehrlich gesagt möchte ich mir gar nicht vorstellen, wie das ist, wenn die eigene Frau stirbt. Davon handelt ja auch der Film: Der von mir gespielte Ehemann und Vater Paul muss den Verlust erst einmal begreifen. Der Dreh war alles andere als ein Spaziergang.

Sie sind gerade einmal 32 Jahre alt, Ihre Filmografie ist üppig: Leben und arbeiten Sie auf der Überholspur?

Ich hatte immer ganz viel Lust zu arbeiten. Mit den Kids ist das jetzt ein bisschen anders – und Corona hat auch seinen Teil dazu beigetragen. Seit einem halben Jahr habe ich gar nicht mehr gedreht. Erst im Juni steige ich wieder richtig ein. Bis dahin bereite ich mich auf Rollen vor. Momentan will ich einfach zuerst für meine Familie da sein.

Das klingt jetzt aber nach einem überraschenden Spurwechsel in Ihrem Leben.

Es ist schön, morgens aufzuwachen und nicht zu wissen, was man an diesem Tag macht. Ich hole die Kinder ab, wir gehen raus, haben Spaß. Allerdings bin ich jemand, der auch immer Neues erfahren und spüren möchte. Deshalb habe ich angefangen, Gitarre zu lernen. Ich brauche etwas, was mich künstlerisch erfüllt.

Wenn Sie ein paar Filme herausgreifen sollen, die Ihnen besonders wichtig sind: Welche fallen Ihnen ein?

Lassen Sie mich so sagen: Im Zeitraum von fünf Jahren sind immer ein oder zwei gute dabei. Ob einem ein Film wichtig ist, weiß man natürlich auch immer erst hinterher, wenn er fertig und geschnitten ist. „Picco“ über junge Gefängnisinsassen würde ich dazu zählen, „Der Hauptmann“ über den Kriegsverbrecher Willi Herold, „Victoria“ über einen Banküberfall – gedreht ohne einen einzigen Schnitt.

Jetzt haben Sie durchweg ernste Filme genannt. Kann es trotzdem sein, dass Regisseure Sie bislang gern als Hallodri in Komödien besetzt haben – siehe „Generation beziehungsunfähig“ oder „Nightlife“?

Vielleicht haben die Regisseure gedacht: Der war viel im Berliner Nachtleben unterwegs, der kennt sich aus. Ich finde tatsächlich, man sollte immer alles ausprobieren. Ich hatte durchaus wilde Zeiten. Allerdings: Wenn ich später schlaflose Nächte hatte, lag das eher daran, dass auch meine Kinder schlecht schliefen.

Würden Sie sich als „Bauchschauspieler“ bezeichnen?

Ich bereite mich auf eine Rolle gut vor. Aber ich lerne beim Drehen immer noch dazu. Ich bin sicher kein technischer Schauspieler, der sich schon vorher überlegt, wie er am elften Drehtag den Deckel der Colaflasche aufdreht. Ganz wichtig ist für mich der Raum, in dem wir arbeiten. Den kann das Drehbuch ja nie wirklich präzise beschreiben – und die Situation letztlich auch nicht. Erst durch die Proben wird die Szene real. Dann erst fühlt es sich richtig an. Jeden Tag muss man wieder daran arbeiten, die Situation zum Leben zu erwecken. Man malt sozusagen immer wieder ein neues Bild.

Ärgert es Sie, wenn Leute von Ihnen als „der mit dem Dackelblick“ sprechen?

Ne, da habe ich kein Problem. Manchmal sagen mir Leute, ich würde immer so traurig gucken. Dabei bin ich gar nicht traurig. Die Menschen interpretieren da einfach zu viel rein.

Sie haben mit Ihrem Schauspielerkollegen Kida Khodr Ramadan das Buch „Zusammen sind wir Könige. Was Männer zu Freunden macht“ geschrieben. Wie lautet die Antwort auf die Frage?

Man muss den Menschen so nehmen, wie er ist. Man sollte nicht gleich jemanden verurteilen, wenn er sich mal danebenbenimmt. Es ist auch falsch, Menschen korrigieren zu wollen. Ich habe mich für den anderen entschieden, also nehme ich ihn, wie er ist – komplett. Das gilt übrigens auch für die Ehe. Und das ist schon das ganze Geheimnis.

Ist es heute komplizierter geworden, ein Mann zu sein?

Man muss schon sehr aufpassen, was man sagt. Das fällt mir besonders auf, wenn ich mit jüngeren Männern rede. Da wächst eine ganz andere Generation heran, die viel sensibler ist, was den Umgang mit anderen Menschen betrifft. Die Jüngeren achten viel mehr darauf, niemanden zu verletzen. Wenn ich da vergleiche, fühle ich mich mit Anfang 30 manchmal schon wie ein Dinosaurier.