Kampf gegen Virus und StigmaSieben Omikron-Lehren aus Südafrika – eine Analyse

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Omikron Labor

PCR-Analyse-Programm in einem Labor

„Covid ist hier, um zu bleiben. Also lebt damit“, titelt die südafrikanische Politzeitschrift „Mail & Guardian“ in ihrer aktuellen Ausgabe. Das Auftauchen der Omikron-Variante des Virus hat das Schwellenland in die internationalen Schlagzeilen katapultiert.

Vier Wochen nach Bekanntwerden der Covid-19-Mutation ist man um Schadensbegrenzung bemüht – in Kapstadt, Johannesburg und Durban genauso wie auf der internationalen Bühne. Einen erneuten harten Lockdown verhängt die Regierung in Pretoria aber vorerst nicht, da Krankenhausaufenthalte und Todesfälle gering bleiben. Welche weiteren Erkenntnisse kommen von Afrikas Südzipfel?

Ansteckung

Wolfgang Preiser ist Virologe an der Universität Stellenbosch bei Kapstadt. Touristinnen und Touristen aus seinem Heimatland gehören eher selten zu seinen Studienprobandinnen und -probanden. Das änderte sich vor kurzem, als mehrere Deutsche zwischen 25 und 39 Jahren Kontakt mit ihm aufnahmen. „Diese jungen Deutschen waren zum Urlaub oder für Praktika hier in Kapstadt, waren vollständig geimpft und etliche von ihnen sogar schon geboostert. Und dennoch haben sie sich während ihres Aufenthaltes mit Omikron infiziert.“ Preisers Fazit: „Es wird einen angepassten Impfstoff brauchen, damit die Wirksamkeit einer Impfung wieder auf dasselbe Niveau gelangt wie vor Omikron.“ Das bedeute aber nicht, dass aktuell verfügbare Impfstoffe keinen Wert hätten. „Im Gegenteil: Sie scheinen immer noch recht gut gegen einen schweren Krankheitsverlauf zu schützen.“

Krankheitsverlauf

Südafrika steckt inmitten seiner vierten Corona-Welle. Der Großteil der Neuansteckungen sind inzwischen Omikron-Fälle. Von überlasteten Intensivstationen kann aber keine Rede sein. Krankheitsverläufe scheinen, verglichen mit der Delta-Welle, milder zu sein, wie eine neue Studie nahelegt. „Die sehr ermutigenden Daten deuten stark auf eine geringere Schwere der Omikron-Infektionswelle hin“, sagte Cheryl Cohen von Südafrikas Nationalem Institut für übertragbare Krankheiten (NICD) am Mittwoch. Sie warnte jedoch, dass es sich noch um frühe Daten handelt und weitere Studien nötig seien.

Forschung

Für ihre Erforschung des Coronavirus erhielten Preiser, Gray und andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Todesdrohungen. Per E-Mail und über die sozialen Medien machten frustrierte Südafrikanerinnen und Südafrikaner ihrem Ärger Luft. Sie werfen den Professorinnen und Professoren vor, „unermesslichen Schaden“ über das Land gebracht zu haben, weil diese ihre Ergebnisse mit der Weltöffentlichkeit teilten. Jetzt ermittelt die Polizei wegen der Hasstiraden. „Unsere Wissenschaftler haben außerordentlich gute Arbeit geleistet, doch für die Alltagsmenschen wirkte sich diese Spitzenleistung negativ aus“, sagt die südafrikanische Anthropologin Jess Auerbach.

Stigmatisierung

Nicht nur die Forschenden wurden in den vergangenen Wochen zum Gesicht von Omikron, viele Südafrikanerinnen und Südafrikaner sehen sich vom Rest der Welt zum Sündenbock abgestempelt. So dauerte es nur Stunden, bis Großbritannien und Dutzende andere Länder nach Bekanntwerden der Mutation Landeverbote gegen afrikanische Bürgerinnen sowie Bürger verhängten. Einige der Restriktionen wurden inzwischen aufgehoben. Doch der Schaden ist angerichtet. Allein in den ersten 48 Stunden wurden in Südafrika Reisebuchungen im Wert von 56 Millionen Euro storniert, berichten lokale Zeitungen.

„Die Auswirkungen sind nicht nur für die Wirtschaft katastrophal, sondern behindern auch die Forschung: Wir schaffen es kaum, dringend benötigte Reagenzien ins Land zu bekommen wegen der stark eingeschränkten Flugverbindungen“, sagt Virologe Preiser. Laut der Kommunikationsexpertin Petronella Mugoni kämpfe der ganze Kontinent gegen das Covid-19-Stigma. „Sichtbar wurde das, als Reisebeschränkungen gegen viele Länder des südlichen Afrikas in Kraft getreten waren, bevor diese überhaupt einen Omikron-Fall vermeldeten.“

Tourismus

Nicht gerade optimistisch beschreibt Kate Crane Briggs, Touristikerin und Betreiberin des Tourveranstalters Culture Connect in Kapstadt, die Lage. „Eine sofortige, hochrangige Kommunikationskampagne hätte dazu beitragen können, Südafrikas negative öffentliche Wahrnehmung zu mildern“, ist sie überzeugt. Briggs’ Einkommen brach im vergangenen Jahr um die Hälfte ein. Sie setzt nun vermehrt auf Lokaltouristinnen und -touristen und virtuelle Führungen. Die Omikron-Variante betrachtet sie als „einen weiteren Sargnagel“ für Südafrikas kleine Tourismus- und Gastronomiebetriebe.

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Impfen

Bisher sind 44 Prozent der erwachsenen Südafrikanerinnen und Südafrikaner zumindest einmal geimpft. Laut Kommunikationsexpertin Mugoni mangele es nicht nur an Impfstellen, es herrsche auch Skepsis. Angesichts einer „zweiten Pandemie“, nämlich grassierender Falschinformationen, plädiert sie für bessere Kampagnen. „Die Zahlen, die aus Südafrikas Krankenhäusern kommen, verraten uns, dass die überwältigende Mehrheit der Omikron-Patientinnen und -Patienten ungeimpft ist. Das ist eine entscheidende Information, die verbreitet werden sollte.“ Laut Anthropologin Auerbach sollten die Behörden auf Impfskeptikerinnen sowie Impfskeptiker zugehen. „Will die Regierung mehr Menschen zum Impfen bewegen, muss sie deren Vorstellungen ernst nehmen.“

Testen und Quarantäne

Die WHO schätzt, dass in Afrika sechs von sieben Covid-Infektionen unentdeckt bleiben. Selbst in fortschrittlicheren Ländern wie Südafrika fehle es an Tests. Führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Kap fordern deshalb, die Quarantänepflicht für Kontaktpersonen aufzuheben. „Wir spüren nicht genügend Kontaktpersonen auf, um sie in Quarantäne zu schicken, da wir von vornherein nicht genügend Covid-Fälle aufspüren“, so der Vakzinologe Shabir Madhi in Johannesburg. (mit dpa)