Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer„Die Energiesteuern müssen runter”

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Herr Wollseifer, die Auswirkungen des Ukraine-Krieges bremsen die Konjunktur – auch im Handwerk? Hans Peter Wollseifer: Natürlich. Der brutale russische Angriffskrieg und dessen Folgen betreffen das Handwerk in vielerlei Hinsicht. Eine aktuelle Umfrage in der Handwerksorganisation Anfang März hat gezeigt, dass bereits bei einem Drittel der Betriebe der Krieg und die Sanktionen die Geschäftsausübung zum Teil massiv behindern. Das sind hochgerechnet mehr als 300.000 Firmen.

Welche Probleme haben die?

Manche leiden unmittelbar, etwa weil sie Ukrainer beschäftigen, die nach Hause gehen, um ihren Familien beizustehen oder ihr Land zu verteidigen. In einem Nachbarbetrieb von mir arbeitet ein junger Mann, der seinen Bruder aus der Ukraine holen wollte und dort erfuhr, dass dieser gefallen ist. Daraufhin hat er beschlossen, dort zu bleiben und zu kämpfen, weil sein Bruder es nicht mehr kann. Solche Geschichten machen einen extrem betroffen.

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Abgesehen von der menschlichen Tragödie fehlen die Ukrainer als Fachkräfte?

Ja klar, die Kollegen lassen sich nicht von heute auf Morgen ersetzen. Das nächste Problem ist fehlendes Material, weil Lieferketten abgerissen sind. Etwa bei Holz, Metall, Bitumen: Vieles davon kommt aus der Ukraine und Russland – jetzt eben nicht mehr.

Gibt es auch Handwerker, die in der Ukraine oder in Russland aktiv waren, und sich nun zurückziehen müssen?

Ich weiß von Orgelbauern, die in Russland tätig waren, oder Bootsbauern und Schreinern, die sich auf Erstellung, Wartung wie auch den Innenausbau von Yachten spezialisiert haben. Es gibt solche Fälle, auch wenn deren Zahl nicht so groß ist wie in der Industrie. Aber: Wenn die Industrie leidet, leidet auch das Handwerk, weil uns Zulieferaufträge wegbrechen.

Was ist mit der Energie?

Die explodierenden Preise für Strom, Öl, Sprit und Gas sind im Moment das größte Problem für die Betriebstätigkeit. Und davon sind tatsächlich alle Handwerksbetriebe betroffen - zu 100 Prozent. Bis zu einem gewissen Grad können die Betriebe das kompensieren, aber man darf nicht vergessen, dass zwei Jahre Pandemie bei vielen Betrieben die Rücklagen aufgezehrt haben. Die Liquiditätsdecke ist also extrem dünn. Dass jetzt noch wesentliche Teuerungen bei Material und Energie hinzukommen, wird Existenzen im Handwerk kosten, wenn die Politik nicht eingreift.

Was fordern Sie?

Finanzminister Christian Lindner hat mit seinem Tankrabatt einen Vorschlag gemacht, der zumindest unmittelbar helfen könnte. So ein Rabatt an der Zapfsäule wirkt schnell – ein Vorteil. Der Nachteil ist, dass man befürchten muss, dass die Ölgesellschaften nicht den ganzen Rabatt an die Kundschaft weitergeben. Deshalb ist ein solcher Rabatt nur die zweitbeste Idee.

Welche ist die beste?

Die Energiesteuern müssen runter. Ich plädiere dafür, die Steuersätze für Strom, Öl, Kohle und Gas auf den europäischen Mindestsatz zu senken. Das wäre ein substanzieller Beitrag des Staates, und da ließe sich auch gut kontrollieren, ob die Entlastung beim Endverbraucher ankommt. Auch die neue CO2-Abgabe befristet auszusetzen, wäre ein Entlastungsschritt.

Wäre ein vollständiges Energieembargo gegen Russland aus Sicht des Handwerks denkbar?

Ohne russisches Gas wird es bei uns im nächsten Winter eng, so ehrlich muss man sein. Ich finde deshalb, dass die Bundesregierung verantwortlich handelt, wenn sie versucht, die Abhängigkeit Schritt für Schritt und so schnell wie möglich zu verringern. Das geht leider nicht in ein paar Tagen oder Wochen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wirft Deutschland vor, es gehe immer nur um die Wirtschaft. Hat er da nicht Recht?

Ich verstehe den Wunsch nach einem Energieembargo, weil das Putins Russlands sehr schwer treffen würde. Auf der anderen Seite hätte das voraussichtlich sehr schwere wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen für Deutschland. Ohne Frage ist das ein kaum lösbares Dilemma. Es zeigt aber auch: Umso wichtiger ist es, schnell einseitige Abhängigkeiten zu verringern. Und was die aktuelle Lage betrifft: Denken Sie daran, dass Millionen aus der Ukraine fliehen, die wir aufnehmen und versorgen müssen. Allein dafür brauchen wir unsere wirtschaftliche Stärke.

Sind die Flüchtlinge nicht vor allem eine Chance in einem Land, das händeringend nach Fachkräften sucht?

Das können sie sein. Aber aktuell steht das nicht im Vordergrund, da geht es um die humanitäre Hilfe. Natürlich können wir jede und jeden gut gebrauchen. Derzeit kommen vor allem Frauen, und auch die bekommen wir sehr schnell in den Arbeitsmarkt integriert, wenn die Kinder in Kitas und Schulen gehen. Ich denke an unsere Lebensmittelhandwerke, wo Verkäuferinnen in Bäckereien und Fleischereien händeringend gesucht werden. Und auch in anderen Branchen fehlt Personal.

Wie ist das Ausbildungsniveau in der Ukraine?

Nach den bisherigen Erfahrungen mit bereits in Deutschland vor dem Krieg tätigen Ukrainern: sehr gut. Aus der Ukraine kommen Menschen, die was draufhaben. Und die können wir gut gebrauchen. Wo etwas fehlt, können wir in unseren 600 handwerklichen Bildungszentren nachqualifizieren. Arbeit ist ein zentraler Bestandteil von Integration. Und das Handwerk steht bereit, zu helfen.

In der Folge des Ukraine-Krieges wird sich die Energiewende noch einmal beschleunigen. Hat das Handwerk die Kapazitäten, um all die Wärmepumpen, Solarmodule und Wallboxen zu installieren?

Nein, diese Kapazitäten haben wir schon aktuell nicht. Das ist ein großes Problem. Dem Handwerk fehlen derzeit schon geschätzt eine Viertelmillionen Fachkräfte, ein Großteil davon in klimarelevanten Gewerken wie der Elektrik oder dem Heizungsbau. Leider entscheiden sich viele junge Menschen immer noch eher für ein Studium als für eine Karriere im Handwerk. Das habe ich auch den Aktivisten von Fridays for Future kürzlich gesagt, dass aktiver Klimaschutz im Handwerk stattfindet. Nicht nur demonstrieren, sondern auch installieren ist unser Motto. Das fanden die gut.