Kommentar zu AstrazenecaEs ist sehr wohl eine politische Entscheidung

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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn

Wie groß die öffentliche Aufmerksamkeit für eine Information ist, sagt nicht unbedingt etwas darüber aus, wie wichtig sie tatsächlich ist. Das gilt insbesondere in Zeiten, in denen Verschwörungstheorien Hochkonjunktur haben. Gerät eine Angelegenheit in den Fokus, entsteht nicht selten eine Dramatisierungsspirale, der mit Fakten kaum noch beizukommen ist.

Der Impfstoff von Astrazeneca ist ein Beispiel dafür. Es begann mit der Nachricht einer etwas geringeren Wirksamkeit im Vergleich zum Impfstoff von Biontech. Es setzte sich fort mit der Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko), das Vakzin zunächst nicht für über 65-Jährige einzusetzen. Dann gab es Berichte über Impfreaktionen. Und nun auch noch Meldungen über Thrombosen. Das alles verdichtete sich bei vielen Menschen zu der Einschätzung, der Impfstoff tauge nichts und sei dazu auch noch lebensgefährlich.

Das ist nach den bisherigen Erkenntnissen falsch. Die Wirksamkeit ist geringer, aber der Schutz ist immer noch besser als ohne Impfung. Die Stiko-Empfehlung basierte auf der Tatsache, dass es zunächst keine Studien mit Älteren gab. Heftige Impfreaktionen sind sogar ein gutes Zeichen, weil sie eine starke Immunantwort des Körpers zeigen. Schließlich wird die Thrombosegefahr stark überschätzt: Sie ist nicht höher als in einer ungeimpften Bevölkerung. Zahlen aus Großbritannien nach gut zehn Millionen Impfungen beziffern das Risiko auf 0,00014 Prozent – übrigens fast genauso hoch wie beim Biontech-Impfstoff. Bei Covid-19-Patienten im Krankenhaus liegt es Studien zufolge dagegen bei 15 Prozent – also um den Faktor 100.000 höher.

Der Schaden ist größer als der Nutzen

Bisher gibt es keinerlei Hinweise dafür, dass das Astrazeneca-Vakzin für schwere Erkrankungen oder gar Todesfälle verantwortlich ist. Gleichwohl haben einige Länder einen Impfstopp verhängt, dem sich nun auch Deutschland angeschlossen hat. Für den Kampf gegen die Pandemie ist die Aussetzung fatal. Sie verzögert ein schnelles Durchimpfen und führt damit am Ende zu höheren Todeszahlen. Denn angesichts steigender Infektionen ist das Impfen ein Rennen gegen die Zeit, gegen den Tod. Zudem verunsichert der Impfstopp die Menschen zusätzlich. Jetzt werden auch diejenigen ins Grübeln kommen, die bisher keine Vorbehalte hatten, selbst wenn die Behörden das Präparat später wieder freigeben. Das Vertrauen ist hin.

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Gleichwohl will sich kein Behördenchef und schon gar kein Politiker vorwerfen lassen, zu spät oder gar nicht reagiert zu haben – bei einem Präparat, das ohnehin einen schlechten Ruf genießt. Insofern handelt es sich bei der Aussetzung eher um eine politische und nicht um eine fachliche Entscheidung, wie es Spahn dargestellt hat.

Die Untersuchung der Vorfälle ist richtig und wichtig. Doch der Schaden, der durch den hektischen Impfstopp angerichtet wird, dürfte höher sein als dessen Nutzen.